BayHStA Staatsrat 212

10 Blätter. Unterschriften des Königs, des Kronprinzen und der Minister. Protokoll: Kobell.

Anwesend:

König Max Joseph; Kronprinz Ludwig.

Staats- und Konferenzminister: Graf v. Montgelas; Graf v. Reigersberg.

Geheime Räte: Graf v. Preysing-Hohenaschau; Ignaz Graf v. Arco; v. Zentner; Graf v. Thurn und Taxis; Franz v. Krenner; Carl Maria Graf v. Arco; Freiherr v. Aretin; v. Effner; v. Schenk; Freiherr v. Asbeck; v. Feuerbach; Graf v. Welsberg.

Vorwurf der Bestechlichkeit

Effner trägt vor, Dr. Schneider, vormals Anführer der aufständischen Vorarlberger, habe dem Generalkommissär des Oberdonaukreises Gravenreuth Bestechlichkeit vorgeworfen. Nach eingehender Darlegung und Prüfung des Falles kommt Effner zu dem Ergebnis, daß eine gerichtliche Untersuchung der Vorwürfe nicht angezeigt ist. In der Umfrage schließt sich Montgelas dem Antrag Effners an; weitere, nicht auf juristische Tatbestände abzielende Untersuchungen des Falles sollen nicht stattfinden. Reigersberg vertritt eine abweichende Ansicht. Die übrigen Geheimen Räte folgen Effners Antrag und verlangen eine Präzisierung des Bestechungstatbestandes im neuen Strafrecht. Der König beschließt, daß eine gerichtliche Untersuchung gegen Gravenreuth unterbleiben soll.

{1v} 1. Seine Majestät der König, Allerhöchstwelche der auf heute Frühe angeordneten geheimen Raths Versammlung beizuwohnen geruheten, forderten den geheimen Rath von Effner auf, den bearbeiteten Vortrag wegen den von dem Doctor Schneider285 gegen den königlichen General-Kommißär Freiherrn von Gravenreuth286 angegebenen Beschuldigungen eines erhaltenen Geschenkes an Vieh zu erstatten.

Zu allerunterthänigster Befolgung dieses allerhöchsten Befehles führte geheimer Rath von Effner in seinem dem Protokoll beiliegenden Vortrage287 die Geschichte dieser von Doctor Schneider angebrachten Anschuldigungen an, und bemerkte, daß durch einen königlichen Ministerial-Beschluß bereits, ehe noch über mehrere Anzeigen des Doctor Schneider gegen andere Staatsdiener der ehemaligen Provinz Schwaben288 in dem geheimen Rathe Vortrag abgelegt war, Freiherr von Gravenreuth über diese ihn betheiligende Angabe vernommen, und nach einem Schluße des königlichen geheimen Rathes dem Appellazions-Gericht des Iller-Kreises Folgendes eröfnet worden: „Was die in gedachten Anzeigen vorkommende Beschuldigungen gegen Unsern General-Commissaire {2r} Freiherrn von Gravenreuth betrifft, so haben Wir sie demselben im Auszuge vorläufig zu seiner Erklärung und Verantwortung zuschließen laßen, und wenn diese Uns eingekommen sein wird, werden Wir auch hierüber Unsere weitere Entschließung ertheilen“.

Das königliche Justiz Ministerium habe geglaubt, daß durch die ihme per Protocollum zugekommene Erklärung des Freiherrn von Gravenreuth der Vorwurf und der Schein einer wirklich vor sich gegangenen Bestechung noch nicht hinlänglich abgelehnt sei, in so ferne die Worte und der Sinn der Verordnung vom 9ten Juni 1807, die Bestechung der Staatsbeamten betreffend289, damit verglichen werde, und ohne sich ein kompetirendes absprechendes Urtheil in dieser Sache zu erlauben, die Meinung geäußert, daß von Freiherr von Gravenreuth die Vorlage der Korrespondenzen und Quittungen über das bezalte Vieh in Urschriften abzuverlangen.

Auf diese Außerung des Justiz Ministeriums seie diese Korrespondenz abverlangt worden, und es komme nunmehr darauf an, dem {2v} königlichen geheimen Rathe die Frage vorzulegen: ob nach diesen Erklärungen des Freiherrn von Gravenreuth, derselbe vor das einschlagende Gericht zu stellen seie oder nicht?

Geheimer Rath von Effner führte hierauf zu Lösung dieser Frage, die Geschichts Erzählung über diesen Viehankauf mit den betreffenden Anlagen und Belegen wörtlich an, welche Freiherr von Gravenreuth mit seiner Erklärung eingesendet, und äußerte, die Frage: ob gegen den General-Kommißär Freiherrn von Gravenreuth die gerichtliche Untersuchung beschloßen werden könne?, zerfalle in folgende Unterfragen: 1) Enthält diese Anschuldigung ein Kriminal-Verbrechen? 2) Ist dieses Verbrechen erwiesen, oder sind wenigstens solche Anzeigen darüber vorhanden, worauf eine gerichtliche Untersuchung gegründet werden kann?

Nachdem geheimer Rath von Effner diese Unterfragen untersucht und beantwortet hatte, legte derselbe hinsichtlich der zweiten das Resultat vor, daß wenn daher von Seite des Beschenkten oder zu Beschenkenden der Begriff der Bestechung, oder der Vollendung derselben nicht {3r} eintrete, so könne auch gegen den Freiherrn von Gravenreuth eine gerichtliche Untersuchung nicht eintreten, und war sohin der Meinung: es seie dem Appellazions Gericht des Iller-Kreises, welchem durch das lezte Reskript die Eröfnung des Resultates über die von Gravenreuthsche Verantwortung zugesagt worden, Folgendes zu eröfnen: „Man habe sich über die von dem königlichen General Kommißär Freiherrn von Gravenreuth wegen der gegen ihn durch die Außagen des Doctor Schneider angebrachten Beschuldigung eines erhaltenen Geschenkes an Vieh eingelaufenen Verantwortung nebst beigefügten urschriftlichen Belegen in dem königlichen geheimen Rathe umständlichen Vortrag erstatten laßen, und beschloßen, daß über diese Anschuldigungen eine gerichtliche Untersuchung gegen den beschuldigten Freiherrn von Gravenreuth nicht statt finde.“

Geheimer Rath von Effner bemerkte, er glaube hiemit seinen Antrag an den geheimen Rath beschließen zu müßen, denn es scheine {3v} ihm nur ein Gegenstand der Adminis­trazion zu sein, und daher von dem Ermeßen des betreffenden königlichen Ministeriums abzuhangen, welche Entschließung dem Freiherrn von Gravenreuth auf deßen Berichte gegeben werden wolle, ob ihme nämlich von dem Beschluße des königlichen geheimen Rathes, und der an das Appellazions Gericht des Iller-Kreises geschehenen Ausschreibung deßelben blos Nachricht ertheilt, oder ob das Benehmen dieses Staatsdieners bei der vorliegenden Geschichte, welches in dem gegenwärtigen Vortrage nur nach streng rechtlichen Ansichten betrachtet worden, auch von politisch und administrativer Seite wolle angesehen, und hiernach der abzufaßenden Entschließung die Richtung gegeben werden. Dieser Aeußerung fügte geheimer Rath von Effner einige Betrachtungen bei, welche das Benehmen des Freiherrn von Gravenreuth in administrativer Hinsicht beleuchten.

Seine Majestät der König geruheten, über diesen Antrag die Meinungen der königlichen Herrn Minister und der königlichen geheimen Räthe zu erholen.

Der königliche geheime Staats und Konferenz Minister Herr {4r} Graf von Montgelas äußerten, in dieser vorgetragenen Sache, wo eine Handlung eines der obersten Staatsdiener zur Beurtheilung vorliege, komme es nach Ihrer Ansicht vorzüglich darauf an, ob ein Anerbieten dieser Art von einer ganzen Korporazion einer Provinz dem ersten Staats-Beamten gemacht, und das Benehmen dieses Staatsbeamten, so wie es vorgelegt worden, geradehin in die Kategorie des Verbrechens der Bestechung falle oder nicht?

Nach Ihrer Überzeugung konnten Sie daßelbe, selbst nach den bestehenden Gesezen und dem neuesten königlichen Mandat gegen die Bestechung290 nicht dafür ansehen, und müßten aussprechen, daß eine gerichtliche Untersuchung gegen den Freiherrn von Gravenreuth nicht eintreten könne.

Sie würden daher nach der Meinung des Referenten das Appellazions Gericht des Iller-Kreises verbescheiden, und dem Freiherrn von Gravenreuth Nachricht hievon ertheilen, ohne die Sache weiters in administrativer Rüksicht beurtheilen und ahnden zu laßen, denn obschon Sie mit dem Benehmen des Freiherrn von Gravenreuth als ersten königlichen Staatsbeamten in einer Provinz nicht zufrieden seien, und Ihnen die Art und {4v} die dabei vorgefallene Zögerungen einen Entschluß zu faßen und auszuführen nicht gefalle, so würden Sie doch hievon gänzlich abstrahiren, weil die Sache manche delikate Seite habe.

Der königliche geheime Staats und Konferenz Minister Herr Graf von Reigersberg hatten von dieser Sache eine andere Meinung, welche dieselbe in dem dem Protokoll beigefügten Voto vorlegten291.

Alle übrige königliche geheimen Räthe theilten die Ansicht des Referenten, und vereinigten sich mit deßen Antrag, dem geheimen Rath von Zentner nur beifügte, wie er wünsche, daß bei der neuen peinlichen Gesezgebung ausgesprochen werden mögte, daß kein Staatsdiener bei Vermeidung der auf das Verbrechen der Bestechung gesezten Strafe sich erlauben solle, auch von einer ganzen Korporazion, welche Unterthan Seiner Majestät des Königs seie, ein Geschenk anzunehmen, ohne hierüber die königliche Autorisazion zu erholen. Auch wäre dieses Factum, welches den Kanzlei Direktor Kutter292 als Veranlaßer {5r} dieser ganzen Geschichte noch mehr gravire, dem Appellazions Gericht des Iller-Kreises mitzutheilen, und daßelbe in dieser Beziehung hierauf aufmerksam zu machen.

Mit der ersten Aeußerung vereinigte sich auch geheimer Rath von Schenk, die zweite wurde aber von mehreren geheimen Räthen widerlegt, weil sonst gegen die Absicht des königlichen geheimen Rathes die ganze Sache in die Hände des Gerichtes gebracht würde.

Auch bestritt geheimer Rath von Krenner der jüngere [d.i. Franz] den von dem Referenten aufgestellten Saz, daß Seine Majestät der König in diesem Falle die Bewilligung das Geschenk der Vorarlberger anzunehmen, nach den bestehenden Gesezen nicht hätten ertheilen können.

Nach Würdigung dieser verschiedenen Abstimmungen

geruheten Seine Majestät der König allergnädigst zu beschließen, daß dem Appellazions Gericht des Illerkreises durch das Justiz-Ministerium eröfnet werde, Allerhöchstdieselbe hätten sich über die von dem General-Kommißär Freiherrn von Gravenreuth wegen der ihme durch die Außagen des Dr Schneider zu Last gelegten Beschuldigung {5v} eines erhaltenen Geschenkes an Vieh, eingelaufenen Verantwortung nebst beigefügten urschriftlichen Belegen, in Allerhöchstdero geheimem Rath umständlichen Vortrag ablegen laßen, und beschloßen, daß über diese Anschuldigung eine gerichtliche Untersuchung gegen den beschuldigten Freiherrn von Gravenreuth nicht statt finde.

Die Art, wie Freiherr von Gravenreuth von dieser allerhöchsten Entschließung in Kenntniß zu sezen, solle der Beurtheilung des Ministeriums des Innern überlaßen werden, worüber Seine Majestät der König die weitere Vorlage erwarten.

Seine Majestät der König, und Seine Königliche Hoheit der Kronprinz verließen hierauf die geheime Raths Versammlung und Seine Excellenz, der königliche geheime Staats- und Konferenz-Minister Herr Graf von Montgelas, welche den Vorsiz übernahmen, forderten die geheimen Räthe von Zentner und Grafen von Welsberg auf, die für den geheimen Rath bearbeiteten Rekurs Sachen vorzutragen. In deßen Folge erstattete

Streit um eine Hutweide (R)

Zentner trägt mit Bezug auf einen Beschluß des Geheimen Rates vom 8. Oktober 1810 über den Rekurs der Gemeinde Ammerndorf zum Geheimen Rat vor; strittig sind Rechte der Gemeinde Vogtsreichenbach an einer Hutweide. Zu klären sind insbesondere die Eigentums- und Nutzungsrechte an der Hutweide. In seinem Reskriptsentwurf an das Generalkommissariat des Rezatkreises schlägt Zentner einen Vergleich vor; er formuliert auch eine Lösung, falls der Vergleich nicht zustande kommen sollte. Der Geheime Rat folgt dem Antrag.

2. der königliche geheime Rath {6r} von Zentner über den Rekurs der Gemeinde Ammerndorf Landgerichts Kadolzburg im Rezat-Kreise wegen des Theilnahms Rechtes der Gemeinde Vogtsreichenbach293 an einem zu kultivirenden Hutwasen294 schriftlichen Vortrag, und führte darin den versammelten geheimen Rath auf jenen früheren, in dem geheimen Rathe unterm 8ten Oktober vorigen Jahres abgelegten ausführlichen Vortrag und den darauf genommenen geheimen Raths Beschluß zurük295, und bemerkte, daß da inzwischen nach der neuen Territorial Eintheilung des Reichs Kadolzburg dem Rezatkreise zugetheilt worden296, das General Kommißariat deßelben die vorgeschriebene Ergänzungen eingesendet habe, welche nunmehr zu Abfaßung eines definitiven Erkenntnißes in nähere rechtliche Erwägung gezogen werden müßten. Referent müße vor allem dem geheimen Rathe aus seinem ersten Vortrage die Entscheidungs Puncte in Erinnerung bringen, auf welche es in der Hauptsache hier ankomme: 1) Wem gehört das Eigenthum des zu vertheilenden Plazes? Ist derselbe ein Gemein-Wasen der Gemeinde Ammerndorf oder ein Gemein Wasen beider Gemeinden? {6v} 2) Welche Rechte hat jede Gemeinde darauf hergebracht? Stehet der Gemeinde Vogtsreichenbach a) nur das Recht des Triebes und der Tränke, folglich nur eine Dienstbarkeit, oder b) auch das Recht des Weidganges mit der beklagten Gemeinde Ammerndorf, und c) in diesem Falle auf den ganzen Wasen, oder nur auf einen Theil und auf welchen zu?

Geheimer Rath von Zentner beleuchtete diese beide Fragen und legte die nähere Thatumstände vor, welche sich aus den eingesendeten Ergänzungen ergeben; derselbe bemerkte, daß, um nun nach diesen und den übrigen in den Akten befindlichen Angaben das Verhältniß der Weidbenuzung der Gemeinde Vogtsreichenbach zu bestimmen, Rüksicht genommen werden müße a) auf die Dauer der Weide in dem streitigen Bezirk, b) auf den Theil des Wasens, welchen die Vogtsreichenbacher mit ihrem Vieh betrieben haben, c) auf die Anzal des darauf getriebenen Viehes.

Geheimer Rath von Zentner {7r} entwikelte diese Puncte, stellte nach einer genauen Berechnung das Verhältniß her, welches sich über die Weidbenuzung der Vogtsreichenbacher gegen die Ammerndorfer Gemeinde zeiget, und äußerte, daß er von der vorgelegten Ansicht und von der oben gemachten Berechnung der Zeit und des Umfanges der Benuzung sowohl mit Rüksicht auf den Raum als den Viehstand ausgehend, sich zu dem Antrage veranlaßt finde, folgende, den Forderungen der Gerechtigkeit und Billigkeit angemeßene Entscheidung vorzuschlagen: „Die unterm 21 Merz 1809 den beiden Gemeinden publizirte Appellazions Sentenz dahin abzuändern, daß von dem Richter erster Instanz vorerst eine gütliche Vereinigung unter den streitenden Partheien versucht werde, durch welche der Gemeinde Vogtsreichenbach von dem befraglichen Huthwasen ein solcher Antheil abgetreten werde, welcher mit dem Umfange und der Zeit ihrer bisherigen Weidbenuzung dann der Größe ihrer Vieheerde im Verhältniße stehe“.

Im Falle eines nicht zu bewirkenden {7v} Vergleiches mögte bei der Abtheilung des streitigen Hutwasens der Gemeinde Vogtsreichenbach ein halbes Tagwerk abgegeben werden. In Ansehung der Kosten wäre es bei den Bestimmungen der Appellazions Sentenz zu belaßen. Übereinstimmend mit diesem Antrage las geheimer Rath von Zentner einen Reskripts-Entwurf an das General-Kommißariat des Rezatkreises ab.

Seine Excellenz, der königliche geheime Staats und Konferenz Minister Herr Graf von Montgelas verfügten über diesen Antrag die Umfrage, und da alle Mitglieder des königlichen geheimen Rathes sich mit demselben einverstanden erklärten

so wurde der abgelesene Reskripts-Entwurf an das General Kommißariat des Rezat-Kreises genehmiget297.

Teilung einer Hutweide (R)

Welsberg spricht über den Fall einer Hutweiden-Aufteilung im Landgericht Feuchtwangen. Er legt zwei Reskriptsentwürfe vor. Der eine folgt den (zu verbessernden) gleichlautenden Urteilen der unteren Instanzen, den Hutwasen nach gleichem Anteil aufzuteilen. Der andere Entwurf sieht vor, ungleich zu teilen. Die Mehrheit der Geheimen Räte schließt sich dem ersten Antrag an.

3. Über den Rekurs des Georg Friedrich Spier et Cons. Kleinhäußler der Gemeinde Kloster-Sulz298 Landgerichts Feuchtwang gegen den Bauern und Schultheiß Pflauner299, Wirth Bock ebenfalls zu Sulz, dann den Schuzjuden Jakob Samuel zu Jochsberg300 wegen Huthweiden Theilung {8r} und Schaafshüthung-Entschädigung, erstattete der königliche geheime Rath Graf von Welsberg schriftlichen Vortrag.

Derselbe bemerkte darin, daß dieser Kulturs-Prozeß bereits in dem 1790er Jahre noch unter königlich preußischer Regierung seinen Anfang genommen301, und daraus mehrere Incidenz Fragen entstanden, wodurch dieser von den administrativ zu den Justiz Stellen gezogen worden.

Er führte den Gang an, welchen diese Streitsache nach der baierischen Besiznahme des Fürstenthums Ansbach302 genommen, und fand für nöthig, die ältere Geschichte dieser Huthwasens und Theilungs-Angelegenheit aus den Akten gezogen, bis zum Jahre 1808 seinem Antrage voraus zu schiken, und dann erst zur neueren Prozeß Geschichte überzugehen.

Geheimer Rath Graf von Welsberg bewerkstelligte dieses in seinem Vortrage, legte hierauf die Erkenntniße des Landgerichts Feuchtwang und des General Kommißariats des Rezatkreises nebst den Entscheidungs-Gründen, so wie die neuere Bitten der rekurrirenden Leerhäußler {8v} vor, und äußerte, nach Lage der Akten und nach seiner Ansicht glaube er, daß das erste Petitum der rekurrirenden Kleinhäußler allerdings gegründet sei, und daß nach Restituzion der rekurrirenden Gemeinde gegen die versäumte Fatalien die beide vorliegende gleichförmige Entscheidungen quoad passus concernentes303 der Theilung nach dem früher bereits angeordneten Gleichheits Maaßstabe zu reformiren seien.

Indeßen könne er nicht in Abrede stellen, daß der Wirth Bock und Pflauner und so der Jude Samuel, wenn er seine Maierschaft einmal hergestellt haben würde, die beträchtlichste Grundbesizer in der Gemeinde Sulz seien, und daß dieselbe daher durch die Theilung überhaupt und besonders nach einem Gleichheits Maaßstabe einen großen Schaden zu erleiden hätten, daß wenn der Bok und Pflauner das Schaafhüten (da sie die Pappelweide benuzen könnten) nicht darum behoben würden, daß selbe doch ihren Viehstand um vieles würden vermindern müßen, und daher ihre weitschichtige Felder und Wießen härter würden bestellen können.

{9r} Eben so müße er als bekannt anführen, daß in dem geheimen Rathe in Rüksicht der Gleichheits Theilung von der Strenge der Geseze vielfältige Abweichungen geschehen seien, und beinahe in jeder Sizung noch geschähen. Wollte daher von dem königlichen geheimen Rathe ohngeachtet der vorliegenden speziellen höchsten Entscheidung aus diesem Entschädigungs Titel, aus den angebrachten Gründen, und um allen Weitwendigkeiten eines allenfallsigen Regreßes vorzubeugen, eine Abweichung ebenfalls beliebt werden, so würde Referent sich zwar ebenfalls damit vereinigen, doch aber nie dafür stimmen, die in den zwei gleichlautenden Urtheilen ausgesprochene 16 Morgen Entschädigung zu bestätigen, sondern dahin antragen, daß nach Restituzion der Gemeinde gegen die versäumte Fatalien dieselbe statt 16 nur 5 Morgen mittleren Huthwasens als Entschädigung für die Schaafhuth dem Bock, Pflauner und Juden Samuel voraus zu geben schuldig sei.

Nach diesen zwei verschiedenen Anträgen legte geheimer Rath Graf von Welsberg die Reskripts Entwürfe {9v} an das General Kommißariat des Rezatkreises vor, und untergab, indem er dieselbe ablas, der Entscheidung des geheimen Rathes, welcher von beiden angenommen werden wolle.

Seine Excellenz, der königliche geheime Staats- und Konferenz-Minister Herr Graf von Montgelas verfügten über diese Anträge die Umfrage, und in Folge deßen erklärten sich Seine Excellenz, der königliche geheime Staats- und Konferenz-Minister Herr Graf von Reigersberg, dann die königliche geheimen Räthe Graf von Preising, von Zentner, Graf von Tassis, von Krenner der jüngere [d.i. Franz], Freiherr von Aretin, und von Schenk für den ersteren Antrag „praevia restitutione in integrum304 zu Recht zu erkennen, daß mit Reformirung des ersten Punktes der landgerichtlichen, mithin auch der Entscheidung des General Kommißariats vom 28 September vorigen Jahres es bei der königlichen, in Sachen erlaßenen Erkenntniß d. do 31en Oktober 1808, womit das Urtheil der damals bestandenen Kriegs und Domainen Kammer vom {10r} 3ten September 1808 bestätiget wurde, in so weit es die gleiche Vertheilung dieser Hutwasen unter den Gemeinde Gliedern betrifft, sein Verbleiben habe. Die übrigen Puncte der Entscheidung des General-Kommißariats vom 25ten September vorigen Jahres aber bestätiget werden sollen“.

Die geheimen Räthe Grafen von Arco der ältere [Ignaz] und jüngere [Carl Maria], von Effner, Freiherr von Asbek und von Feuerbach aber waren der Meinung, daß der gegenwärtige Rekurs wegen den versäumten Fatalien als desert305 erklärt und abgewiesen, und dadurch die beide gleichlautende Urtheile durchgehends bestätiget werden sollen.

Bei dieser Gelegenheit äußerten sich auch die geheimen Räthe Graf von Arco der jüngere [d.i. Carl Maria] und von Effner gegen die zu große Leichtigkeit in Restituirung gegen die versäumte Fatalien, und zeigten die Nachtheile, welche daraus den Rechten der Gegentheile zugehen.

Nach der Mehrheit der abgegebenen Stimmen

wurde der nach dem ersten Antrage des Referenten verfaßte {10v} Reskripts Entwurf an das General Kommißariat des Rezat-Kreises von dem königlichen geheimen Rathe genehmiget306.

Genehmigung der „Entschließung wegen dem Freiherrn von Gravenreuth“ sowie Bestätigung der von dem Geheimen Rat getroffenen Entscheidungen in den vorgetragenen Rekurssachen durch den König (23. Februar 1811).

Anmerkungen

285

Franz Anton Schneider (1777-1820). Biogramm mit weiteren Nachweisen s. Protokolle Bd. 3, S. 769 Anm. 1897.

286

Karl Ernst Freiherr von Gravenreuth (1771-1826), 25. März 1807 Generalkommissär der Provinz Schwaben (auch verantwortlich für Vorarlberg), 25. August 1808 Generalkommissär im Oberdonaukreis. Biogramm mit Nachweisen s. Protokolle Bd. 3, S. 301, Anm. 891.

287

Johann Nepomuk von Effner, „Vortrag in dem geheimen Rathe die von Doctor Schneider gegen den königlichen General Kommissär Freiherrn von Gravenreuth angegebene Beschuldigung eines erhaltenen Geschenks an Vieh betreffend“, nicht datiert, lithographierter Text, 29 S., BayHStA Staatsrat 212.

288

Vgl. Protokolle Bd. 3 (Geheimer Rat vom 27. Dezember 1810), S. 768-775, TOP [1].

289

Die VO betr. die „Bestechung der Staats-Beamten“ vom 9. Juni 1807, RegBl. 1807, Sp. 1041-1046, gab die Legaldefinition von Bestechung („Wer um einen Staatsdiener zu einem Mißbrauche seiner Amtsgewalt zu verleiten, oder denselben in einer gegenwärtigen oder künftigen Amtsangelegenheit sich selbst, oder einem Dritten geneigt zu machen, diesem Staatsdiener selbst, oder dessen Angehörigen irgend ein Geschenk, oder was immer für einen Vortheil oder Genuß anbietet, verspricht, giebt, anbieten, versprechen, oder geben läßt, wird hierdurch des Verbrechens der Bestechung schuldig […]“), § 1, verkündete die dem Täter, § 2, und dem bestochenenen Staatsbeamten zukommende Strafe, §§ 4-6, handelte von der „Anzeige und Entdeckung der schuldigen Beamten“, §§ 7-9, schließlich von den rechtlichen „Eigenschaften und Wirkungen der Anzeige“, § 10.

290

Ebd.

291

Reigersberg, „Votum abgegeben im geheimen Rat den 21 Februar 1811“, 2 Bll., BayHStA Staatsrat 212.

292

Abraham Kutter, seit August 1808 Kanzleidirektor im Generalkommissariat des Illerkreises. Biogramm s. Protokolle Bd. 3, S. 770 Anm. 1900.

293

Ammerndorf und Vogtsreichenbach (Ortsteil von Cadolzburg) liegen im Landkreis Fürth, Mittelfranken.

294

Wasen bezeichnet im vorliegenden Zusammenhang einen Anger bzw. eine Wiese, auch eine Rasenfläche oder ein Rasenstück, vgl. DWB Bd. 27, Sp. 2276-2285 s.v. W.; BWB Bd. 2, Sp. 1017f. s.v. W.

295

Protokolle Bd. 3, Nr. 68 (Geheimer Rat vom 8. Oktober 1810), TOP 1.

296

Vgl. VO betr. die „Territorial-Eintheilung des Königreichs“ vom 23. September 1810, RegBl. 1810, Sp. 809-816, hier Sp. 811, mit Aufzählung der Bestandteile des Rezatkreises.

297

Hinweis auf ergangene Entscheidung in vorliegender Rekurssache: RegBl. 1811, Sp. 318.

298

Kloster Sulz, Ortsteil von Dombühl, Landkreis Fürth, Mittelfranken.

299

Vgl. RegBl. 1811, Sp. 318: Pflaumer.

300

Jochsberg, Ortsteil von Leutershausen, Landkreis Ansbach, Mittelfranken.

301

Feuchtwangen war bis 1805/1806 Bestandteil der preußischen Markgrafschaft Ansbach.

302

Der den Vertrag von Brünn vom 10. Dezember 1805 zwischen Frankreich und Bayern ergänzende Zusatzvertrag von Schönbrunn vom 16. Dezember verpflichtete den Kaiser der Franzosen, König von Italien, sich dahin zu verwenden, „à faire céder à S. M. le Roi de Bavière, Electeur Palatin, par le Roi de Prusse, le marquisat d’Ansbach, pour le posséder en toute propriété et souveraineté“. Druck: Zwehl/Ritthaler, Politik, Nr. 46 Anlage 1, S. 241f., zit. Art. 1, S. 241; vgl. Protokolle Bd. 3, S. 60 Anm. 13 zu Nr. 1 (Protokoll der Geheimen Staatskonferenz vom 20. Januar 1808). Auf diese „Uebereinkunft“ bezog sich König Max Joseph, als er mit Patent vom 20. Mai 1806 die „Besitznahme der Markgrafschaft Ansbach“ bekannt gab, die dem „königlich[n] Haus auf ewige Zeiten angehören und verbleiben“ solle (RegBl. 1806, S. 189f., zit. S. 189).

303

Passus concernentes sind die einschlägigen Stellen. Hofstätter, Juristisches Wörterbuch, S. 316 s.v. Passus.

304

Bei der (auf Antrag gewährten) restitutio in integrum contra lapsum fatalium, der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wird eine Partei, die ohne eigenes Verschulden eine Prozeßhandlung innerhalb der vorgeschriebenen Frist versäumt hat, so gestellt, „daß die an sich verspätete Prozeßhandlung als rechtzeitig vorgenommen“ gilt. Werkmüller, Art. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, in: HRG Bd. 5, Sp. 1366-1368, Zitat Sp. 1366.

305

Das heißt: Der Rekurs wird wegen Fristversäumnis für aufgehoben erklärt; Bruns, Amtssprache, S. 31 s.v. desert.

306

Hinweis auf ergangene Entscheidung in vorliegender Rekurssache: RegBl. 1811, Sp. 318.