Fünf Jahre nach Erscheinen von Band 3 der „Protokolle des Bayerischen Staatsrats 1799 bis 1817“ können wir den nächsten Band unserer Quellenreihe vorlegen, die die Regierungsentscheidungen des bayerischen Königs Maximilian I. Joseph und seines Ministeriums in der „Ära Montgelas“ 1799-1817 dokumentiert. Konkret umfasst der vorliegende Band, der bislang umfänglichste der Reihe, 96 Sitzungsprotokolle des 1808 etablierten Geheimen Rats sowie die beiden letzten Zusammenkünfte der Geheimen Staatskonferenz im Zeitraum vom 3. Januar 1811 bis zum 31. Dezember 1812.
Damit ist unser Vorhaben nach zwanzig Jahren auf der Zielgeraden angelangt; der abschließende fünfte Band wird die restlichen Ministerjahre Montgelas‘ umfassen. Wie bereits im Vorwort zu Band 3, des ersten, für den die beiden unterzeichneten Herausgeber Verantwortung trugen, zum Ausdruck gebracht, gebührt Dank und größte Anerkennung für diesen Erfolg wieder dem Bearbeiter Dr. Esteban Mauerer, der Disposition, Bearbeitung und Kommentierung der Quellen sowie ihre Erschließung mittels Regesten und Registern innerhalb des geplanten Zeitraums stets zuverlässig und völlig selbständig verantwortet hat. Besonderen Aufwand erforderte diesmal die Arbeit an den Regesten, da viele komplexe juristische Sachverhalte aus den Besprechungen hier einerseits verdichtet wiedergegeben, andererseits inhaltlich korrekt und in nutzerfreundlicher Weise aufgeschlossen werden mussten.
Unser Dank ebenso gilt Frau Hanna Ertl, die Dr. Mauerer in der Schlussphase der Arbeiten im Hinblick auf Korrekturarbeit, Recherche und Erstellung der Register wirksam unterstützt hat, sowie, für die Arbeiten zur Druckvorbereitung und die Umsetzung ins digitale Format, den Herren Anwar Ziesel, Heinrich Siegmund und Matthias Reinert.
Die Geheime Staatskonferenz, die den kleinen Kreis des Königs und seiner Minister umfasste, hatte 1808 eingehend über die Ausgestaltung der bayerischen Konstitution beraten und kam im August/September 1811 zu ihren letzten beiden Beratungen zusammen; es ging dabei um Budgetfragen. Danach ist sie unter dem Ministerium Montgelas nicht mehr greifbar. Überzeugend erklärt dies der Bearbeiter in seiner Einleitung damit, dass dieser Gremientyp die Komplexität der laufenden Staatsgeschäfte nicht mehr bewältigen konnte. An seine Stelle trat endgültig das wesentlich größere, nach den Ministerialsektionen differenziert organisierte Expertengremium des Geheimen Rats, das seinen innovativen Charakter (nach dem Vorbild des französischen Conseil d’État) hinter einer anachronistischen Bezeichnung verbarg.
Institutionelle Konfiguration und Zuständigkeit des Geheimen Rats hat der Bearbeiter in der Einleitung zum dritten Band von 2015 ausführlich dargelegt. Im vorliegenden Band tritt die Funktion des Ratsgremiums als Gerichtsinstanz deutlich in den Vordergrund. Dabei geht es nicht nur um Fragen der Abgrenzung zwischen Administration und Judikative oder die Eröffnung von Strafverfahren gegen Staatsbeamte, sondern vor allem um die sog. „Rekurssachen“. Durch die Tätigkeit als dritte und letzte Instanz in einer ganzen Reihe von lebensnahen Streitfällen, die Güter- und Nutzungsrechte, Beiträge zu kommunalen Lasten oder Gewerberechte in den Städten betrafen, wurde der Geheime Rat als „normenerzeugende und rechtsprechende Instanz“ zu einem „zentralen Verfassungsorgan“ des Königreichs Bayern. In der Forschungsdiskussion um die Rechtswirksamkeit der Konstitution von 1808 belegen die hier edierten Beratungen den zentral wichtigen Hinweis Mauerers, dass die Verfassung als „verpflichtender Ordnungsrahmen [aller Entscheidungen] permanent präsent war“.
Die Einleitung enthält weiters Beobachtungen zur Sitzungsfrequenz, zur schütteren Präsenz von König bzw. Kronprinz, die nur an knapp einem Drittel aller Sitzungen teilnahmen, und zur Person des neuen Geheimen Rats Joseph Maria von Weichs. Es schließen sich, wie üblich, Editionsrichtlinien, Abkürzungs- und Siglenverzeichnis und eine übersichtliche Auflistung der Protokollstücke mit Sitzungsdaten und Verhandlungspunkten an.
Nach bewährtem Muster sind alle Protokolle im Volltext aufgenommen, die einzelnen Beratungspunkte durch schlagwortartige Überschriften erfasst und in vom Bearbeiter formulierten Kopf-Regesten resümiert.
Wie immer bilden die Protokolle die wichtigsten Fragen der Innenpolitik Bayerns im Berichtszeitraum ab. Dazu gehören 1811 eine Grundsatzdebatte über Stellung und Rechte des begüterten Adels, Fragen des Lehensrechts, die Einpassung von Stiftungen in die staatliche Rechtssphäre oder die Vollstreckbarkeit von Urteilen ausländischer Gerichte. In sieben Sitzungen beschäftigte sich der Geheime Rat mit der staatlichen Festsetzung eines angemessenen Bierpreises; eine freie Preisbildung über den Markt wurde von der deutlichen Mehrheit der Referendäre grundsätzlich abgelehnt. Zu den komplexen Themen des Jahres 1812 gehören Zuschnitt und Finanzierung des Aufgabenbereichs der Kommunen, der Status der Dienstboten oder die Ausgestaltung der Konskription. Der Kreis zur Adelsfrage schließt sich mit der Neuorganisation der gutsherrlichen Gerichtsbarkeit, die per Organischem Edikt vom 16. August 1812 Verfassungsrang erhielt.
Im Vergleich zum Vorgängerband fällt der nochmalige Schub an Professionalisierung und Arbeitsteiligkeit in der Geschäftsbehandlung des Geheimen Rats auf. Dazu gehören die Binnenorganisation des Gremiums in Sektionen, umfassende Vorbesprechungen und die ausführliche Berichterstattung („Vortrag“) des für einen Tagesordnungspunkt zuständigen Referenten in den Plenarsitzungen. Aus Gründen der Handhabbarkeit des Bandumfangs werden letztere nicht vollständig ediert, vom Bearbeiter aber in seiner Kommentierung immer wieder herangezogen und auch zitiert. Regelmäßig folgten im Kollegium dem Entscheidungsvorschlag des Referenten ausführliche, auch kontroverse Diskussionen, die nicht selten per Stimmenmehrheit oder durch Stichentscheid des Ministers entschieden wurden.
Die umfassende Kommentierung durch den Bearbeiter dokumentiert handelnde Personen, zahlreiche rechtliche Fachtermini oder auch die genannten „Vorträge“ der Referendäre im Plenum und ordnet rechtlich-politische Sachverhalte in größere Kontexte ein. Besonders informativ für den Benutzer ist die Dokumentation der von den Referendären vorbereiteten Entwürfe der jeweils diskutierten Gesetze und Verordnungen – ohne Kenntnis dieser Texte wären Diskussion und Entscheidungsfindung kaum nachzuvollziehen. In der Verbindung von Details und großen Entwicklungslinien erweist sich Dr. Mauerer hier als der maßgebliche Kenner der Rechts- und Verwaltungspraxis des bayerischen Reformstaats.
Hinsichtlich personenbezogener Informationen, Querverweisen und Verlinkung auf die Publikationsorte im Regierungsblatt wird die digitale Form der Edition ihre besonderen Stärken ausspielen können. Wie im Geleitwort zum Vorgängerband erörtert, erfolgt die Publikation der Bände seit 2015 in Übereinstimmung mit der digitalen Publikationsstrategie der Historischen Kommission in „hybrider“ Form, einerseits in einer kleinen Druckauflage, andererseits, mit einer Fülle von Suchmöglichkeiten und online-Verknüpfungen, im Netz unter der URL http://www.bayerischer-staatsrat.de.
Für die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Professor Dr. Reinhard Stauber, Abteilungsleiter
Für die Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns
Dr. Margit Ksoll-Marcon, Generaldirektorin