BayHStA Staatsrat 382 9 Seiten.

Datum der Genehmigung durch den Kurfürsten: 17. April 1802.

Anwesend: Montgelas, Morawitzky, Hertling; [MA:] Krenner sen., Zentner, Bayard, [MF:] Krenner jun., Hartmann, Steiner, Schenk, [MJ:] Löwenthal, Stengel, Stichaner, [MGeistl:] Branca.

1. Montgelas teilt die Entschließungen des Kurfürsten auf die Anträge des Staatsrats vom 31. März 1802 mit.

Bevölkerungsstatistik

Anlage von Bevölkerungsmatrikeln bei den Pfarrern in der Oberpfalz sowie in den übrigen »Erbstaaten«; Überführung der gewonnenen Daten in einen »General Conspect«, der von den Landgerichten an die vorgesetzte Landesstelle weiterzuleiten ist.

2. Nach ausführlicher Darstellung des Zustandes der pfarrlichen Tauf- Trauungs- und Sterb-Matriceln der Obern-Pfalz in den älteren und neueren Zeiten, legte {1v} Herr geheimer Rath Freiherr von Löwenthal den Plan vor, welchen die Landesdirektion in Amberg zu besserer Einrichtung der pfärrlichen Tauf- Trauungs- und Sterblisten für die Zukunft in ihrem erstatteten Bericht gemacht hat.

Freiherr von Löwenthal zergliederte in seinem schriftlichen Vortrage diesen Plan und zeigte zu welchen Zusätzen hie und da noch Raum offen gelassen zu seyn scheine; und nachdem er die Verhältnisse mit den Ordinariaten über diesen Gegenstand auseinander gesetzet, dann seine verschiedene Erinnerungen vorgetragen hatte, äuserte derselbe, auf welche Art die Tauf- Trauungs- und Sterb-Register für die Zukunft in der Obern-Pfalz einzurichten, die Controlle derselben herzustellen, und diese Verfügungen den Ordinariaten bekannt zu machen wären.

Über diesen Vortrag wurde in dem Staatsrathe Umfrage gehalten und sodann beschloßen: die von dem Freiherrn v. Löwenthal angetragene Einrichtung der Tauf- Trauungs- und Sterb-Register mit den Zusätzen zu genehmigen, daß:

1.) hierin auch die Religion der geboren- und vereheligt werdenden, so wie der Verstorbenen vorgemerket, 2.) solche Listen mit den nö{2r}thigen Abänderungen auch von dem Juden-Vorsteher, da wo sie geduldet, an die Obrigkeit eingesendet, und 3.) der Verstorbene nur an dem Orte vorgemerkt und eingeschrieben werden solle, wo er verstorben ist.

Der Staatsrath faßte aber den fernern Beschluß: daß diese Einrichtung der Pfarrbücher nicht allein in der Obern-Pfalz eingeführet, sondern auch auf alle übrige herobere, und rheinische Erbstaaten mit Beobachtung der Local Verhältniße ausgedehnet, und an die geeignete Landesstellen mit dem Auftrage ausgeschrieben werden solle, diese Verfügung den einschlagenden Ordinariaten bekannt zu machen.

Zu Controllirung der nach dieser neuen Forme vom 1. July dieses Jahres allgemein einzurichtenden Pfarrlichen-Listen (wovon die erfoderliche gedruckte Exemplarien den Pfarrern durch die einschlagende Landgerichte werden mitgetheilt werden) soll jeder Pfarrer gehalten seyn, nebst dem aus diesen verschiedenen Listen gebildet {2v} werdenden Pfarrbuche, so viele Register zu führen, als er Unterthanen verschiedener Landgerichte in seiner Pfarrey habe, und monatlich jedem dieser Landgerichte einen gefertigten Extract dieser Register gelegenheitlich und auf seine Kösten zu zusenden, welche Extracte das Landgericht zu sammeln, ein Duplicat des Pfarrbuches hievon zu bilden, und jährlich daraus, wenn solches mit jenem des Pfarrers collationirt und richtig befunden worden, einen General Conspect dieser Sterb- Trauungs- und Geburtslisten an die ihm vorgesetzte Landesstelle einzuschicken angewiesen werden solle.

Entwurf eines Strafgesetzbuches

Veröffentlichung des Entwurfs eines Kriminalgesetzbuches von Kleinschrod sowie der Materialien von Schieber und Socher; öffentliche Diskussion des Entwurfs.

3. Auf verschiedene, von dem Herrn geheimen Justiz-Referendär v. Stichaner nach nun geendigten Drucke des Entwurfes eines neuen Criminal-Gesetzbuches und den nun in Druck zu legenden Erinnerungen einiger Censoren165, gemachte Anfragen, wurde

in dem Staatsrathe beschloßen:

1.) daß die Revisions-Bemerkungen des Revisionsrathes Schieber und geistlichen Rath Socher166 {3r} abgesöndert gedruckt, und als Materialien zur peinlichen Gesetzgebung in Baiern bekannt gemacht werden sollen167. 2.) Der Kleinschrodische Entwurf168 solle allen Landschaften um ihre Erinnerungen, und sämtlichen Landeskollegien, mit Ausnahme des Revisorii, zu Abgebung ihres Collegial Gutachtens mitgetheilt, auch von den Universitäten die Erinnerungen darüber eingeholt, dann den sämmtlichen Departements und Gesandtschaften in hinreichender Anzahl, Letztern zur Vertheilung unter die Gelehrten der Gouvernements, wo sie angestellet, nebst dem Aufrufe wegen dessen Prüfung und Preise communiciret werden. 3.) Solle der zweite Beschluß auch auf die übrigen churfürstlichen Staaten am Rhein Bezug haben und ausgedehnet werden. 4.) Der General Landesdirektion solle aufgetragen werden, durch das Regierungsblatt169 und gelehrte Zeitungen die öfentliche Prüfung und den ausgesetzten Preis für die beßte Abhandlung über diesen Entwurf, bekannt zu machen.

Die Reichsstadt Nürnberg erhält zur Erhaltung der Sozialstiftungen einen Betrag von 36.000 fl.

{3v} 4. Unter Anführung der Gründe, so für die Willfahrung des von den nürnbergischen Abgeordneten dringend gestellten Ansuchens, daß ihnen zu Rettung ihrer am äusersten Rande des Verderbens stehenden milden Stiftungen der dritte Theil der eingehobenen und sequestrirten Gefälle verabfolget werden möge, sprechen, äuserte Herr geheimer Rath von Krenner, daß die churfürstliche Vergleichskommission für billig, gerecht, und zweckmäsig halte, denselben hieran 36.000 fl. p. Abschlag aus den sequestrirten milden Stiftungsgefällen bezahlen zu lassen und hierauf auch antrage.

Der Staatsrath beschloß: nach dieser Kommissions-Äusserung, der Reichsstadt Nürnberg die angetragene 36.000 fl., doch in drei Terminen jeden von einem Monate, zu 12.000 fl., auf Abschlag aus den sequestrirten milden Stiftungsgeldern bezahlen zu lassen.

Dem Reichshofrat soll signalisiert werden, daß der Kurfürst zur Begleichung der »Laudemien Foderung« infolge des Lehenfalls nach dem Tode Karl Theodors bereit ist, wenn sich das Land von den Kriegsschäden erholt haben wird.

5. Auf die Laudemien Foderung des k. Reichshofraths an dem hiesigen Churhofe für den Lehenfall vom 16. Februar 1799170, welche nach einem Bericht des Reichshofraths-Agenten in Wien v. Goez wiederholt betrieben und weswegen auf eine decisive Entscheidung gedrungen {4r} wird, erstattete Herr geheimer Rath von Krenner schriftlichen Vortrag, worin er sich nach Ablesung der wegen diesem Gegenstande schon gefertigten älteren zwei Vorträgen über folgende drei Fragen: 1.) Ob eine Rechtsschuldigkeit vorliege, dieses begehrte Laudemium zu bezahlen, 2.) Ob der nunmehr moderirte Betrag etwa doch noch zu hoch angesetzt, und überhaupt eine Bezahlung anzurathen sey, 3.) Woher die Mittel dieser Bezahlung zu nehmen seyen? dahin äusert, daß er bei dem noch zweideutigen Rechte, weswegen ein Vergleich immer vorzuziehen seye, Seiner Churfürstlichen Durchlaucht anrathen müsse, die neueste Offerte des Reichshofraths, sich mit 110.000 fl. in Wiener Bankozetteln in vier vierteljährigen Fristen statt der gefoderten 388.000 fl. begnügen zu wollen, gnädigst anzumahnen und die geeignete Erklärungen ertheilen, sohin diesen Betrag nach dem geeigneten Maasstabe auch bei den baierischen Landständen spezialiter postuliren zu lassen.

Herr geheimer Rath von Krenner fügte bei, wie es ihme nicht den mindesten Gewinn bringe, ob Seine Churfürstliche Durchlaucht dem Reichshofrathe {4v} etwas oder nichts accordirten. Er habe sich aber mittels dieses Vortrages jener Pflicht für das Interesse des durchlauchtigsten Churhauses und der respee. Landeskassen ehrfurchtsvoll entledigen sollen wie dieselbe aus dessen individueller Ansicht und Überzeugung hervorgehen.

Nach gehaltener Umfrage wurde in dem Staatsrathe hierauf beschloßen: vor allem den churfürstlichen Gesandten in Wien Freiherrn von Gravenreuth über die letzte Aeußerung des Agenten von Goez in seinem Bericht zu vernehmen und demselben zu eröfnen, wie er zu Hinhaltung dieses Gegenstandes und zu Entfernung iedes unangenehmen Fürschrittes von seiten des Reichshofrathes, dessen Mitgliedern zu erkennen geben könnte, daß Seine Churfürstliche Durchlaucht nicht ungeneigt seyen auf eine Aversionssumme sich einzulassen, wenn Dero Lande von den tiefen Wunden, welche der Krieg ihnen geschlagen, sich erholt haben würden.

Vorlage der Beschlüsse beim Kurfürsten und Genehmigung.

Anmerkungen

165
Vgl. Protokolle Bd. 1 Nr. 118, S. 434 f. (Staatsrat vom 23. November 1801), TOP 7: U.a. Beschluß, Kleinschrods Entwurf drucken zu lassen.
166
Joseph Socher (1755 – 1834), 1778 zum Priester geweiht, war 1784 zum Geistlichen Rat für Schulsachen ernannt worden, wurde aber im Zuge der Illuminatenverfolgung 1785 entlassen. 1799 wurde Socher, ein profunder Kenner der Werke Kants, Professor »der Logik, Metaphysik, Psychologie, der philosophischen Geschichte, und der Philologie« an der Universität Ingolstadt; 1805 wurde er auf eigenen Antrag entlassen; vgl. Bauer, Rat, S. 170 Anm. 16; Boehm u.a., Biographisches Lexikon, S. 401 f. s. v. ›Socher‹ (P. Segl); HStK 1802, S. 100 (zit.).
167
Materialien zur peinlichen Gesetzgebung in Baiern, Tl. 1 [mehr nicht erschienen], München 1802. Enthält: Joh. Baptist Schieber, Bemerkungen über den Entwurf eines peinlichen Gesetzbuches für die kurpfalzbaierischen Staaten, S. 1 – 95; Joseph Socher, [dasselbe], S. 97 – 254.
168
Gallus Alois Kleinschrod, Entwurf eines peinlichen Gesetzbuches für die kurpfalzbaierischen Staaten, München 1802.
169
Nach der Verordnung vom 30. April 1802 (RegBl. 1802, Sp. 351 – 354) sollte ein Teil der Exemplare des Entwurfs durch Münchener Buchhändler an das interessierte Publikum verkauft werden. Gleichzeitig wurde in Anbetracht verschiedener »Mißdeutungen« betont, daß es sich bei dem publizierten Strafgesetzbuch lediglich um einen Entwurf handele, dem »dermal keine verbindende Kraft« zukomme (Sp. 353).
170
Datum des Todes des Kurfürsten Karl Theodor und damit des offiziellen Regierungsantritts von Max IV. Joseph in Kurpfalzbayern.