BayHStA Staatsrat 166
7 Blätter. Unterschriften des Königs und der Minister. Protokoll: Kobell.
Anwesend:
König Max Joseph.
Staats- und Konferenzminister: Montgelas; Morawitzky; Hompesch.
Geheime Räte: Graf v. Preysing; Ignaz Graf v. Arco; v. Zentner; Johann Nepomuk v. Krenner; Freiherr v. Stengel; Franz v. Krenner; Carl Maria Graf v. Arco; Freiherr v. Aretin; v. Effner; v. Schenk; Freiherr v. Asbeck; v. Feuerbach.
Rechtsverhältnisse bayerischer Untertanen mit dem Ausland
Vortrag Zentners über die rechtlichen Verhältnisse bayerischer Untertanen, die in einer persönlichen oder dinglichen Verbindung mit fremden Staaten stehen. Auslöser war ein von mehreren Generalkreiskommissariaten begutachteter Fall im Rezatkreis, in dessen Folge die Lehens- und Hoheitssektion einen vom König an den Geheimen Rat verwiesenen Verordnungsentwurf erstellt hat. Zentner stellt die grundsätzlichen Probleme heraus und verliest den Verordnungsentwurf. Die Minister und einige Geheime Räte geben zu bedenken, daß die Zeit für eine allgemeine Verordnung nicht reif ist. Vielmehr müßten die Kriegsfolgen und die Maßregeln Napoleons als Protektor des Rheinbundes abgewartet werden. Der König folgt dem Rat und beschließt, für die Dauer des Krieges vorläufig an den Grundsätzen festzuhalten, die sich aus der Rheinbundakte, der Konstitution für das Königreich Bayern sowie den einschlägigen Verordnungen ergeben. Nach erfolgtem Friedenschluß soll ein neuer Entwurf ausgearbeitet werden, der auf die dann aktuelle staats- und völkerrechtliche Lage Bezug nimmt.
{1v} 1. Seine Majestät der König, Allerhöchstwelche den Zusammentritt des geheimen Rathes auf heute allergnädigst verordnet, ertheilten dem geheimen Rathe von Zentner den Befehl, die in der geheimen Raths Section des Innern erstattete Vorträge über die rechtlichen Verhältniße der baierischen Unterthanen und Gutsbesizer, welche zugleich in einer persönlichen oder dinglichen Verbindung mit fremden Staaten stehen, oder in solche treten wollen, dann über das Staatsbürgerrecht und über die Ertheilung des Indigenats dem versammelten geheimen Rathe vorzulegen1175.
Zu allergehorsamster Befolgung dieses allerhöchsten Befehles legte geheimer Rath von Zentner Seiner {2r} Majestät dem Könige und dem versammelten geheimen Rathe zuerst eine Vorerinnerung vor, und bemerkte darin die Rechts-Quellen, die bei Bearbeitung dieser Gegenstände zum Grunde gelegt worden. Er führte an, daß die Maaßregeln, welche die verschiedene Regierungen der rheinischen Bundes-Staaten in dem inzwischen eingetretenen Kriegszustand ergriffen, nicht als Basis bei einem zu erlaßenden Geseze angenommen werden könnten, sondern daß nach seiner Ansicht ein ruhiger Zustand vorausgehen, und das zu gebende konstituzionelle Edict mit Rüksicht auf die eingetretene politische Verhältniße verfaßt werden müßte, indeme durch den künftigen Frieden selbst oder durch die Folgen deßelben solche neue Verhältniße zwischen den Bundes- und andern Staaten entstehen {2v} würden, wodurch die eben angeführte Rechts-Quellen in mehreren Punkten wesentliche Veränderungen erhalten und dadurch entweder im Ganzen oder zum Theile ihre verbindliche Kraft verlieren könnten.
Die geheime Raths Section des Innern habe diese Ansicht getheilt, und seie der Meinung gewesen, daß diese legislative Gegenstände, auf welche mögliche und vielleicht wahrscheinliche politische Veränderungen einen wesentlichen Einfluß haben könnten, bis nach dem Frieden auszusezen. Die Berichtigung dieser Meinung unterliege nun der Beurtheilung des versammelten geheimen Rathes und der Entscheidung Seiner Majestät des Königs.
Geheimer Rath von Zentner las nun zuerst den schriftlichen Vortrag ab, den er über die rechtlichen Verhältniße der baierischen Unterthanen und Gutsbesizer, die zugleich in einer persönlichen oder {3r} dinglichen Verbindung mit fremden Staaten stehen oder in solche treten wollen, verfaßt, und führte darin geschichtlich aus, in welche peinliche Lage mehrere besonders ehemalige reichsständische und reichsritterschaftliche Häußer und Familien durch die Ländertheilungen, die in den neuesten Zeiten theils durch den Reichs-Deputazions Schluß von 1803, theils durch den Preßburger Frieden 1805, theils durch den rheinischen Bundesvertrag 1806 eingetreten1176, gekommen, und welche unangenehme Kollisionen und Erklärungen zwischen den betheiligten Souverains veranlaßt worden.
Ein neuerer Fall, der sich in dem Königreiche Baiern in [!] dermaligen Rezat-Kreise zugetragen, habe in Baiern eine neue Untersuchung und Erörterung der Frage veranlaßt: „Ob und unter welchen Bestimmungen es räthlich sei, zu bewilligen, daß ein {3v} bürgerlicher Unterthan und Gutsbesizer im Reiche, zugleich auch in einem andern Staate das Bürgerrecht erwerben und beibehalten dürfe?“
Sämmtliche General-Kommißariate des Königreichs, das damalige Gubernium in Innsbruk und die Kriegs- und Domainen Kammer in Ansbach seien auf Befehl Seiner Majestät des Königs zu Abgebung ihres Gutachtens aufgefordert worden; von mehreren seie dieses Gutachten erstattet, und einige dabei von gelinderen andere von strengeren Grundsäzen geleitet worden.
Von Zentner führte die Meinungen der General Kommißariate von Ulm, Bamberg und Neuburg, dann des Gubernii in Innsbruk und der Kriegs und Domainen Kammer in Ansbach an, und zeigte die Wege, die von dem auswärtigen Ministerium auf Befehl Seiner Majestät des Königs in dieser wichtigen {4r} und seit dem gegenwärtigen Kriege sich mehr verwikelten Sache eingeschritten worden. Das Ministerium habe nämlich diese verschiedene Gutachten der Lehen- und Hoheits Section zur Prüfung übergeben, und diese haben unterm 12ten November eine Verordnung entworfen, die von Seiner Majestät dem Könige an den geheimen Rath verwiesen worden und der Veranlaß zu gegenwärtigem Vortrage seie.
Herr von Zentner las den Entwurf dieser Verordnung, welche die Lehen und Hoheits Section vorgelegt, ab, und führte die milde Grundsäze an, die fast von allen Souverains des rheinischen Bundes, außer Würtemberg, angenommen worden.
Von Zentner bemerkte, daß die Verwirrung und das Schwankende in den gesezlichen Bestimmungen über diesen Gegenstand daher komme, daß man die Erwerbung des eigentlichen Indigenats {4v} und Staatsbürgerrechts und die Erwerbung nur einiger Civilrechte durch den Besiz eines Gutes oder durch die Errichtung eines Handlungs Etablißements in einem fremden Staate nicht gehörig von einander geschieden habe. Das rechtliche Verhältniß des baierischen Unterthans und Gutsbesizers in Beziehung auf erlaubte oder unerlaubte persönliche oder dingliche Verbindung mit einem fremden Staate genauer zu bestimmen las geheimer Rath v. Zentner die in seinem Vortrage enthaltene 11 Säze vor, und äußerte, daß wenn dieselbe nach den allenfalls hinzukommenden Modifikazionen des geheimen Rathes die allerhöchste Genehmigung erhalten sollten, darnach eine die königliche Declarationen vom 31. Dezember 18061177 und 19. Merz 18071178 nach der Konstituzion und dem neuen Gesezbuche näher bestimmende Verordnung entworfen und erlassen werden könnte.
Seine Majestät der König {5r} erforderten über diesen Vortrag des geheimen Rath von Zentner die Meinungen Ihrer geheimen Staats- und Konferenz Minister und einiger geheimen Räthe, welche alle die vier ersten Säze der zu erlaßenden Verordnung für unbedenklich und zwekmäsig erklärten, bei den übrigen aber eine reife Discußion voraussezten, weil die neuere Ereigniße in dem gegenwärtigen Kriege und die nach dem Willen des Protectors des rheinischen Bundes1179 erlaßene neue Verordnungen den Gegenstand verwikelter gemacht als er zuvor gewesen und eine genaue Überlegung zu Vereinigung der verschiedenen Erklärungen erforderten.
Einstimmig äußerten aber dieselbe, daß ihnen gegenwärtig der Zeitpunct nicht paßend scheine, eine solche allgemeine Verordnung zu erlassen, sondern daß sie sich zu dem allerunterthänigsten {5v} Antrage aufgerufen fühlten, diesen Gegenstand bis nach dem Frieden, und bis man dessen Bestimmungen und Folgen näher kenne, und mit dem schon Geschehenen in Anwendung bringen könne, ausgesezt zu belaßen, wo inzwischen die Maaßregeln, die während der Dauer des Kriegs nothwendig werden könnten, durch temporäre Verordnungen zu bestimmen wären.
Diese von den königlichen geheimen Staats- und Konferenz Ministern und mehreren geheimen Räthen angegebene Rüksichten bewogen Seine Majestät den König, zu beschließen, daß zwar die in der Foederazions Akte den königlichen Erklärungen und der Konstituzion über den vorgetragenen Gegenstand enthaltene Grundsäze in vorkommenden Fällen in so weit beibehalten und befolgt werden sollen, als die Ereigniße des gegenwärtigen Krieges nicht andere Maaßregeln {6r} nothwendig machten, daß aber gegenwärtig noch keine andere gesezliche bleibende Verordnung deßwegen erlassen, sondern diese bis nach erfolgtem Frieden ausgesezt bleiben, und nach diesem Zeitpuncte der Entwurf derselben der Berathung und Beurtheilung des geheimen Raths wiederholt übergeben werden solle, der sodann auf die in jener Epoche bestehende staats- und völkerrechtliche Verhältnisse die geeignete Rüksicht zu nehmen hat.
Geheimer Rath von Zentner eröfnete Seiner Majestät dem Könige und dem versammelten geheimen Rathe daß
Staatsbürgerrecht, Indigenat
Zentner trägt den Entwurf einer Verordnung über das Staatsbürgerrecht vor. Der König genehmigt den Entwurf, vertagt das Inkrafttreten der Verordnung aber auf die Zeit nach der Publikation des Zivilgesetzbuches.
2. mit dem vorgetragenen Gegenstande die Bestimmung des Staats-Bürgerrechts und die Ertheilung des Indigenats in einiger Verbindung stehe.
Er habe über diesen Gegenstand einen schriftlichen Vortrag verfaßt, den er Seiner Majestät dem Könige {6v} und dem geheimen Rathe allerunterthänigst vorlegen werde.
Geheimer Rath von Zentner führte zuerst an, welche Anfragen die Organisazions Kommission über diesen Gegenstand sich erlaubt, und welche Entscheidungen Seine Majestät der König in der geheimen Staats Konferenz hierauf zu nehmen geruhet1180, dann welche Bestimmungen die von Seiner Majestät dem Könige genehmigten Theile des neuen bürgerlichen Gesezbuches1181 und die Konstituzion des Reichs1182 hierüber enthalten.
In Übereinstimmung mit diesen allerhöchsten Entschließungen, und da in dem Gesezbuche über den Genuß der Civilrechte der Code Napoléon ganz zum Grunde gelegt und beibehalten worden, so glaube er von Zentner, daß es konsequent seie, nach den in dem schriftlichen Vortrage enthaltenen 12 Art., die derselbe ablas das Staatsbürgerrecht {7r} in dem Königreiche Baiern festzusezen. Nur bei dem 12ten Art. bemerkte von Zentner, daß ihme derselbe gegenwärtig überflüßig scheine, weil die Ursachen, die dessen Beifügung bei der Organisazions Commißion veranlaßt, aufgehört, und die damals vorgesehene Fälle nicht wohl mehr eintreten könnten.
Seine Majestät der König erforderten die Meinungen ihrer geheimen Staats- und Konferenz Minister und der geheimen Räthe, und da dieselbe sich alle mit dem Vortrage des Referenten vereinigten, und nur einige auf die Beibehaltung des 12ten Art. zur Vollständigkeit der Verordnung stimmten,
so genehmigten Seine Majestät der König die in dem Vortrage enthaltene und abgelesene 12 Säze welche die zu erlaßende Verordnung über das Staatsbürgerrecht und über die Ertheilung des Indigenats ausmachen, geruheten aber allergnädigst zu befehlen, daß die Publication und die {7v} Wirkung dieser Verordnung erst dann eintreten solle, wenn das neue bürgerliche Gesezbuch proklamirt und gesezliche Kraft erhalten haben wird1183.
Seine Majestät der König hoben hiemit die heutige Sizung des geheimen Rathes auf.
Genehmigung der Entscheidungen durch den König.
Anmerkungen
Knapper Hinweis auf diesen und den folgenden Tagesordnungspunkt bei Seydel, Bayerisches Staatsrecht Bd. 1, S. 521.
Zum Reichsdeputationshauptschluß vom 24. Februar 1803, zum Frieden von Preßburg vom 26. Dezember 1805 sowie zur Rheinbundakte vom 12. Juli 1806 siehe den Kommentar zu Nr. 1 (Staatskonferenz vom 20. Januar 1808).
VO betr. die „der königlichen Souverainität unterworfene Ritterschaft und ihre Hintersassen“ vom 31. Dezember 1806, RegBl. 1807, Sp. 193-218.
„Königliche Deklaration“ betr. die „Bestimmung der künftigen Verhältnisse, der der königlichen Souverainität unterworfenen Fürsten, Grafen und Herren zu den verschiedenen Zweigen der Staats-Gewalt“ vom 19. März 1807, RegBl. 1807, Sp. 465-490.
In der „Konföderations-Akte der rheinischen Bundes-Staaten“ vom 12. Juli 1806 wurde Napoleon Bonaparte als Kaiser der Franzosen zum Protektor des Rheinbundes erklärt (Art. 12, RegBl. 1807, Sp. 108).
Die Konstitution für das Königreich Baiern vom 1. Mai 1808 bestimmte (Tit. I § 7 Abs. 3): „Das Indigenat kann nur durch eine königliche Erklärung, oder ein Gesez, ertheilt werden“ (RegBl. 1808, Sp. 989; AK Bayerns Anfänge, S. 325). Vgl. Nr. 2 (Staatskonferenz vom 13. Februar 1808) TOP 2.
Zu einer gesetzlichen Regelung dieser Materie kam es erst 1812: „Edikt über das Indigenat, das Staatsbürger-Recht, die Rechte der Forensen und der Fremden in Baiern“ vom 6. Januar 1812, RegBl. 1812, Sp. 209-226; auch bei Kotulla, Verfassungsrecht Bd. 2, Nr. 338, S. 1089-1098.