BayHStA Staatsrat 254
11 Blätter. Unterschriften des Königs, des Kronprinzen und der Minister. Protokoll: Kobell.
Anwesend:
König Max Joseph; Kronprinz Ludwig.
Staats- und Konferenzminister: Montgelas; Reigersberg.
Geheime Räte: Graf v. Preysing-Hohenaschau; Ignaz Graf v. Arco; Graf v. Toerring-Gutenzell; Freiherr v. Weichs; v. Zentner; Graf v. Thurn und Taxis; Franz v. Krenner; Freiherr v. Aretin; v. Effner; v. Schenk; Freiherr v. Asbeck; v. Feuerbach; Graf v. Welsberg.
Auswirkungen des Dekrets von Trianon
Zentner trägt über die Folgewirkungen vor, die aus der Anwendung des französischen Dekrets von Trianon vom 26. August 1811 entstehen. Betroffen sind in Frankreich geborene Untertanen, die in Bayern ansässig sind oder in königlichen Diensten stehen. Berührt werden Fragen der Loyalität und der Zugehörigkeit zu einem Untertanenverband. Montgelas erkennt zwei Motive, die von französischer Seite zur Verkündung des Dekrets geführt haben: Einerseits soll durch restriktive Normen die Auswanderung von Fachkräften reduziert werden, andererseits bezweckt das Dekret, eine mit Frankreich verbundene Partei französischer Untertanen im Ausland zu schaffen. Aufgrund der politischen Implikationen sollen die von bayerischer Seite zu ergreifenden Maßregeln nicht öffentlich bekannt werden. Von einer Publikation im Regierungsblatt ist Abstand zu nehmen. Der König folgt den Anträgen Zentners und Montgelas‘. Das Ministerialdepartement des Auswärtigen ist entsprechend zu informieren.
{1v} [1.] Seine Majestät der König, welche der auf heute angeordneten geheimen Raths-Versammlung beizuwohnen geruheten, forderten den geheimen Rath von Zentner auf, den weitern Vortrag1187 über die Wirkungen des Dekretes von Trianon1188 auf die im Königreiche ansäßige oder in königlichen Diensten befindliche Unterthanen, welche in dem dermaligen französischen Reiche geboren sind, zu erstatten.
Dieser allerhöchsten Aufforderung die schuldigste Folge leistend, bemerkten geheimer Rath von Zentner, daß dieser Vortrag ein allerunterthänigstes Gutachten an Seine Majestät den König und einige Normen enthalte, welche dem Ministerial Departement der auswärtigen Angelegenheiten dienen könnten, um die häufig werdende Reklamazionen von solchen in königlichen Diensten stehenden oder im Königreiche ansäßigen Individuen zu verbescheiden, welche durch dieses kaiserlich französische Dekret beunruhiget würden.
{2r} Mehrere dieser Individuen hätten bereits an Seine Majestät den König sich gewendet, um durch Allerhöchstderoselben Einwirkung gegen alle Nachtheile hieher gestellt zu werden, die für sie in ihrer gegenwärtigen Lage daraus entstehen könnten. Auch den Staaten, in welchen dergleichen Individuen sich befänden, müßte daran gelegen sein, die Verhältniße zu kennen, in welchem sie zu ihme und gegen den andern Staat, der sie ganz oder zum Theile in Anspruch nehme, stünden.
Zur vollständigen Faßung des Dekretes von Trianon glaubten geheimer Rath von Zentner nothwendig, auf das frühere in gleichem Betreffe vor Ausbruch des oesterreichischen Krieges1189 erlaßene kaiserlich französische Dekret vom Jahre 1809 zurükzugehen1190, und lasen sowohl die hierauf sich beziehende Stelle ab, als auch wie der königliche Gesandte am kaiserlich französischen Hofe1191 über die Auslegung des Dekretes von Trianon in seinem erstatteten Berichte sich geäußert.
Um zu wißen, wie andere Höfe in Beziehung auf dieses Dekret sich benommen, seien {2v} von dem auswärtigen Ministerial Departement Berichte den königlichen Gesandten hierüber abgefordert worden, und da einige hievon inzwischen eingekommen, so lasen geheimer Rath von Zentner diejenigen ab, welche die königliche Gesandten an den Höfen von Stuttgardt, Karlsruhe und Frankfurt deßwegen erstattet1192.
Geheimer Rath von Zentner giengen hierauf auf Ihren bearbeiteten, und in der Sekzions-Sizung bereits geprüften Vortrag über, der dem Protokoll beiliegt1193 *Beylage I* [Marginalie], und äußerten, die Individuen, welche in dem Königreiche sich befänden, und auf welche das Dekret von Trianon eine Beziehung haben könnte, seien von mancherlei Gattung:
1) Ursprüngliche, nicht amnestirte französische Emigranten die theils in königliche Dienste getreten, theils bürgerliche Gewerbe ausüben, und dadurch, oder auch durch Güterbesiz sich förmlich niedergelaßen haben, theils nur, als Fremde den Schuz im Lande genießen. 2) Geborne aus dem alten Frankreich, die, ohne in die Klaße der Emigranten zu gehören, im Königreiche sich {3r} niedergelaßen haben, oder seit mehreren Jahren in den Hof- Civil- oder Militär-Diensten sich befinden. Dahin gehörten auch alle Individuen aus den ehemaligen französischen Souverainetäts Landen. 3) Geborne aus den seit der Revoluzion mit Frankreich vereinigten Landen, z. B. Überrheiner, Zweibrüker, Jülcher, Niederländer p., nach dem Beispiele des Generals von Vincent1194 selbst die aus den mit Frankreich vereinigten italienischen Landen geboren sind. Bei diesen werde zu untersuchen sein, ob sie vor oder nach der Vereinigung mit Frankreich in den königlichen Landen sich niedergelaßen hätten, oder in königliche Dienste getreten seien. 4) Solche Individuen, welche zwar in einem französischen Gebiete, aber nur zufällig geboren sind. Endlich 5) Französinen, deren Männer Baiern sind.
Geheimer Rath von Zentner legten rüksichtlich jeder Gattung dieser Individuen Ihre in dem Vortrage enthaltenen Anträge vor, {3v} führten die Gründe an, durch welche sie unterstüzt werden, und bemerkten nebst Auseinandersezung der Schwierigkeiten, die einem jeden Geschäftsmanne bei Beurtheilung dieser harten und folgenreichen Bestimmungen des Dekretes von Trianon sich entgegen stellen müßten, daß die vereinigten Sekzionen denselben in den Hauptgrundzügen vollkommen beigestimmt, nur die geheimen Räthe Freiherr von Aretin und von Feuerbach in einigen Punkten eine von der Mehrheit abweichende Meinung geäußert hätten.
Freiherr von Aretin habe nämlich geglaubt, daß denjenigen Individuen, welche in dem alten Frankreich geboren, ohne aber in die Klaße der Emigranten zu gehören, im Königreiche sich niedergelaßen, von Seite des königlich baierischen Gouvernements keine einseitige Erläuterung des Dekretes von Trianon gegeben werden sollte, welche sie allenfalls abhalten könnte, ihrer Seits die nöthigen Schritte zu machen, und wodurch sie bei allenfalls erfolgender widriger Entscheidung des Kaisers in Bezug auf jene ihnen gegebene Erläuterungen von dieser Regierung einen {4r} Schadensersaz fordern könnten.
Rüksichtlich derjenigen Individuen, welche aus Frankreich geboren und dermal in königlichen Civil- oder Militär-Diensten sich befinden, hätten die geheimen Räthe Freiherr von Aretin und von Feuerbach die Meinung vorgelegt, daß man sich bei diesen, wenn sie in königlich baierischen Diensten bleiben wollten, mit einer erhaltenen Autorisazion nicht begnügen könne, sondern dieselben entweder die unbedingte Naturalisazion erlangen, oder sich sonst von dem fremden Unterthans Verbande lossagen müßte, denn wer nur die kaiserliche Bewilligung nachsuche und erhalte, erkläre dadurch, daß er ein Fremder sein und bleiben wolle, und könne folglich nach den Bestimmungen des Reichs nicht als Baier betrachtet, folglich auch in Baiern nicht bedienstet sein.
Geheimer Rath von Zentner entwikelten noch in Ihrem Vortrage die Gründe, welche Seine Majestät den König hindern könnten, durch Allerhöchstdero Gesandtschaft in Paris in Beziehung auf diese von einzeln Individuen nachgesucht werdende Naturalisazion oder {4v} Autorisazion directe handeln zu laßen. Damit aber die dabei betheiligten königlichen Diener und Unterthanen nicht ganz des Beistandes ihres dermaligen Regenten beraubt blieben, und Seine Königliche Majestät zugleich die wahren Verhältniße solcher Individuen erfahren, und von den Schritten, welche sie bei dem französischen Gouvernement machen, wie auch von dem Erfolge in Kenntniß erhalten würden, so würden zu Erreichung dieses Zwekes einige Anträge ehrerbietigst vorgelegt.
Die Natur des Gegenstandes seie übrigens so beschaffen, daß es nicht räthlich sein könne, allgemeine Ausschreibungen oder Bekanntmachungen durch das Regierungsblatt darüber zu veranlaßen, denn bei der noch zweifelhaften Auslegung des Dekretes könnte dadurch eine strengere und ausgedehntere Anwendung deßelben herbeigeführt werden. Die vorkommenden Fälle mögten deßhalb mehr als Parthei Sache als eine Staats-Angelegenheit zu behandeln sein.
Seine Majestät der König geruheten, über diese verschiedene Anträge des Referenten die Meinungen Allerhöchstdero {5r} geheimen Staats- und Konferenz Minister und geheimen Räthen zu erfordern.
Der königliche geheime Staats und Konferenz Minister Herr Graf von Montgelas entwikelten die Schwierigkeiten, die mit Lösung der aus der Anwendung des Dekretes von Trianon fließenden Fragen verbunden, und fanden nöthig, auf die Absichten zurükzugehen, welche der Kaiser von Frankreich bei Erlaßung dieses Dekretes wahrscheinlich gehabt habe.
Sie glaubten, daß zwei Rüksichten vorzüglich hiebei gewirkt, und die Erlaßung des Dekretes, womit der Kaiser sich schon längere Zeit beschäftiget, zur Reife gebracht. 1) Dem zu häufigen Austritte der Franzosen in fremde Dienste Schranken zu sezen, ausgezeichnete Talente im Militär-Fache, in der Kunst oder in andern Gegenständen an ihr Vaterland zu binden, und zu bewirken, daß die Franzosen mehr und mehr von andern Staaten ausgeschloßen bleiben, wozu die häufigen Umgebungen der französischen Prinzen, welche auf fremde Throne gekommen, mit {5v} Franzosen den nächsten Veranlaß gegeben. 2) Ein entfernterer Grund zu dieser Maaßregel könnte darin liegen, durch die im Auslande mit kaiserlicher Autorisazion bleibende Franzosen, welche in allen Verhältnißen Unterthanen des französischen Reiches blieben, überall eine französische Parthei zu gründen, welches bei der Idee aller Franzosen, ihre Nazion an Größe und Übergewicht allen andern vorzuziehen, und bei dem dauernden Rükblike eines jeden Franzosen auf sein Vaterland und deßen Schiksale mehr und mehr erleichtert und bewerkstelliget werde.
Nach diesen Vordersäzen beurtheilten Sie die Ansichten des Referenten als richtig, wie es politisch nicht räthlich scheine, daß von der baierischen Regierung rüksichtlich dieses Dekretes öffentlich und im Wege diplomatischer Unterhandlungen einige Schritte gemacht würden, sondern daß alle Einwirkungen, welche Seine Majestät der König für die dadurch betheiligte Individuen, welche in königlichen Staatsdiensten stünden, oder sonst in Baiern ansäßig, thun zu laßen Sich {6r} entschließen würden, in der Stille und ohne allen öffentlichen Karakter geschehen müßten.
Sie giengen hierauf zu den drei Klaßen dieser Individuen über, und legten folgende allerunterthänigste Anträge vor. A) Von den nicht amnestirten französischen Emigranten, welche in Frankreich nichts mehr zu hoffen, könne gänzlich Umgang genommen und ihnen überlaßen werden, wie sie der ihnen bevorstehende[n] Gefahr, wenn sie auf französischem Gebiete betreten würden, vorkommen und ausweichen wollten. B) Bei denjenigen Individuen, auf welche das französische Dekret anwendbar, und die sich in königlichen Militär-Diensten befinden, möchte es hinreichend sein, wenn sie die kaiserlich französische Autorisazion beibrächten, in königlichen Diensten bleiben zu können. Diese hielten sie aber um so nothwendiger, als sonst die Folgen dieser Unterlaßung bei eintretendem Kriege schwerer für Sie werden könnten, als man dermal sich vorstelle. C) Rüksichtlich derjenigen Individuen, auf welche die Bestimmungen des französischen Dekretes anzuwenden, und in {6v} königlichen Diensten stünden, oder sonst durch Kauf im Reiche sich ansäßig gemacht, oder mit Bayern in nähere Verbindung getreten, und auf irgend ein konstituzionelles Recht in Baiern Anspruch machen wollten, glaubten Sie, daß es unerläßlich seie, daß sie durch eine erhaltene Erlaubniß zur Naturalisazion sich legitimirten, daß sie als französische Unterthanen förmlich entlaßen, oder daß sie, falls es ihrer Konvenienz nicht angemeßen, diese Entlaßung nachzusuchen, durch einen feierlich abzulegenden Eid darzuthun hätten, daß sie allem Verbande mit Frankreich entsaget, und ohne alle Verbindung mit irgend einem andern Staate ganz Baiern sein wollten.
Die von dem Referenten vorgeschlagene Formalitäten, welche in Beziehung auf die Herstellung der Listen bei eintretenden einzelnen Fällen zu beobachten, so wie den Grundsaz, daß keine allgemeine Ausschreibung oder Bekanntmachung durch das Regierungsblatt zu veranlaßen, fanden der königliche geheime Staats- und Konferenz-Minister Herr {7r} Graf von Montgelas ganz zwekmäsig, und vereinigten sich damit.
Der königliche geheime Staats und Konferenz-Minister Herr Graf von Reigersberg fanden der vorgängigen Abstimmung des Herrn Grafen von Montgelas nichts beizufügen, und erklärten sich mit derselben vollkommen verstanden.
Die königliche geheimen Räthe Graf von Preising, Graf von Arco, Graf von Törring, Freiherr von Weichs, Graf von Tassis, von Krenner der jüngere [d.i. Franz], von Effner, von Schenk, Freiherr von Asbek, und Graf von Welsperg äußerten sich mit den, von dem königlichen geheimen Staats und Konferenz Minister Herrn Grafen von Montgelas und dem Referenten entwikelten Ansichten verstanden.
Die geheimen Räthe Freiherr von Aretin und von Feuerbach erklärten sich zwar auch mit den gegebenen Ansichten verstanden, nur glaubten Freiherr von Aretin, daß zwischen den Militär- und Civil-Dienern kein {7v} Unterschied zu machen, indeme sonst bei ausbrechendem Kriege mehrere Individuen der baierischen Armee in unangenehme Verhältniße kommen, und für den Dienst selbst schädliche Folgen entstehen könnten. Sie wiederholten Ihre in der Sekzions-Sizung abgegebene Meinung.
Geheimer Rath von Feuerbach giengen von gleichen Ansichten aus, und bezogen sich ebenfalls auf Ihre in der Sekzions Sizung abgegebene Meinung.
Seine Majestät der König
geruheten nach Würdigung des Vortrages und der hierüber erfolgten Abstimmungen zu befehlen, daß die von Allerhöchstdero geheimen Staats und Konferenz-Minister Herrn Grafen von Montgelas entwikelte Ansichten und die Anträge des Referenten, in so weit diese nicht durch erstere abgeändert werden, dem auswärtigen Ministerial Departement als Normen mitgetheilt werden sollen, um hiernach das Nöthige einzuleiten, und in den vorkommenden Fällen sich danach zu benehmen.
Weichs trägt über die Frage vor, ob heimfällige Ritterlehen auch gegen den Willen des Afterlehensherrn in Eigentum überführt werden können. Die Minister Montgelas und Reigersberg betonen, daß die Frage durch die bestehenden Gesetze eindeutig entschieden ist. Dieser Ansicht folgen die Geheimen Räte mit deutlicher Mehrheit. Der König folgt dem Beschlußantrag.
2. Auf Befehl Seiner Majestät des Königs erstatteten geheimer Rath Freiherr von Weichs {8r} über die Frage, ob auch solche Ritterlehen, welche auf dem Heimfalle ruhen, gegen den Willen des Afterlehenherrn geeignet werden können? schriftlichen Vortrag, der dem Protokoll beiliegt1195. *Beilage II* [Marginalie]
In demselben führten Freiherr von Weichs den Veranlaß an, wodurch diese Frage einer näheren Erörterung untergeben worden, und legten vor, was auf die Reklamazionen des Philipp Freiherrn von Stauffenberg1196 gegen die Allodifikazionen der von dem Grafen Voit von Reinek1197 tragenden Afterlehen von dem auswärtigen Ministerial-Departement erlaßen worden, und nach welchen Ansichten dieser spezielle Fall und die Hauptfrage von dem Legazions-Rathe Stumpf1198 und der Lehen- und Hoheits-Sekzion beurtheilet worden.
Da mit diesem Gegenstande auch noch die Erörterung der weiteren Frage zum königlichen geheimen Rathe gegeben worden: ob, und wie einem königlichen Vasallen, deßen Lehen auf dem Heimfalle ruhe, die Allodifikazion der dazu gehörigen Afterlehen erlaubt, solange das {8v} Haupt-Lehen nicht geeignet seie? so bemerkten Freiherr von Weichs, wie es Ihnen scheine, daß man von der hierüber erschienenen landesherrlichen Erklärung abgegangen seie.
In Beziehung auf den besondern Fall der Eignung des Afterlehens des Freiherrn [!] Voit von Reinek äußerten Freiherr von Weichs die Meinung: daß bei Eignung der Lehen kein Unterschied gemacht werden sollte, ob der Lehenherr Seiner Königlichen Majestät oder ein Privat-Mann seie, und glaubten also, daß die Privat-Afterlehenherrn nicht verbunden sein könnten, vor der gesezlichen Frist, in welcher die Eignung geschehen sollte, ein auf dem Heimfalle ruhendes Afterlehen eignen laßen.
Nach Verlauf dieser Frist aber wäre das Afterlehen in Erbrecht zu verwandeln, wodurch dem Afterlehenherrn im Grunde kein Schaden, sondern nur das einzige Unangenehme zugehe, daß er sich mit den Zinsen des Kapitals in solange begnügen müße, bis die grundherrliche Rente kapitalisch abgelöset werde. {9r} Ob aber diese Grund Rente derjenigen Afterlehen kapitalisch abgelöset werden könne, deren Hauptlehen auf dem Heimfall beruheten, das heiße, ob und wie einem königlichen Vasallen, deßen Lehen auf dem Heimfalle beruheten, die Allodialisirung der dazu gehörigen Afterlehen erlaubt seie, seie eine andere Frage.
Da ein Private [!] nicht Lehenherr bleiben könne1199, so müße auch in diesem Falle die Eignung gestattet werden; dieselbe könne aber Ihres Dafürhaltens nur mit gleichzeitiger Einwirkung des ersten Lehenherrn, das heiße, Seiner Königlichen Majestät besonderer Einwilligung geschehen, und im Falle auf eine Vergütung durch Kapital abgeschloßen werden sollte, so müßte das Eigenthum davon Seiner Königlichen Majestät bleiben. Der Vasall, deßen Lehen auf dem Heimfalle beruhe, wäre nur Nuznießer und erhielte nur die Zinsen, so wie die allenfalls regulirten Bodenzinse oder Grund Renten dem After-Lehenherrn auch nur unzinslich gebührten und erst nach seinem {9v} Tode abgelöst werden könnten, wenn nicht das Ablösungs Kapital bei dem Staate aufgelegt würde.
Sollte Ihrer Meinung über den Vortrag des Freiherrn von Aretin, die Auflösung der Privat-Lehen betreffend, beigestimmt werden, so mögte auch über diese Frage zugleich in den vereinigten Sizungen der Sekzionen des Innern, der Justiz und der Finanzen vorgetragen werden. Was aber die Bitte des Freiherrn von Stauffenberg betreffe, so wäre an Seine Majestät den König zu begutachten, daß während der Zeit, welche zu Allodialisirung der Privat-Lehen gegeben, die Allodialisirung des von dem Freiherrn [!] Voit von Reinek besizenden Afterlehens gegen den Willen des Afterlehen-Herrn nicht statt habe. Nach Verfluß dieser Zeit aber nach den in der Lehen-Verordnung bestimmten Normen zu verfahren seie1200.
Von Seiner Majestät dem Könige aufgefordert, äußerten der {10r} der [!] königliche geheime Staats und Konferenz Minister Herr Graf von Montgelas, daß diese beide Fragen durch das königliche Lehen Edict und die königliche Erklärung bereits entschieden1201, und bei dem aufgestellten Grundsaze, daß künftig keine als die königliche Oberstlehen-Herrschaft im Reiche bestehen solle, keiner näheren Berathung mehr bedürften. Der diese Frage veranlaßt habende Fall mögte an das auswärtige Ministerial-Departement zurükzugeben sein, um da nach den bestehenden königlichen Verordnungen verbeschieden zu werden.
Der königliche geheime Staats- und Konferenz Minister Herr Graf von Reigersberg fanden die Bestimmungen, so über diese Fälle aufgestellt, zwar für die Privatlehenherrn hart, allein, da die gesezliche Verordnungen dieselbe deutlich entschieden, und bereits auch in manchen Fällen in Wirkung gekommen, so bleibe nichts übrig, als diesen neuen Fall auch hiernach verbescheiden zu laßen.
Die geheimen Räthe Grafen von Preising und von Arco der ältere [d.i. Ignaz] glaubten mit dem Referenten, daß diese Frage noch einer näheren Discußion {10v} der vereinigten geheimen Raths Sekzionen zu untergeben, und eine Erläuterung darüber zu erlaßen seie.
Geheimer Rath Graf von Törring beurtheilten die gegebene gesezliche Bestimmung, daß zwischen den königlichen und Privat-Lehen ein Unterschied gemacht werde, zwar hart, allein bei dem straken1202 Buchstaben des Gesezes bleibe nichts anders übrig, als die vorliegende Fragen darnach zu entscheiden.
Die geheimen Räthe von Zentner und Graf von Tassis stimmten ebenfalls für Entscheidung der vorliegenden Fragen nach den bestehenden gesezlichen Bestimmungen, wobei von Zentner bemerkten, daß auf das Heimfall-Recht keine Rüksicht zu nehmen seie, da der Grundsaz bestehe, daß jedes Privat-Lehen allodifiziret werden müße, und folglich, wo der ganze corpus die Leheneigenschaft verliere, dieses auch bei den Afterlehen eintreten müße.
Geheimer Rath von Krenner der jüngere [d.i. Franz] hatten einen abweichende Meinung, welche Sie zu Protokoll gaben1203. *Beilage III* [Marginalie]
Geheimer Rath Freiherr von Aretin theilten zwar vollkommen die Ansicht, daß diese zur Berathung gegebene Fragen durch die bestehende gesezliche Bestimmungen bereits entschieden seien, allein durch das vorhergehende Votum aufgefordert, und um die früheren Verhältniße, wodurch dieser Unterschied zwischen den königlichen {11r} und Privat-Lehen veranlaßt worden, zu entwikeln, gaben Sie das anliegende Votum zu Protokoll1204. *Beilage IV* [Marginalie]
Die geheimen Räthe von Effner, von Schenk, von Feuerbach und Graf von Welsperg beurtheilten diese Fragen als durch die bestehenden Edicte entschieden, und glaubten, daß sie darnach zu entscheiden.
Geheimer Rath Freiherr von Asbek waren wegen Unpäßlichkeit bei der Abstimmung nicht gegenwärtig.
Seine Majestät der König geruheten, hierauf zu beschließen, daß die von dem Referenten in dem Vortrage behandelte Fragen, als bereits entschieden, keiner näheren Discußion und Entschließung bedürften, und der einzelne Fall des Freiherrn von Stauffenberg an das auswärtige Ministerial-Departement zurükzugeben seie, um denselben nach dem Lehen-Edicte und der gegebenen Erläuterung1205 zu verbescheiden.
Der König bestätigt die Beschlüsse des Geheimen Rates, da sie mit den von ihm in der Sitzung gefaßten Entscheidungen übereinstimmen (14. Januar 1812).
Anmerkungen
„Décret impérial concernant les Français naturalisés en pays étranger avec ou sans autorisation de l’Empereur, et ceux qui sont déjà entrés ou qui voudraient entrer à l’avenir au service d’une Puissance étrangère“ vom 26. August 1811, Bulletin des lois de l’Empire français, 4. Serie, Bd. 15 (1812), Nr. 7186, S. 182-187 (Erstdruck: Le Moniteur universel Nr. 246 vom 3. September 1811, S. 942). Das Dekret wurde kurz nach Erscheinen in die deutsche Sprache übersetzt: Österreichischer Beobachter Nr. 256 vom 20. September 1811, S. 1051-1053.
v. Zentner, „Weiterer Vortrag über die Wirkungen des Dekrets von Trianon auf die im Königreiche ansässigen oder in königlichen Diensten befindlichen Unterthanen, welche in dem dermaligen französischen Reiche geboren sind“, lithographierter Text, 13 S., BayHStA Staatsrat 254 (weiteres Exemplar: Staatsrat 2489). Randbemerkung: „Beylage No 1 zum Prot. vom 9ten Jänner 1812.“
Carl von Vincenti (1764-1812), aus einer in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts aus Norditalien in die Kurpfalz migrierten Familie, trat 1781 in das kurpfalzbayerische Militär ein. 1791 Hauptmann, 1794 Major, 1807 Generalmajor und Brigadier, 1812 in Rußland gefallen. Vgl. [Anonym], Die Generale des k. bayerischen Heeres, [Abschnitt] Generalmajore, Nr. 50; Cast, Adelsbuch, S. 330f. (Genealogie).
„Edikt über die Lehen-Verhältnisse im Königreiche Baiern“ vom 7. Juli 1808, Kap. 3 „Von dem Erlöschen der Privat- und After-Lehen“, §§ 22-33, RegBl. 1808, Sp. 1897-1899.
Das „Edikt über die Lehen-Verhältnisse im Königreiche Baiern“ vom 7. Juli 1808, RegBl. 1808, Sp. 1893-1932 = DVR Nr. 289, S. 681-705, statuierte, daß künftig nur noch vom König selbst oder in seinem Namen verliehene „Mann-Lehen der Krone“ bestanden (§§ 1-2). Da alle Lehen nur noch vom König ausgingen, konnte es in Bayern keinen Lehensherrn außer dem König geben (§ 22). Privat- und Afterlehen erloschen daher (§§ 23-24) und waren zu allodifizieren oder in andere Grundverträge umzuwandeln (§ 25). Die einvernehmliche Einigung zwischen den Privat- bzw. Afterlehensherren und ihren Grundholden hatte bis zum 1. Januar 1810 zu erfolgen (§ 26), die entsprechenden Verträge waren von Seiten des Staates zu bestätigen (§ 27). Kam es in der bezeichneten Frist nicht zu einer „gütliche[n] Ausgleichung“, so sollten die Lehen in „bodenzinsiges Eigenthum“ umgeändert werden (§ 28). Dazu ergingen präzisierende Regelungen (§§ 29-33).
Neben dem Edikt über die Lehenverhältnisse (s. vorige Anmerkung) war insbesondere die königliche Erklärung betr. die „Auflösung der Privat-Lehen“ vom 16. August 1810, RegBl. 1810, Sp. 657-660, einschlägig.
Vgl. die im RegBl. 1808, Sp. 1893-1932, bzw. RegBl. 1810, Sp. 657-660, gedruckten Verordnungen vom 7. Juli 1808 und 16. August 1810.