Als Leiter des im Jahr 2000 begründeten Editionsvorhabens „Die Protokolle des Bayerischen Staatsrats 1799 bis 1817“ legen wir hiermit den dritten, bislang umfänglichsten Band der Reihe vor, nachdem Band 1 (1799 bis 1801) 2006 und Band 2 (1802 bis 1807) 2008 publiziert worden sind. Der vorliegende Band umfasst jene 76 Sitzungen der Geheimen Staatskonferenz und des neu gegründeten Geheimen Rates, die in den Jahren 1808 bis 1810 stattfanden. Diese drei Jahre sind gewissermaßen die „Achsenjahre“ für die innenpolitische Umgestaltung des Königreichs Bayern in der Montgelas-Zeit, und so enthält der Band eine ganze Reihe von Dokumenten, die für die Geschichte Bayerns und des Rheinbunds von zentraler Bedeutung sind.
Nach dem zu Jahresbeginn 1808 gefassten Entschluss, für Bayern eine Verfassung zu erarbeiten, wurde im Frühjahr über diese stark unitarisch und zentralistisch geprägte Konstitution beraten, wobei sich bereits in diesen gedrängten Erörterungen wichtige Überlegungen zur künftigen Finanz- und Gesellschaftspolitik finden. Der am 1. Mai 1808 proklamierten Verfassung folgte ab Ende Juni eine lange Reihe von Gesetzen zur Umsetzung der Verfassungsbestimmungen, die „Organischen Edikte“, deren Vorlage eine eigene Organisationskommission der Ministerien verantwortete. Gegenstand dieser Edikte waren so gut wie alle zentralen Bereiche der Innen- und Justizpolitik: Kommunen, Gerichtsverfassung und Patrimonialgerichte, Lehenswesen, Neukonstitution des Adelsstandes, Ablösbarkeit grundherrlicher Abgaben, Medizinalwesen, das Verhältnis der kirchlich verfassten Konfessionen zum Staat sowie ein Familiengesetz für das wittelsbachische Königshaus.
Ab August 1808 trat die praktische Umsetzung des Aufbaus der neuen Institutionen deutlich hervor, vor allem die Auswahl des Personals für Ministerien, Kreise und Gerichtskollegien, wie die Edition ausführlich und mit einer enormen Fülle an Namen und Biogrammen dokumentiert. Außerdem begann nun die Beratung der großen Kodifikationsprojekte des Zivil-, Straf- und Handelsrechts.
Nachdem am 21. Januar 1809 noch einmal die herkömmliche Staatskonferenz getagt hatte, die aus dem König und den drei damals amtierenden Ministern Montgelas (Außen, Innen), Morawitzky (Justiz) und Hompesch (Finanzen) bestand und zu der einzelne Spitzenbeamte, die Geheimen Referendäre, fallweise zugezogen wurden, vollzog sich in einer feierlichen Zeremonie am 26. Januar 1809 die Eröffnung des neuen Geheimen Rats. Ihm gehörten 18 vorerst nur für ein Jahr ernannte Mitglieder an. Das neue Gremium trat in der Regel einmal wöchentlich in der Residenz zu einer längeren Sitzung zusammen und arbeitete dabei mit einem neuartigen Referentensystem, bei dem die Geheimen Referendäre zu bestimmten Sachfragen ein längeres, sorgfältig auf der Basis eines ausführlichen „Vortrags“ vorbereitetes „Votum“ vortrugen und eine Entscheidungsempfehlung zur Abstimmung (nach Mehrheitsprinzip!) stellten, über die schließlich der König zu entscheiden hatte.
Die Edition verdeutlicht die neue Dynamik kontroverser Diskussionen im vergrößerten Kreis von Experten, z.B. über die Grundsätze des Hypothekenrechts oder die Rechtsstellung des Adels in der Oberpfalz. Gerade das Hypothekenrecht erwies sich als derartig konfliktträchtig, dass die Erörterungen über Feuerbachs Zivilrechtsentwurf im September 1809 unterbrochen werden mussten. Langwierige Auseinandersetzungen entspannten sich auch um die im Adelsedikt von 1808 ausgesprochene Aufhebung der Fideikommisse. Weitere Beratungsschwerpunkte des Jahres 1809 betrafen das Religionsedikt und die (über eine Zwangsanleihe finanzierte) Aufstellung einer Nationalgarde.
Greifbar seit Sommer 1809 ist die Tätigkeit des Geheimen Rats als Letztinstanz in Verwaltungsstreitsachen. Bei diesen sog. „Rekurs“-Sachen (Vorinstanz waren in den meisten Fällen die General-Kommissariate der Kreise) spielten kommunale Angelegenheiten die wichtigste Rolle; sehr oft ging es um Grundstücksangelegenheiten oder strittige Beiträge zu kommunalen Lasten. Der Geheime Rat entschied nach wie vor auch über die Eröffnung eines formellen Verfahrens gegen ihre Dienstpflicht verletzende Beamte.
Disposition, Bearbeitung und Kommentierung des Quellenmaterials sowie die umfassenden Register verantwortet seit 2004 Dr. Esteban Mauerer, dem wir einmal mehr für seine völlig selbständige und stets verlässlich durchgeführte Arbeit zu danken haben. Seine Einleitung behandelt die institutionelle Entwicklung von Staatskonferenz und Geheimem Rat, arbeitet die thematischen Schwerpunkte der Beratungen heraus, stellt die Mitglieder der Kollegien in biographischen Skizzen vor und gibt die nötigen technischen Hinweise zur Edition. Das Verzeichnis der Protokolle informiert in stichwortartiger Form über die Beratungspunkte der jeweiligen Sitzung. Diese werden durch schlagwortartige Überschriften erfasst und durch Regesten vorab erschlossen. Eine besondere Leistung des Bearbeiters in diesem Band ist der eingehende Kommentar, der auch auf archivalisches Material zurückgreiftund Nachweise zu allen angesprochenen Vertrags-, Gesetzes- und Verordnungstexten bietet; außerdem dokumentiert er geänderte oder gestrichene Passagen und enthält eine Fülle biographischer Informationen zu den zahlreichen Beamtenernennungen der Jahre 1808-1810.
Bei der Veröffentlichung beschreitet die Abteilung „Protokolle des Bayerischen Staatsrats“ in Übereinstimmung mit der Gesamtstrategie der Historischen Kommission mit diesem dritten Band neue Wege in Richtung „hybrider“ Publikationsformen. Schon in den Vorjahren wurde das Material zu den Jahren 1799 bis 1807 retrodigitalisiert und ist seit 2012 im WWW unter der URL http://www.bayerischer-staatsrat.de/ mit einer Fülle von Recherchemöglichkeiten und online-Verknüpfungen bequem konsultierbar. Der vorliegende Band erscheint nun erstmals parallel in digitaler Form unter obiger URL und in einer kleinen Druckauflage. Wir bedanken uns bei den Herren Mathias Friedel und Matthias Reinert für die Arbeiten zur Druckvorbereitung und die Umsetzung der Inhalte in digitale Form.
Die Verantwortung in der Herausgeberschaft des Bandes und in der Leitung der Reihe sind seit Band 2 in neue Hände übergegangen. Hermann Rumschöttel, 1997-2008 Generaldirektor der Staatlichen Archive Bayerns, ist in den Ruhestand getreten. Er hat dem Projekt der „Protokolle“ stets fördernde Aufmerksamkeit gewidmet und seinen Bearbeitern großzügige Arbeitsmöglichkeiten im Haus an der Schönfeldstraße eingeräumt. Eberhard Weis, dessen Initiative und Beharrlichkeit die Publikation der Staatsratsprotokolle der Montgelas-Zeit ihre Realisierung im Jahr 2000 verdankt und der das Vorhaben in der Historischen Kommission bis 2013 leitete, ist am 17. Juni 2013 verstorben. Dies ist nicht der Platz, um Persönlichkeit und Forschungsleistung dieses maßgeblichsten Kenners der Montgelaszeit zu würdigen. Herausgeber und Bearbeiter möchten ein kleines Zeichen der Verbundenheit über lange Jahre und des Dankes an diese außergewöhnliche Gelehrtenpersönlichkeit abstatten, indem sie den vorliegenden Band dem Andenken an Eberhard Weis widmen.
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