BayHStA Staatsrat 245
5 Blätter. Unterschriften des Königs und des Ministers. Protokoll: Kobell.
Anwesend:
Staats- und Konferenzminister: Reigersberg.
Geheime Räte: Graf v. Preysing-Hohenaschau; Ignaz Graf v. Arco; Graf v. Toerring-Gutenzell; Freiherr v. Weichs; v. Zentner; Johann Nepomuk v. Krenner; Graf v. Thurn und Taxis; Franz v. Krenner; Carl Maria Graf v. Arco; Freiherr v. Aretin; v. Effner; v. Schenk; Freiherr v. Asbeck; v. Feuerbach; Graf v. Welsberg.
{1r} Da Seine Majestät der König und Seine Königliche Hoheit der Kronprinz der auf heute angeordneten geheimen Raths-Versammlung nicht beiwohnten, und Seine Excellenz, der königliche {1v} geheime Staats- und Konferenz Minister Herr Graf von Montgelas durch Geschäfte verhindert waren, zu erscheinen, so wurde unter Vorsiz Seiner Excellenz des königlichen geheimen Staats- und Konferenz Ministers Herrn Grafen von Reigersberg die Versammlung mit Ablesung der von Seiner Majestät dem Könige auf das geheime Raths Protokoll vom 31ten vorigen Monats gefaßten allerhöchsten Beschlüße966 durch den General-Sekretär [Kobell] eröfnet, und hierauf von Seiner Excellenz, dem königlichen geheimen Staats- und Konferenz-Minister Herrn Grafen von Reigersberg die Herrn geheimen Räthe Freiherr von Weichs, Graf von Tassis und von Effner aufgefordert, die bearbeiteten Rekurs-Sachen vorzutragen.
In Folge dieser Aufforderung erstattete
Streit um Gewerbebefugnisse (R)
Die Metzger in (Markt) Ortenburg liegen mit dem Seifensieder Stahl wegen der Befugnis, Kerzen herzustellen, im Streit. Weichs beantragt, die Metzger als Beschwerdeführer so zu stellen, wie es der Entscheid der ersten Instanz vorsieht. Nach kontroverser Aussprache nimmt der Geheime Rat den Antrag mehrheitlich an.
1. der königliche geheime Rath Freiherr von Weichs in der Gewerbs-Streit-Sache der Mezger zu Ortenburg967 im Unterdonau-Kreise mit dem Seifensieder Stahl daselbst wegen Kerzengießen schriftlichen Vortrag, worin Dieselben den Veranlaß dieses Streites {2r} so wie die dabei obwaltenden Verhältniße und die von den untern Instanzen in dieser Sache erlaßenen Erkenntniße nebst den Entscheidungs Gründen vorlegten, und auf die in dem Vortrage ausgeführte Rüksichten Ihren Antrag stüzten, diese Streit-Sache dahin zu entscheiden, daß die sechs Mezger in Ortenburg, welche die Beschwerde geführet, und in so lange jeder derselben das Mezger-Gewerb treiben wird, nach dem Spruche der ersten Instanz vom 25 Juli 1810 zu behandeln wären. Der nach diesem Antrage verfaßte Reskripts-Entwurf wurde vom geheimen Rathe Freiherrn von Weichs abgelesen.
Seine Excellenz, der königliche geheime Staats- und Konferenz Minister Herr Graf von Reigersberg ließen hierüber abstimmen.
Für den Antrag des Herrn Referenten erklärten sich die Herrn geheimen Räthe Graf von Preising, Graf von Arco der ältere [d.i. Ignaz], von Zentner, von Krenner der ältere [d.i. Johann Nepomuk], Graf von Tassis, von Effner. {2v} Herr geheimer Rath Graf von Törring fanden Anstand, in dieser Sache eine entscheidende Stimme zu geben, indeme die 2te Instanz nicht gesprochen, sondern nur als Polizei Stelle eine Erläuterung erlaßen, wie könne folglich der geheime Rath als lezte Instanz sprechen, wenn kein Spruch der zweiten vorhanden. Sie beurtheilten überhaupt diese Sache mehr polizeilich als rechtlich.
Herr geheimer Rath von Krenner der jüngere [d.i. Franz] nahmen zwar das Erkenntniß des General-Kommißariats als ein Urtheil an, glaubten aber, daß daßelbe nicht befugt gewesen, zu erkennen, indeme die Bestimmungen über die Gewerbs-Grenzen nicht Sache des Richters sondern der Gesezgebung seie. Sie glaubten auch, daß selbst der geheime Rath als richterliche Stelle hierüber nicht entscheiden könne, würden daher zwar das Urtheil der ersten Instanz bestätigen, den von dem Herrn Referenten angetragenen Vorbehalt, daß diese Befugniß Kerzen zu ziehen, den Mezgern nur auf Lebenszeit bewilliget werde, umgehen, und beifügen, vorbehaltlich der gesezlichen Bestimmungen über die Gewerbs Grenzen.
{3r} Nach gleichen Ansichten stimmten Herr geheimer Rath Graf Carl [Maria] von Arco. Die Herrn geheimen Räthe von Schenk, Freiherr von Asbek, von Feuerbach und Graf von Welsperg erklärten sich für die Bestätigung des Erkenntnißes der ersten Instanz ohne allen Beisaz.
Die nach diesen Abstimmungen sich für den Antrag des Herrn Referenten gebildete Mehrheit wurde durch die Beitretung des Herrn geheimen Rath Grafen von Törring noch vermehrt, da Dieselben, angenommen, daß man den Bescheid des General-Kommißariats für ein richterliches Erkenntniß halte, sich auch der Meinung des Referenten anschließen könnten, und
so wurde der von dem Herrn geheimen Rathe Freiherrn von Weichs abgelesene Reskripts-Entwurf an das General-Kommißariat des Unterdonau-Kreises genehmiget968.
Streit um Unterhalt (R)
Der Leerhäusler Wagner in Altransberg und Freiherr von Leoprechting tragen einen „Alimentazions-Streit“ aus. Effner bejaht die Kompetenz des Geheimen Rates, stellt aber fest, daß Leoprechting den Rekurs an den Geheimen Rat zu spät eingereicht hat. Die Klage wird abgewiesen.
2. In dem Alimentazions Streit969 zwischen Franz Wagner, Leerhäußler zu Antenrandsberg970 [!] Landgerichts Mitterfels971 und Freiherrn von Leoprechting972, erstattete Herr geheimer Rath von Effner schriftlichen Vortrag, und führten darin die aktenmäsige {3v} Veranlaßung dieses Streites, so wie die von den verschiedenen vormals bestandenen Landes Stellen in dieser Sache erlaßene Verfügungen an. Sie legten die neuere Entscheidung des Landgerichts Mitterfels und des General Kommißariats des ehemaligen Nabkreises973 nebst den Gründen, worauf dieselben beruhen, vor, und schikten zuerst die Frage voraus: „Ob diese Rekurs Sache zur Kompetenz des geheimen Rathes sich eigne?“
Nach Beantwortung dieser Frage, daß obschon in der Verordnung über die Kompetenz des geheimen Rathes974 Alimentazions Streite nicht ausdrüklich aufgeführt, sich doch nicht in Abrede stellen laße, daß der vorliegende Alimentazions Streit unter die administrativ kontentiöse Gegenstände gehöre, und daher unter die Rubrik, welche in eben gedachter Verordnung angeführt, gezälet werden müße, nämlich „Beschwerden, die aus einer durch das Verfahren der Unterbehörden entstandenen Kränkung des Eigenthums entsprungen, worüber der Rekurs an die ordentlichen Gerichts Höfe nach den {4r} bestehenden Verordnungen nicht gestattet ist“975, giengen Sie zur Haupt-Sache über, und äußerten, da es keinem Zweifel unterliege, daß der erwähnte Rekurs, der erst 15 Monate nach der Publikazion des Erkenntnißes zweiter Instanz von Freiherr von Leoprechting eingereicht worden, als desert angesehen und abgewiesen werden müße, da der Rekurrent nicht einmal Gründe zur Restituzion gegen den Ablauf der Fatalien angebracht habe976.
Aus den in dem Vortrage noch weiter ausgeführten Gründen machten daher Herr geheimer Rath von Effner den Antrag, diese Rekurs Klage des Freiherrn von Leoprechting als desert abzuweisen und lasen den hiernach eingerichteten Reskripts-Entwurf an das General-Kommißariat des Regen-Kreises vor.
In Folge der von Seiner Excellenz, dem königlichen geheimen Staats- und Konferenz Minister Herrn Grafen von Reigersberg verfügten Umfrage wurde aus den von dem Herrn Referenten angegebenen Gründen, und da die Alimentazions Streitigkeiten {4v} in der Instrukzion der General Kommißariate als ein in kollegialer Form zu entscheidender Gegenstand aufgezält977, folglich außer Zweifel ist, daß derselbe als administrativ kontentiös in lezter Instanz zum geheimen Rathe sich eigne
der abgelesene Reskripts-Entwurf an das General-Kommißariat der Regen-Kreises von dem königlichen geheimen Rathe angenommen978.
Regulierung von Kriegsschäden (R)
Die Station Heuchling sowie die ihr angeschlossenen Gemeinden klagen auf Schadensersatz. Thurn und Taxis beantragt, die Klage abzuweisen. Da Carl Maria Graf von Arco weiteren Aktenvortrag wünscht, wird die Entscheidung vertagt.
3. In Sachen der Heuchlinger979 Stazions Gemeinden Landgerichts Lauf wegen Kriegs-Schaden Ersaz, erstattete geheimer Rath Graf von Tassis schriftlichen Vortrag, und führten die geschichtlichen Verhältniße dieser Klage an, wobei es sich um den Ersaz des auf 1.510 fl. berechneten Schadens handle, den die Mitglieder der Stazion Heuchling, zu welcher 6 andere Gemeinden konkurrirten, durch Verlust ihrer Pferde, Ochsen und Wagen erlitten.
Herr geheimer Rath Graf von Tassis führten die Verhandlungen des Landgerichts Lauf und des General Kommißariats des Rezat-Kreises an, und machten, da die Formalien als beobachtet anzuerkennen, rüksichtlich der Materialien {5r} aus den in dem Vortrage angegebenen Gründen, und da Sie sich den Meinungen des Landgerichts, des General-Kommißariats und der Lehen- und Hoheits Section anschloßen, den Antrag, die Gemeinde Heuchlingen et Cons. mit ihrem Rekurse hier abzuweisen.
Als Seine Excellenz, der königliche geheime Staats und Konferenz-Minister Herr Graf von Reigersberg hierüber abstimmen ließen, wurde der königliche geheime Rath durch das Votum des Herrn geheimen Rath Grafen Carl [Maria] von Arco, daß Sie in dieser Sache nicht abstimmen könnten, ohne die Beweis-Gründe, so den Rekurrenten aufgelegt worden, im Zusammenhange zu hören und nach deren Würdigung zu beurtheilen, in wie weit die Entscheidungen des Landgerichts und des General Kommißariats gerechtfertiget würden, da Sie sich dermalen mit den Grundsäzen des Landgerichts Lauf nicht vereinigen könnten, veranlaßt
dem Herrn Referenten die {5v} Reproposizion dieses Gegenstandes und die Zusammenstellung der in den Akten liegenden Beweis-Gründen aufzutragen980.
Der König bestätigt die Entscheidungen in Rekurssachen (11. November 1811).
Anmerkungen
Hinweis auf ergangene Entscheidung in vorliegender Rekurssache: RegBl. 1811, Sp. 1686.
Alimentation meint die Ernährung, im weiteren Sinne den Unterhalt. Schröter, Wörterbuch, S. 49 s.v. Alimentiren; Neues allgemeines Handwörterbuch Bd. 1, S. 29 s.v. Alimenta.
Vermutlich Franz Xaver Freiherr von Leoprechting (1766-1835), königlicher Kämmerer, quieszierter Regierungsrat in Straubing. Lang, Adelsbuch, S. 174; GGT F 1853, S. 262.
Der Naabkreis wurde Ende 1810 im Zuge der Neugliederung des Königreichs Bayern in neun Kreise aufgelöst; der nördliche Teil ging im Mainkreis, der südliche Teil im Regenkreis auf. VO betr. die „Territorial-Eintheilung des Königreichs“ vom 23. September 1810, RegBl. 1810, Sp. 809-816, hier Sp. 810, 812.
Der im Juni 1808 in den Grundzügen umschriebene „Geschäftskreis“ des Geheimen Rates (OE betr. die „Bildung des geheimen Raths“ vom 4. Juni 1808, Tit. II, RegBl. 1808, Sp. 1331f.) wurde durch die VO betr. die „Vervollständigung der Kompetenzregulirung des königlichen geheimen Rathes in administrativ, polizeilich und finanziellen Gegenständen“ vom 8. August 1810, RegBl. 1810, Sp. 642-646 näher bestimmt.
VO vom 8. August 1810, Tit. I, Art. 1 Pkt. 17, RegBl. 1810, Sp. 644.
Der einem Kreis vorgesetzte Generalkommissär entschied die in seinen Geschäftsbereich gehörenden Fälle grundsätzlich nach dem Direktorialprinzip. Der zugeordnete Kreiskanzleidirektor und die untergeordneten Kreisräte hatten in der Regel nur eine beratende Stimme. Eine entscheidende Stimme hatten Kreiskanzleidirektor und Kreisräte bei einigen genau bestimmten Gegenständen, „welche in kollegialer Form behandelt werden soll- [t]en“. Dazu gehörten u.a. „Streitigkeiten über Alimentation und Heuraths-Bewilligungen“. Vgl. „Instruktion für die General-Kreis-Kommissäre“ vom 17. Juli 1808, RegBl. 1808, Sp. 1649-1682, hier §§ 1, 4, 7, 16, 41, 45 d (Sp. 1650, 1651, 1652, 1668, 1669 [Zitat]).
Hinweis auf ergangene Entscheidung in vorliegender Rekurssache: RegBl. 1811, Sp. 1686.