BayHStA Staatsrat 201
6 Blätter. Unterschriften des Königs und der Minister. Protokoll: Kobell.
Anwesend:
Staats- und Konferenzminister: Montgelas; Reigersberg.
Geheime Räte: Graf v. Preysing; Ignaz Graf v. Arco; Graf v. Toerring-Gutenzell; v. Zentner; Franz v. Krenner; Carl Maria Graf v. Arco; Freiherr v. Aretin; v. Effner; v. Schenk; Freiherr v. Asbeck; v. Feuerbach; Graf v. Welsberg.
Fiskalstreit
Der von Aretin verlesene Reskriptsentwurf in der Streitsache des Fiskus gegen Freiherrn von Kistler wird mit einer Änderung angenommen.
{1r} 1. Seine Excellenz der königliche geheime Staats- und Konferenz Minister Herr Graf von Montgelas, welche bei Verhinderung Seiner Majestät des Königs den Vorsiz in der auf heute angeordneten geheimen Raths Sizung führten, forderten den königlichen geheimen Rath Freiherrn von Aretin auf, den Reskripts Entwurf, den derselbe {1v} in Folge des allerhöchsten Beschlußes vom 29en v. M. in der Forderungs Sache des Peter Freiherrn von Kistler gegen den Fiscus von 5.978.705 fl. verfaßet, abzulesen1838.
Herr geheimer Rath Freiherr von Aretin befolgte diese Aufforderung, indem er diesen Reskripts Entwurf an das hiesige Appellazions Gericht ablas.
Seine Excellenz der königliche geheime Staats- und Konferenz Minister Herr Graf von Montgelas verfügten hierüber die Umfrage, und als Seine Excellenz der königliche geheime Staats- und Konferenz-Minister Herr Graf von Reigersberg sowohl als alle Herrn geheimen Räthe mit diesem Aufsaze verstanden waren, und nur Herr geheimer Rath von Krenner der jüngere, er wünsche [!], daß in den ersten Erwägungs Gründen, statt das Staats Schuldenwesen überhaupt, gesezt werde „die allgemeine Verfügungen im Staats-Schuldenwesen“ weil es doch Fälle geben könne, wo der Rekurs an die Justiz Stellen in Staats Schulden Sachen offen bleiben müße, und der Ausdruk Staats Schuldenwesen überhaupt, gedeutet werden könne, als ob man die Eintretung der Justiz Stellen in allen Fällen ausschließe
so wurde dieser Reskripts-Aufsaz an das Appellazions Gericht des Isarkreises nach seiner Faßung angenommen, und nur die Aenderung darin getroffen, daß in dem ersten Erwägungs Grunde statt Staats-Schuldenwesen überhaupt {2r} gesezt werde „Staats Schuldenwesen im Allgemeinen“.
Landeskulturstreitigkeit
Welsberg berichtet über den Rechtsstreit des Wirtes Georg Seiler gegen die Gemeinde Illkofen. Streitgegenstand ist die Verteilung von Gemeindegründen. Während der Referent eine Entscheidung zugunsten Seilers beantragt, weisen Reigersberg und mehrere Geheime Räte darauf hin, daß der Rekurs an den Geheimen Rat nicht zulässig war. Der Beschluß lautet daher, den Rekurs abzuweisen.
2. Seine Excellenz der königliche geheime Staats und Konferenz Minister Herr Graf von Montgelas riefen den geheimen Rath Herrn Grafen von Welsberg auf, seinen Vortrag über die Appellation des Wirths Georg Seiler in Auburg und Illkofen1839 im Landgerichte Stadt am Hof wegen Gemeinde Gründe Vertheilung zu erstatten.
In Folge dieses Aufrufes legte Herr geheimer Rath Graf von Welsberg einen Akten Auszug über die Ursache und den Veranlaß dieses Streites, so wie die hierüber von dem Landgerichte in 1ter und dem General Commißariate in 2ter Instanz erlaßene Erkenntniße vor, führte den Inhalt der in dieser Kulturs Streit-Sache gewechselten verschiedenen Schriften an, und äußerte, er glaube, daß vorzüglich nach den gerichtlichen Disposizionen mehrerer Zeugen nicht auf den von dem Rekurrenten gebetenen nochmaligen Augenschein sondern mit Reformirung der beiden Urtheile der 1ten und 2ten Instanz dahin antragen zu müßen, reformando zu erkennen „daß dem Wirthe zu Auburg Georg Seiler rüksichtlich seines in Illkofen besizenden Zubaugutes der von der Gemeinde Illkofen bei der Vertheilung reservirte Gemeinde Antheil ohne weitere Loosung und {2v} mit der Obliegenheit zu überlaßen seie, daß Seiler in Zeit eines Jahres auf seiner Brandstatt daselbst ein Haus baue und daßelbe ordentlich bemaiere.
Von Seiner Excellenz dem königlichen geheimen Staats- und Konferenz Minister Herrn Grafen von Reigersberg und einigen andern Herrn geheimen Räthen wurde die Ablesung der Urtheile des Landgerichts in erster und des General Kommißariats des Regenkreises in 2ter Instanz verlangt, und da man sich daraus überzeugt, daß diese beide Urtheile konform und vor dem 19ten [!] August 1810 erlaßen waren und folglich nach den damaligen gesezlichen Bestimmungen bei zwei gleichlautenden Erkenntnißen kein Rekurs an den geheimen Rath statt haben konnte, da erst unterm 19en August 1810 diese Beschränkung von Seiner Majestät dem Könige aufgehoben worden1840, so wurde nach verfügter Umfrage und nach einstimmiger Meinung der Herrn geheimen Raths Mitglieder
beschloßen, dem General Kommißariate des Regenkreises zu eröfnen, daß da Georg Seiler seinen Rekurs an den geheimen Rath zu einer Zeit ergriffen, wo nach den bestandenen Gesezen gegen zwei gleichlautende Entscheidungen der 1ten und 2ten Instanz noch kein Rekurs statt haben konnte, derselbe damit abzuweisen sei.
Recht zum Bierausschank
Zentner berichtet in der Streitsache um die Bierschenke des Franz Liebhard. Der Referent beantragt, Liebhard eine Konzession zum Ausschank von Weiß- und Braunbier zu erteilen. Reigersberg und die Mehrheit der Geheimen Räte wenden dagegen ein, der Geheime Rat sei für die Erteilung von Konzessionen nicht zuständig. Statt dessen soll in dem Reskript nur von einem Ausschankrecht die Rede sein. Der Reskriptsentwurf wird entsprechend korrigiert.
3. Von Seiner Excellenz dem königlichen geheimen Staats und Konferenz Minister Herrn Grafen von Montgelas aufgerufen {3r} erstattete der königliche geheime Rath Herr von Zentner über die Rekurs Sache des Franz Liebhard, Besizer des Garnergutes zu Argeth1841, Landgerichts Wofrathshausen deßen Bierschenke betreffend, schriftlichen Vortrag worin derselbe die Ursache und den Veranlaß dieses Streites vorlegte, die in dieser Sache ergangene Erkenntniße und Aufträge der ehemaligen Hofkammer und oberen Landesregierung dann des Landgerichts Wolfratshausen und des General Kommißariats des Isarkreises anführte, dieselbe zum Theil ablas, zeigte, wie dieser Gegenstand gegen die Meinung der Polizei Section an den geheimen Rath gekommen, und dann zu seinem Gutachten übergieng.
Rüksichtlich der Kompetenz des geheimen Rathes bemerkte Herr geheimer Rath von Zentner, daß diese keinem Zweifel unterliegen könne, da der Streit die Berechtigung zu einem Gewerbe betreffe, worüber bei zwei Stellen Verhandlungen gepflogen worden und von denselben Erkenntniße ergangen seien. Auch in Beziehung auf die Formalien zeige sich kein Anstand.
In der Hauptsache komme es auf folgende zwei Fragen an 1) ist die Liebhardsche Conceßion als erloschen, oder einzig auf das Ausschenken des weisen Biers beschränkt anzusehen. 2) Kann der Wirth Liedl zu Saurlach {3v} eine ausschließliche Bierschanks Gerechtigkeit zu Argeth behaupten.
Nachdem Herr geheimer Rath von Zentner diese beide Fragen nach Lage der Akten beantwortet und angeführt hatte, welche Ansicht und Meinung die Polizei Section in dieser Streitsache gehabt, auch die unterm 9 September 1807 wegen dem Verschleiß des weisen Waizen Biers erlaßene Verordnung vorlegte1842, machte er den Antrag, dem Liebhard nebst der Conceßion zum Ausschenken des weisen Biers auch eine Conceßion zum Ausschenken des braunen Biers zu bewilligen, und las einen hiernach verfaßten Reskripts-Entwurf ab, worin dem Franz Liebhard nebst der ihm bereits zustehenden Conceßion weises Bier auszuschenken, auch die weitere personelle Conceßion zum Ausschenken des braunen Biers verwilligt werden solle.
Bei der von Seiner Excellenz dem Herrn geheimen Staats und Konferenz Minister Grafen von Montgelas verfügten Umfrage erklärten sich zwei Stimmen mit dem Antrage des Herrn Referenten verstanden.
Allein Seine Excellenz der königliche geheime Staats und Konferenz Minister Herr Graf von Reigersberg und die übrige Herrn geheimen Räthe waren der Meinung, daß der geheime Rath nach der ihme {4r} gegebenen Instruction und nach seiner Formazion nicht in die Verleihung der Conceßionen eingehen könne, welche Bewilligung blos zu dem Geschäftskreise der Ministeriums des Innern gehöre, sondern daß derselbe sich auf die Entscheidung der rechtlichen Frage beschränken müße, ob dem Liebhard das Recht weises, und nach der Verordnung vom 9 September 1807 auch braunes Bier zu schenken zustehe, oder ob die dagegen in dem entstandenen Streite angebrachten Gründe hinreichend seien, dem Liebhard diese Befugniß abzusprechen.
So wurde nach der Mehrheit, welche sich für die Befugniß des Liebhard weises und braunes Bier zu schenken erklärte
beschloßen, in dem Reskripts Aufsaze mit Umgehung der dem Liebhard nebst der bereits zustehenden weisen Bier Conceßion noch weiter zu ertheilenden personellen Conceßion zum Ausschenken des braunen Biers nur auszusprechen, daß derselbe berechtigt seie, sowohl weises als braunes Bier Verleit zu geben.
In Folge dieses Beschlußes änderte Herr geheimer Rath von Zentner seinen Reskripts Aufsaz, las ihn ab
und derselbe wurde nach der geänderten Faßung angenommen, dabei auch beschloßen, nach geschehener Expedition dieses Reskripts, die Akten an das Finanz Ministerium geben zu laßen.
Waldbereinigung
Welsberg berichtet in der Streitsache um die Waldbereinigung in Miltach. Die Beschwerde der Gemeinde gründet auf einem Ablehnungsgesuch (Perhorreszenzklage). Der Referent bejaht die Kompetenz des Geheimen Rates, will aber von einer Entscheidung über die Perhorreszenzklage absehen. Minister Reigersberg vertritt die gegenteilige Ansicht; in der Hauptsache – der Waldbereinigung – kann der Geheime Rat allerdings keine Entscheidung treffen. Die Geheimen Räte folgen mehrheitlich der Ansicht des Ministers.
4. In einem schriftlichen Vortrag {4v} äußerte sich der königliche geheime Rath Herr Graf von Welsberg, nachdem er von Seiner Excellenz dem königlichen geheimen Staats und Konferenz Minister Herrn Grafen von Montgelas hiezu aufgefordert war, daß er in der Wald-Purifications Sache zu Miltach, der Roßberg genannt, zum Referenten aufgestellt worden, und nach Durchgehung der Akten gefunden habe, daß eigentlich der in dieser Sache ergriffene Rekurs sich auf eine Perhorreszenz Klage1843 der Gemeinde Miltach gegen das Landgericht Közing1844 beziehe, welches von dem General-Commißariate des Regenkreises beauftragt worden, eine Tagfahrt zu einem Vergleich rüksichtlich dieser Wald Purification anzuberaumen.
Die Gründe, so die Gemeinde zu dieser Perhorreszenz angebracht, wurden vom Herrn Grafen v. Welsberg vorgelegt, und bemerket, daß das General Commißariat diese abgewiesen und erst nach dieser Abweisung die Widerlegung des Landgerichts erfolgt sei.
Das Perhorreszenz Gesuch der Gemeinde Miltach seie nach Vorschrift der Gerichts-Ordnung dem Obergericht übergeben, und deßwegen kein Bedenken zu machen, und eben so wenig trete ein versäumtes Fatale ein, und aus diesem Grunde, und weil die Purifizirung eines Waldes eine Kulturs Sache seie, unterliege die Kompetenz des geheimen Rathes keinem Zweifel.
{5r} Nach Anführung der neueren Gründe, welche die Gemeinde zu Belegung ihrer Perhorreszenz Klage in ihrer Rekurs Schrift angebracht, machte Herr geheimer Rath Graf von Welsberg den Antrag, die Gemeinde mit ihrem grundlosen Perhorreszenz Gesuch um so mehr ab, und auf die Entscheidung des General Kommißariats zu verweisen, als derlei Kulturs Angelegenheiten ohne überflüßige und nur verzögernde Einstreuungen zu schlichten sind, und weil der Gemeinde Miltach nebst dem Landgerichte noch zwei Instanzen bleiben, wodurch sie wegen Entscheidung ihrer Sache in merito ganz unbesorgt sein können.
Diesem Antrage fügte Herr geheimer Rath Graf von Welsberg noch mehrere Betrachtungen bei, woraus er folgerte, daß der eben erwiesenen Kompetenz des geheimen Rathes ohngeachtet, dieser Perhorreszenz Fall gegenwärtig nicht zu entscheiden sein werde, sondern die gesammelte Akten dem königlichen Ministerium der auswärtigen Geschäften zur vorläufigen ordnungsmäsigen Einleitung durch die Lehen und Hoheits Section zu übergeben wären.
Seine Excellenz der königliche geheime Staats und Konferenz Minister Herr Graf von Montgelas ließen über diesen Antrag abstimmen.
Seine Excellenz der königliche geheime Staats und Konferenz Minister Herr {5v} Graf von Reigersberg äußerten daß Sie gegen den Antrag des Herrn Referenten glaubten, diese auf dem vorgeschriebenen Wege an den geheimen Rath gekommene Perhorreszenz Klage müßte von dem geheimen Rathe gleich und nach den vorliegenden Akten dahin entschieden werden, daß die Gemeinde ab und auf das Erkenntniß des General Commißariats d. d. 8ten September d. J. zu verweisen wäre. Seine Excellenz hätten gewünscht, daß das General Commißariat vor seiner Entscheidung das Landgericht vernommen, allein, da solches später seine Erläuterung darüber abgegeben, so würden sie es dabei belaßen. In der Hauptsache der Wald Purification könne der geheime Rath keine Entscheidung faßen, da deßwegen kein Rekurs an ihn gebracht worden.
Mit dieser Meinung des Herrn Justiz Ministers vereinigte sich die Mehrheit der Herrn geheimen Räthe, und fügten derselben bei, daß nach geschehener Expedition dieser Abweisung die Akten an das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten gegeben werden könnten, um dieselbe durch die Lehen- und Hoheits Section einsehen zu laßen, da vorkomme, daß der Wald Roßberg eine Pertinenz der ritterlehenbaren Hofmark Miltach seie.
Herr geheimer Rath Freiherr von Aretin hatte eine eigene Ansicht, und äußerte, daß, da die Hauptsache die Frage über das Eigenthum und die Purification {6r} der Waldungen eine Justiz Sache seie, auch diese Perhorreszenz Klage als ein Theil des Ganzen durch das General Commißariat an die Justiz Stellen gegeben werden müßte.
In der Voraussezung, daß die Frage über das Eigenthum und die Purification des Waldes vor den Justiz Stellen ausgestritten werden müßte, schloß sich auch geheimer Rath von Feuerbach der Meinung des Freiherrn von Aretin an.
In Folge der Mehrheit der Abstimmungen
wurde beschloßen, in die Hauptsache sich nicht einzulaßen, sondern die Gemeinde Miltach mit ihrem Perhorreszenz Gesuch ab- und auf das Erkenntniß des General Kommißariats vom 8 September d. J. anzuweisen. Nach geschehener Expedition dieser Abweisung wären die Akten an das auswärtige Ministerium zu geben1845.
Bestätigung der Beschlüsse durch den König (8. Dezember 1810).
Anmerkungen
Die Verordnung betr. die „Vervollständigung der Kompetenzregulirung des königlichen geheimen Rathes in administrativ, polizeilich und finanziellen Gegenständen“ vom 8. August 1810 wurde der Öffentlichkeit im Regierungsblatt vom 18. August bekannt gemacht (RegBl. 1810, Sp. 642-646). Fortan konnte in „Kulturstreitigkeiten“ auch dann die Berufung an den Geheimen Rat genommen werden, wenn „zwei gleichlautende Erkenntnisse der untern Instanzen vorliegen“ (Tit. I, Art. 1 Nr. 1, Sp. 643).
Mit der Verordnung betr. „[d]en unbeschränkten Verschleiß des braunen und weißen Biers“ vom 9. September 1807 (RegBl. 1807, Sp. 1492f.) gestattete der König „in Unseren sämtlichen Staaten den Wirthen, welche bisher bei den gedachten Bräuereien [sc. den Staatsbrauereien] das weiße Bier abnehmen mußten, und auf den weißen Bier-Verschleiß allein beschränkt waren, künftig auch den Verschleiß, und die Beilegung des braunen Bieres dergestalt zu gestatten, daß sie jedoch gehalten seyn sollen, zur Befriedigung des Publikums immer auch weißes Bier sich beizulegen“.
Bekanntmachung der in dieser Sitzung erledigten Rekurssachen (TOP 2, 3 u. 4): RegBl. 1810, Sp. 1384f.