BayHStA Staatsrat 185

3 Blätter. Unterschriften des Königs und des Ministers. Protokoll: Kobell.

Anwesend:

Staats- und Konferenzminister: Morawitzky.

Geheime Räte: Graf v. Preysing; Ignaz Graf von Arco; Graf v. Toerring-Gutenzell; v. Zentner; Johann Nepomuk v. Krenner; Franz v. Krenner; Carl Maria Graf v. Arco; Freiherr v. Aretin; v. Effner; v. Schenk; Freiherr v. Asbeck; v. Feuerbach.

Kriegskostenbeiträge

Vortrag Effners über den auf dem Rekursweg an den Geheimen Rat gebrachten Streit zwischen der Marktgemeinde Sulzbürg und den dort ansässigen Juden. Effner schließt sich der vom Generalkommissariat des Altmühlkreises in dieser Sache getroffenen Entscheidung an und beantragt, durch ein Reskript das Begehren der Marktgemeinde abzuweisen. Die Geheimen Räte folgen in der Hauptsache dem Antrag.

{1r} 1. In der auf heute angeordneten geheimen Raths Sizung, welcher Seine Majestät der König, Seine Königliche Hoheit der Kronprinz und {1v} der geheime Staats- und Konferenz Minister Herr Graf von Montgelas nicht beiwohnten, erstattete der königliche geheime Rath von Effner auf Aufforderung des königlichen geheimen Staats- und Konferenz Ministers Herrn Grafen von Morawizky in der Rekurs Sache des Johann Zacharias Egenstein, Markts-Hauptmann, und Johann Konrad Kreuhauf im Namen des Marktes Sulzbürg im Altmühl Kreise gegen die dort wohnenden Juden, Beiträge zu den Kriegskosten betreffend, schriftlichen Vortrag, worin derselbe die Ursache und den Veranlaß des gegenwärtigen Streites auseinander sezte und die Entscheidungs-Gründe anführte, welche das königliche General-Kommißariat des Altmühlkreises in seinem erstatteten Bericht aufgestellt, um die Abweisung der Markts Gemeinde Sulzbürg zu motiviren1545.

Nach der Bemerkung, daß das General Kommißariat des Altmühl-Kreises in dem vorliegenden Falle mit Umgehung des Landgerichts als Unter-Marsch{2r}Kommißariat in erster Instanz gesprochen habe, welcher Umstand, wenn er von dem königlichen geheimen Rathe in Kriegs-Konkurrenz Sachen für erheblich angesehen werde, alle weitere Discußionen unnöthig mache, indem alsdann der ganze Gegenstand zur neuen Instruction rükgesendet werden müßte, äußerte sich geheimer Rath von Effner über die Förmlichkeiten, rüksichtlich der Fatalien, rüksichtlich der Gültigkeit des Spruches des General Kommißariats als respec. erste Instanz, und rüksichtlich der Frage, ob die gegenwärtige Differenz genugsam und so instruirt worden, daß hierauf der Gemeinde sogleich eine abweisliche Entschließung gegeben werden könnte.

Über die Sache selbst und derselben Materialien gab geheimer Rath von Effner seine Meinung ab, und machte als Folge hievon den Antrag, den Spruch des General-Kommißariats des Altmühlkreises in dem vorliegenden Falle für gültig und recht gesprochen anzunehmen, und dessen der Gemeinde {2v} gegebene Entschließung zu bestätigen.

Im Übereinstimmung mit diesem Antrage las geheimer Rath von Effner einen Reskripts Entwurf an das General-Kommißariat des Altmühl-Kreises ab.

Bei der von dem königlichen geheimen Staats- und Konferenz Minister Herrn Grafen von Morawizky über diesen Antrag verfügten Umfrage vereinigten sich alle Mitglieder in der Haupt Sache mit der Meinung des Referenten, nur Graf von Törring Guttenzell und Graf Carl von Arco bemerkten, Ersterer daß er es für einen Fehler halte, daß das General-Kommißariat mit Umgehung des Landgerichts in erster Instanz gesprochen, und Lezterer: daß bei dem Mangel der ordentlichen Instruction dieses Streites, er sich nicht von der gültigen Kompetenz des geheimen Rathes überzeugen könne, und daher glaube, die Sache wäre zu remittiren.

{3r} Der königliche geheime Rath bestätigte in Folge der Abstimmung den von dem Referenten vorgelesenen Reskripts-Entwurf und die darin ausgesprochene Abweisung der Markts-Gemeinde Sulzbürg.

Da von Seiner Majestät dem Könige keine weitere Gegenstände für die heutige Sizung angewiesen auch keine andere Rekurs Sachen zum Vortrage bearbeitet waren, so wurde die heutige Sizung hiemit beschloßen.

Bestätigung der „Entscheidung“ des Geheimen Rates durch den König (11. August 1810).

Anmerkungen

1545

Effners „Vortrag in dem geheimen Rathe. In der Rekurs-Sache des Johann Zacharias Egenstein, Markts Hauptmann, und Johann Konrad Kreinhauf [!] im Namen des Markts Sulzbürg im Altmühlkreise gegen die dort wohnende Juden. Beyträge zu den Kriegskosten betreffend“ – laut Vermerk Egid Kobells vom 9. August 1810 im Geheimen Rat vorgetragen – ist in das vorliegende Protokoll eingebunden (BayHStA Staatsrat 185, 10 Blätter).

Hintergrund des im Rekursweg an den Geheimen Rat gekommenen Streits waren unterschiedliche Auffassungen der Marktgemeinde Sulzbürg einerseits, der dort wohnenden Juden andererseits, wie der Beitrag zu den Quartier- und Kriegskosten zu bemessen sei. Während die insoweit die Interessen der christlichen Gemeindeglieder artikulierende Marktgemeinde von den Juden forderte, sie sollten ein Drittel der Lasten tragen, da dies dem Herkommen entspreche und auch vertraglich vereinbart sei, verlangten die Juden eine Bemessung nach dem Steuerfuß. Auf eine Klage der Marktgemeinde teilte das Landgericht Neumarkt mit, das Generalkommissariat des Altmühlkreises habe mit Hinweis auf den Steuerfuß als Bemessungsgrundlage bereits zugunsten der jüdischen Bewohner entschieden. Gegen dieses Dekret „rekurirte die Markts-Gemeinde zur allerhöchsten Stelle“ (Bl. 2r). Nach ihrer Auffassung beruhte die „Verpflichtung der Judenschaft zu Kriegs- so andern Gemeindelasten […] auf Verjährung, und vorzüglich auf einigen von den Juden selbst eingegangenen und obrigkeitlich bestättigten Verträgen“ (Bl. 2r). Nach Angabe der Marktgemeinde lebten in Sulzbürg ca. 200 Juden (41 Familien) und 274 Christen (55 Familien). Zur wirtschaftlichen Situation der Juden führte die Marktgemeinde in den Worten Effners unter anderem aus: „Die Juden, bisher offenbar nur verzehrende Mitglieder des Staats, die keine Produkte gewinnen, und keine verarbeiten, nähren sich blos von dem Handel, und da derselbe unmöglich eine so große Menge bey, neben, und an der Seite christlicher Krämer, und in einem Orte, an den Städte, wo häufige Jahrmärkte gehalten werden, gränzen, ernähren kann, so darf man, ohne der Wahrheit zu ihrem Nachtheil zu nahe zu treten, kühn behaupten, daß sie vom Betruge der Christen leben“ (Bl. 2v). Wenn der Beitrag der Juden, „welche nur 15 Häuser, und ausser denselben gar keine liegende Gründe haben“, nach dem Steuerfuß bemessen würde, so sei die Folge, „daß die Christen, die produktive Menschenklasse, mit 55 Häusern mehr als 4 mal so viel, und rüksichtlich ihrer Steueranlage mehr als 8 mal soviel zu leisten haben würden“ (Bl. 3r). Nach dieser Berechnungsgrundlage wären viele Juden frei von Zahlungsverpflichtungen. Demgegenüber lebten viele Christen in „tiefer Armuth“, eine Lage, in die sie nicht zuletzt aufgrund betrügerischer Umtriebe der Juden gekommen seien (Bl. 2v).

Das Generalkommissariat des Altmühlkreises vertrat eine ganz andere Ansicht. In seinem Bericht verwies es auf die Verordnung vom 23. Februar 1809 (VO betr. die „allgemeine Konkurrenz zu den Kriegslasten, RegBl. 1809, Sp. 385-398), die „durchgehends de[n] Steuerfuß als de[n] Maßstab vorgezeichnet“ habe, nach dem die Beiträge zu bemessen seien (Bl. 4r). Dies sei die gerechteste Methode. Die Existenz eines Vertrages, in dem abweichende Regelungen getroffen worden seien, war nach Ansicht des Generalkommissariats zweifelhaft. Zugunsten der jüdischen Gemeinde wurde ferner aufgeführt, daß die Ursache ihres Vermögens in ihrer „Betriebsamkeit und in den den Juden eigenen Unternehmungen aufzusuchen seyn, ohne daß ich mich überzeugen kann, daß darum der Jud einen Theil seines Erwerbs einem andern ohne Ursach überlassen soll“. Überhaupt scheine es „natürlich und mit dem Rechte im Einklange zu seyn, daß die Beyträge auch nur von dem steuerbaren Besitzthume gefodert werden können (Bl. 5v). Auf der Grundlage dieser Einschätzung der Rechtslage untersuchte Effner sodann die formell- und materiellrechtlichen Fragen und bestätigte, „daß das Generalkommißariat in vorliegenden Fall gültig und recht gesprochen habe und daß dessen der Gemeinde gegebene abweichende Entschließung zu bestättigen seye“ (Bl. 9v).