BayHStA Staatsrat 284
14 Blätter. Unterschriften des Königs und des Ministers. Prokoll: Kobell.
Anwesend:
Staats- und Konferenzminister: Reigersberg.
Geheime Räte: Graf v. Preysing-Hohenaschau; Graf v. Toerring-Gutenzell; Freiherr v. Weichs; v. Zentner; Graf v. Thurn und Taxis; Franz v. Krenner; Carl Maria Graf v. Arco; Freiherr v. Aretin; v. Effner; v. Schenk; Freiherr v. Asbeck; Graf v. Welsberg.
Erbschaft und Staatsangehörigkeit
Zentner prüft, ob Wenzel Mühlbauer, der im österreichischen Militärdienst steht, ein Anrecht auf Zuweisung seiner Erbschaft hat. Die Entscheidung kreist um die Frage, ob Mühlbauer bayerischer Untertan ist. Eine knappe Mehrheit bejaht die Frage. Das entsprechende Reskript wird kontrovers diskutiert, auch hier folgt die Mehrheit Zentners Antrag.
{1r} 1. Da Seine Majestät der König der auf heute angeordneten geheimen Raths Versammlung nicht beiwohnten, auch Seine Excellenz, der königliche geheime Staats- und Konferenz Minister Herr Graf von Montgelas verhindert waren dabei zu erscheinen, so {1v} riefen Seine Excellenz, der königliche geheime Staats- und Konferenz Minister Herr Graf von Reigersberg, welche den Vorsiz führten, den Herrn geheimen Rath von Zentner auf, den bearbeiteten Vortrag, die Exportation der dem in oesterreichischen Militär Diensten stehenden Wenzel Mülbauer angefallenen Erbschaft betreffend, zu erstatten.
Deme zu Folge legten Herr geheimer Rath von Zentner in einem schriftlichen Vortrage, der dem Protokolle lytographirter beiliegt *Beilage I* [Marginalie]1928, die Geschichte des Philipp Mülbauer, Vaters des Wenzel Mülbauer, von deßen Erbschaft die Frage, vor, und stellten die Ursachen auf, aus welchen mit großer Wahrscheinlichkeit sich angeben laße, daß der Vater Philipp Mülbauer zu Aufhausen1929, Landgerichts Stadt am Hof geboren und aus dem baierischen Militär entwichen, den Vorsaz gehabt, aus Oesterreich, wo er nach seiner Flucht Militärdienste genommen, mit seiner Familie nach Baiern zurükzukehren und in seinem Vaterlande sich wieder ansäßig zu machen, woran er aber durch den Tod gehindert worden.
Herr geheimer Rath von Zentner durchgiengen nun die {2r} Lebens Geschichte des Wenzel Mülbauer, der nach dem vorliegenden Taufscheine im oesterreichschen Schlesien geboren, und zeigten, welche Verhandlungen über die diesem Wenzel Mülbauer von der Müllerin auf der Neumühle Landgerichts Pfaffenberg1930 zugefallene Erbschaft von 4.000 fl. und wegen deren Ausfolglaßung bei dem Landgerichte Pfaffenberg, bei dem General Kommißariate des Regen Kreises und der Ministerial Lehen- und Hoheits Section, zu deren Geschäftskreis dieser Auswanderungs Gegenstand sich geeignet, bisher eingetreten, und legten vor, welche Entscheidung des dirigirenden Herrn Staats Ministers Grafen von Montgelas Excellenz auf den Reskripts Entwurf, welchen die Lehen- und Hoheits Section vorgelegt, gegeben, und welche Folgen dieses Ministerial Signat bei der Lehen- und Hoheits Section gehabt, dann wie und mit welchem Auftrage dieser Gegenstand zum königlichen geheimen Rathe gekommen.
In dem vom Herrn geheimen Rathe von Zentner als ernannten Referenten dem versammelten geheimen Rathe vorgelegten Gutachten erörterten Dieselben folgende drei Fragen: {2v} 1) Ist Philipp Mülbauer der Vater bis zu seinem Tode als ein baierischer Unterthan zu betrachten? 2) Kömmt dieselbe Eigenschaft seinem Sohne, dem noch gegenwärtig in oesterreichschen Kriegsdiensten stehenden Wenzel Mülbauer zu, oder ist dieser nicht vielmehr als ein Fremder in Baiern anzusehen und [zu] behandeln? 3) Wenn dem Wenzel Mülbauer die Eigenschaft eines baierischen Unterthans zustehet, sind dann nicht die auf gesezwidrige Auswanderungen und Annahme fremder Kriegsdiensten festgesezte Strafen bei ihm anwendbar, folglich auch die Konfiskazion des ihme angefallenen Vermögens? und bemerkten, daß wenn die in dieser Erörterung angeführten Geseze auf den Wenzel Mülbauer anwendbar, es kein Zweifel sein könne, „daß das ihme angefallene Vermögen der Konfiskazion unterliege“.
Sie gaben die Ursachen an, aus welchen man nicht sagen könne, daß die neuere Geseze auf den gegenwärtigen Fall nicht zurükwirkten, glaubten jedoch, daß die in dem Gutachten angeführten {3r} Gründe für eine mildere Behandlung des Wenzel Mülbauer sprächen, und äußerten, daß Sie deßhalb der von der Lehen- und Hoheits Section in ihrem Concluso angenommenen milderen Meinung ihres Referenten dahin beitreten müßten: daß dem Wenzel Mülbauer die ihme angefallene Erbschaft jedoch nur unter der Bedingung ausgefolgt werde, wenn derselbe innerhalb 6 Monaten a dato der ihme deßhalb zugehenden allerhöchsten Entschließung in sein Vaterland zurükkehre, und in demselben sich ansäßig mache. Werde diese Bedingung während des festgesezten Termines nicht erfüllt, so könne alsdann mit Recht die Konsfiskazion dieses Erbtheiles verfügt werden, welches erwähntem Mülbauer in jener Entschließung zugleich zu bedeuten wäre. Diese schonende Entschließung laße sich um so mehr rechtfertigen, als die älteren Geseze in Baiern selbst gegen die eigenmächtigen Auswanderer nicht in ihrer Strenge vollzogen werden1931.
Seine Excellenz, der königliche geheime Staats- und Konferenz Minister Herr Graf von Reigersberg verfügten über diesen Antrag die Umfrage. Die königliche Herrn geheimen {3v} Räthe Grafen von Preising, von Törring, Freiherr von Weichs und Graf von Tassis stimmten dem Antrage des Herrn geheimen Raths Referenten bei.
Herr geheimer Rath von Krenner äußerten eine entgegen gesezte Meinung, und glaubten, daß nach den älteren in Baiern bestandenen Gesezen und nach dem Völkerrechte, welche nach dem Signat bei dem Gutachten des geheimen Rathes berüksichtiget werden sollten, die Vermögens Konfiskazion bei dem Wenzel Mülbauer nicht eintreten könne, da die älteren Geseze diese Strafe nur auf den Fall der Auswanderung ohne landesherrliche Bewilligung sezten, und dieser Fall bei dem im Oesterreichschen gebornen Wenzel Mülbauer nicht vorhanden. Anders würde es sich verhalten, wenn von dem Vermögen des Vaters des Philipp Mülbauer die Rede seie. Zu allen Zeiten seie nach den von den Staaten wechselseitig früher angenommenen Observanzen der Grundsaz aufrecht gestanden, daß ein zehnjähriger ununterbrochener Aufenthalt in einem oder dem andern Staate die Naturalisazion zur Folge habe, ohne daß es eines besondern Staats Vertrages hiezu bedurft, und nun seie Wenzel Mülbauer über 50 Jahre schon in Oesterreich {4r} wo er geboren, ansäßig, und keine seiner Handlungen gebe zu der Vermuthung Anlaß, daß er jemals sein Domicilium in Baiern habe nehmen wollen.
Übereinstimmend mit den bestandenen älteren Gesezen, und da die neuere auf denselben nicht angewendet werden könnten, müßten Sie um so mehr dafür stimmen, daß Wenzel Mülbauer nicht als Baier sondern als Oesterreicher betrachtet, und er rüksichtlich seiner Erbschaft, welche der Konfiskazion im Falle seines Ausbleibens nicht unterliegen könne, als ein Fremder behandelt werden müße, als Sie überzeugt seien, daß wenn Mülbauer ohne diese Erbschaft gemacht zu haben, mit seiner Familie als ein Bettler in Baiern hätte einwandern wollen, derselbe in Folge der gesezlichen Bestimmungen als oesterreichscher Unterthan und Vagand wäre zurükgewiesen worden.
Nach gleichen Ansichten stimmten Herr geheimer Rath Graf von Arco, und erklärten, daß Sie den Wenzel Mülbauer nicht als Baier sondern als Oesterreicher betrachten müßten. Derselbe seie in Oesterreich geboren, daselbst über 50 Jahre ansäßig, und habe niemal den Willen gezeigt, nach Baiern kommen zu wollen. {4v} Daß er Soldat gewesen und noch seie, scheine Ihnen nicht relevant, und wenn hieraus eine Folge gezogen werden wollte, so müßte erst die Frage untersucht werden: wann, in welchem Alter ist er in den Soldaten-Stand getreten und wie lang ist er Soldat? Da vorauszusehen, daß er von Oesterreich die Auswanderungs Erlaubniß nicht erhalten werde, so scheine Ihnen der Antrag um so ungünstiger, als nach den älteren Gesezen sein vererbtes Vermögen der Konfiskazion nicht unterliegen könne. Richtig scheine Ihnen der angegebene Fall, wenn Wenzel Mülbauer als Bettler mit seiner Familie in Baiern habe einwandern wollen, vom Herrn geheimen Rathe von Krenner beurtheilet, und eben so seien Sie überzeugt, daß wenn dieser Mann unter gleichen Verhältnißen wie gegenwärtig in Oesterreich, in Baiern ansäßig, und ihme eine Erbschaft aus Oesterreich zugefallen wäre, er sohin von Oesterreich reklamirt würde, selbst nach den neueren Gesezen die baierische Regierung behaupten würde, Wenzel Mülbauer seie kein Oesterreicher sondern ein Baier. Sie glaubten daher, daß {5r} derselbe nicht als Baier sondern als Fremder betrachtet, und als solcher rüksichtlich der ihme zugefallenen Erbschaft behandelt werden müße.
Herr geheimer Rath Freiherr von Aretin vereinigten sich aus den in dem Vortrage der Lehen- und Hoheits Section und des geheimen Raths Referenten angegebenen Gründen mit der Meinung, daß Wenzel Mülbauer noch immer als Baier betrachtet, und wenn er von Oesterreich die Erlaubniß zurükzukehren nicht erhalte, als solcher behandelt werden sollte; nur glaubten Sie, daß die deßwegen zu erlaßende Ausfertigung nicht nach dem Antrage des Herrn geheimen Raths Referenten, sondern nach jenem der Lehen und Hoheits Section zu faßen und ihme zu eröfnen seie, daß sein Vermögen in so lange in gerichtlichem Beschlag gehalten werde, bis er entweder nach seinem Vaterlande zurükkehre und darin sich ansäßig mache, oder bis er die Auswanderungs Bewilligung bei der baierischen Regierung gehörig nachgesucht und erhalten habe. In diesem Beisaze scheine Ihnen etwas Schonendes für Mülbauer zu liegen, auf den Fall, {5v} daß ihme die Rükkehr von der oesterreichschen Regierung nicht gestattet werde.
Herr geheimer Rath von Effner äußerten, daß Ihnen die Gründe, welche dafür sprächen, daß Wenzel Mülbauer als Oesterreicher und nicht als Baier zu betrachten, überwiegend schienen, denn die von dem Vater im Auslande eingegangene Ehe seie nach den älteren und neueren baierischen Gesezen ungültig1932, und der Grund, daß dieselbe nicht beobachtet worden, hebe das Gesez nicht auf. Sie erklärten sich für die von den Herrn geheimen Räthen von Krenner und Graf von Arco abgegebene Meinung.
Die Herrn geheimen Räthe von Schenk und Freiherr von Asbek stimmten nach gleichen Ansichten, und erklärten sich dafür, daß Mülbauer als Oesterreicher angesehen, und rüksichtlich seiner Erbschaft als Fremder behandelt werde.
Herr geheimer Rath Graf von Welsperg waren der Meinung, daß die neueren Geseze auf den gegenwärtigen Fall allerdings anwendbar, und folglich Mülbauer als baierischer {6r} Unterthan immer noch zu betrachten, nur vereinigten sich Dieselben in Beziehung auf die Ausfertigung mit der Abstimmung des Herrn geheimen Rath Freiherrn von Aretin, und glaubten, daß diese nach dem Antrage der Lehen und Hoheits Section zu faßen wäre.
Nach einer Mehrheit von 7 Stimmen mit Einschluß des Herrn Referenten gegen 5 sprachen Seine Excellenz der königliche geheime Staats- und Konferenz Minister Herr Graf von Reigersberg den Beschluß
des geheimen Rathes als allerunterthänigsten Antrag an Seine Majestät den König dahin aus, daß Wenzel Mülbauer als baierischer Unterthan immer noch betrachtet, und als solcher rüksichtlich der ihme zugefallenen Erbschaft behandelt werden solle.
Da aber über die Art der nach diesem Grundsaze zu erlaßenden Ausfertigung die Stimmen mehrerer Mitglieder so getheilt waren, daß keine Mehrheit sich daraus ziehen ließ, verschiedene Herrn geheimen Räthe auch hierüber sich nicht geäußert hatten, so wurden des Herrn Ministers Grafen von Reigersberg {6v} Excellenz hierdurch veranlaßt, über die Frage nochmals abstimmen zu laßen: Soll der Antrag auf Ausfertigung des über diesen Gegenstand zu erlaßenden Reskripts Seiner Majestät dem Könige nach dem Vorschlage des Herrn geheimen Raths Referenten oder nach jenem der Lehen- und Hoheits Section mit dem Beisaze: „oder bis Wenzel Mülbauer die Auswanderungs Bewilligung bei der baierischen Regierung gehörig nachgesucht und erhalten hat“ allerunterthänigst gemacht werden.
Die Herrn geheimen Räthe Grafen von Preising und von Törring, Freiherr von Weichs, Graf von Tassis, von Krenner, jedoch mit Berufung auf Ihre vorhin geäußerte abweichende Meinung über die Hauptfrage, von Effner, von Schenk und Freiherr von Asbek erklärten sich für die Ausfertigung nach dem Vorschlage des Herrn geheimen Raths Referenten von Zentner, da Ihren Ansichten nach die Konsequenz die Auslaßung des von der Lehen- und Hoheits Section {7r} vorgeschlagenen Beisazes zu erfordern scheine, und die Regierung sich dadurch gewißermaßen im voraus verbindlich mache, diese Erlaubniß zu ertheilen und es inhuman sein würde, nach einer solchen Aufforderung die Auswanderungs Bewilligung baierischer Seits abzuschlagen, welcher Fall dennoch eintreten könnte.
Für die Ausfertigung nach dem Vorschlage der Lehen- und Hoheits Section erklärten sich die Herrn geheimen Räthe Graf Carl [Maria] von Arco, Freiherr von Aretin und Graf von Welsperg, da hierin eine Schonung liege, welche bei der möglichen Erschwerung der Auswanderung von Seiten Oesterreichs Wenzel Mülbauer nach dem Vortrage selbst verdiene, und, wie Freiherr von Aretin bemerket, dieser Beisaz in allen Reskripten, wodurch ein baierischer Unterthan rükberufen werde, aufgenommen würde.
In Folge der Mehrheit
wurde beschloßen, bei Seiner Majestät dem Könige allerunterthänigst anzutragen, daß die wegen diesem Gegenstande zu erlaßende Ausfertigung nach dem {7v} dem [!] Vorschlage des Herrn geheimen Raths Referenten von Zentner gefaßt werde.
Kompetenzkonflikt (R)
Thurn und Taxis berichtet über den Rechtsstreit zwischen dem französischen Kriegskommissär Chaignet und dem Nürnberger Polizeidirektor Wurm. Materiell geht es um den Ersatz einer Mehllieferung. Strittig ist insbesondere die Frage, ob die Justiz- oder die Administrativstellen zuständig sind. Der Berichterstatter beantragt, die Sache an das Stadtkommissariat Nürnberg zu verweisen. Fünf Geheime Räte unterstützen den Antrag, sechs sprechen sich dagegen aus. Der Minister Reigersberg gibt den Ausschlag, indem er sich für die Kompetenz der Justizstellen ausspricht.
2. Herr geheimer Rath Graf von Tassis erstatteten in Sachen des französischen Kriegs-Kommißärs Chaignet gegen den Polizei Direktor Wurm1933 zu Nürnberg wegen Ersaz verlorener französischer Mehl-Lieferung zu der Armee, respec. Kompetenz-Konflikt zwischen den Justiz und Administrativ Stellen schriftlichen Vortrag, worin Dieselben nach Anführung der Geschichte, wodurch diese Ersaz-Forderung veranlaßt worden, die deßwegen bei dem General-Kommißariate des ehemaligen Pegniz Kreises dem Stadtgerichte Nürnberg und dem Appellazions-Gerichte in Amberg eingetretene Verhandlungen vorlegten und zeigten, auf welche Art diese Streit-Sache an das Ministerium des Innern und nachher an den königlichen geheimen Rath gekommen.
Herr Referent bemerkten, nachdem Sie die Akten-Stüke, worauf es in dieser Sache vorzüglich ankommt, abgelesen hatten, daß es hier auf die Frage ankomme: ob Polizei Director Wurm {8r} durch die Stelle qui a chargé Mr Schadelak de faire faire le transport sur le 3eme Corps d’Armée tel quil a été usé pour les convois précédents mit dem Komißär Chaignet einen Vertrag geschloßen habe.
Die Natur der Verträge werde begründet 1) durch Einwilligung der beiden Paciscenten. Nun habe aber der Polizei Director als eine Amts-Person nie in Amts-Sachen etwas eigenmächtig einwilligen können, wo er nicht von einer höheren Stelle hiezu bevollmächtiget. 2) Müße in dem Vertrage ausdrüklich ein Recht transferiret werden, hievon komme in dem vorgeblichen Vertrage kein Wort vor. 3) Die Paciscenten könnten sich nicht auf ein mehreres verbinden, als sie durch ihren Willen ausdrükten, dadurch aber, daß Schadelak gemäs Vorweis des Polizei-Direktors in Nürnberg nur den Befehl gehabt, bis Neumarkt den Transport zu begleiten, seie der Wille des Polizei Direktors deutlich ausgedrükt. {8v} 4) Müße der Gegenstand des Vertrages in der Gewalt der Paciscenten sein, daß sie frei darüber disponiren könnten, der Gegenstand müße in dem Kommerze sein; dieses seie der Fall hier nicht, denn das Mehl habe der französischen Regierung gehört, und wenn Chaignet und der Polizei Director auch wirklich einen Vertrag hierüber geschloßen hätten, so wäre solcher nichtig, indeme der Gegenstand des Vertrages nicht in ihrer Gewalt gestanden.
Das eigentliche Verhältniß zwischen dem Kriegs Kommißär Chaignet und dem Polizei Direktor seie gewesen, daß ersterer auf höheren Befehl das befragliche Mehl zu dem 3ten Armee Korps zu liefern gehabt, und lezterer dem ersteren hiezu behüflich zu sein amtspflichtig gewesen, wie es die Gewohnheit, Lokal-Statuten oder Verordnungen hergebracht, und während den Kriegs-Jahren beobachtet worden.
Nachdeme nun, wie aus obigen Gründen erwiesen, die streitenden Theile keinen Vertrag als Privaten hätten schließen können, ihre wechselseitigen {9r} Verhältniße aber sie beschränkt, nicht über die vorgeschriebene Grenze ihres Amtes hinaus zu gehen, und wenn sie solches gethan, ihre Handlung null und nichtig seie, ferner in Dienst-Sachen und Beschwerden die administrative Stelle kompetent seie, auch die Verordnung von 1807 (Regierungsblatt S. 53) ausdrüklich bestimme, daß Streitigkeiten in Kriegs-Konkurrenz Sachen zu dem Reßort der General Kommißariaten sich eigneten1934, eine Sentenz aus Mangel der Jurisdikzion niemals in Rechtskraft erwachsen könne.
Das Appellazions-Gericht des Rezat-Kreises erkenne selbst durch seinen Bericht vom 6 Juni 1812 an das königliche Justiz-Ministerium, daß dieser Gegenstand nicht zu seinem Reßort sich eigne, Polizei Direktor Wurm den Mehltransport nicht als Privatmann sondern in der Eigenschaft als Staatsdiener besorgt habe, und ursprünglich nicht Sache der erstrichterlichen Gewalt [gewesen sei], sondern der vorgesezten Behörde zur Untersuchung obliege. Nachdeme aber das General-Kommißariat von andern Grundsäzen ausgegangen und diese Sache zum Stadtgerichte verwiesen habe, so wäre solche {9v} in so weit durch die Justiz Stelle zu verhandeln, als Wurm nichts dagegen eingewendet, allein von seiner kompetenten Stelle verlaßen, zurükgewiesen, müßte er sich gleichwohl demjenigen Forum unterwerfen, wohin er angewiesen worden, und er einer Reklamazion gegen seine vorgesezte Behörde habe auswechsen wollen. Nach Ihrer Überzeugung wäre demnach aus den angegebenen Gründen Seiner Königlichen Majestät vorzustellen, daß dieser Gegenstand dem Stadt-Kommißariate Nürnberg zur näheren Untersuchung übertragen werden mögte.
Auf die von Seiner Excellenz, dem königlichen geheimen Staats- und Konferenz Minister Herrn Grafen von Reigersberg hierüber verfügte Umfrage äußerten sich die königliche Herrn geheimen Räthe Grafen von Preising und von Törring, dann Freiherr von Weichs und von Zentner gegen den Antrag des Herrn Referenten dahin: daß die Entscheidung dieser Streit-Sache nach Lage der Akten bei den Justiz-Stellen zu belaßen.
Herr geheimer Rath {10r} von Zentner führten die Gründe Ihrer Abstimmung an, daß Sie die Kompetenz der Justiz Stellen ursprünglich nicht für begründet beurtheilet, und diese Sache als eine bloße Kriegs-Sache zur administrativen Behandlung geeignet erkläret, wenn nicht der französische Kommißär durch eine höhere Administrativ Behörde an die Justiz Stellen verwiesen worden wäre, wenn nicht der Polizei Director Wurm sich bei denselben eingelaßen, und wenn nicht das Stadtgericht in dieser Sache schon so weit vorgeschritten wäre.
Hiezu komme noch, daß auch aus dem Verfahren eines Staats-Dieners in Amts-Sachen eine solche Handlung entstehen könne, wodurch ein dritter beschädiget werde, und weßwegen dieser Staatsdiener allerdings bei den Gerichten belangt werden könne. Eine Nullität seie in dem Verfahren der Justiz Stellen nicht aufzufinden, und es müßte bei der französischen Regierung auffallen, wenn eine von einer höheren Administrativ Behörde an die Justiz Stellen verwiesene Sache jezt nach Verlauf längerer Zeit wieder von da zurükgenommen {10v} und zur neuen Instrukzion an die Administrativ Stellen verwiesen werden wolle.
Herr geheimer Rath von Krenner vereinigten sich mit dem Antrage des Herr Referenten, da die übernommene Transportirung des Mehles zur französischen Armee eine offenbare Amts-Handlung gewesen, und der Polizei Direktor niemals befugt gewesen, als Privatmann einen Vertrag zum Transport dieses Mehls einzugehen. Sie beurtheilten die Einmischung der Justiz Stellen in derlei Geschäfte, welche auf die Verpflegung der Armeen sich beziehen, als sehr folgenreich und nicht anzurathen, denn sonst werde jeder französische Kriegs Kommißär bei dem geringsten Abgange eines Transportes, woran Sie größten Theils selbst schuld wären, den Beamten bei den Justiz Stellen als Privatmann belangen und auf Ersaz klagen. Sie stimmten dafür, die Entscheidung dieser Streitsache nach neuer Instrukzion an die Administrativ Stellen zu verweisen, und die Inkompetenz der Justiz Stellen für diesen und ähnliche Fälle auszusprechen, die Bezalung der bisher {11r} erloffenen Kösten aber dem ehemaligen General Kommißär des Pegniz Kreises und den streitenden Theilen mit Ausnahme des Kommißärs Chaignet zuzuerkennen.
Auf gleiche Art stimmten Herr geheimer Rath Graf von Arco nach politischen Ansichten und nach den Gesezen, und äußerten die Meinung, daß das Verfahren der Justiz Stellen in dieser Sache null seie, da der Polizei Direktor als Privatmann bei diesem Geschäfte weder habe handeln können noch dürfen. Die Konsequenz, welche die französische Kommißärs aus einer Behandlung ähnlicher Fällen bei den Justiz Kollegien ziehen könnten, scheine sehr bedenklich, auch habe das Justiz Kollegium dem Beklagten unrichtig das onus probandi1935 auferlegt. Sie vereinigten sich damit, daß diese Streit-Sache von den Justiz Stellen zurükgenommen, und den Administrativ-Stellen zur Entscheidung übertragen werde. Wegen Bezalung der bisher erloffenen Kösten würden Sie dem vormaligen General Kommißär des Pegniz Kreises 2/3 hievon und 1/3 den übrigen baierischen Bediensteten zuerkennen.
{11v} Herr geheimer Rath Freiherr von Aretin äußerten, daß alle Mitglieder darin einig gewesen, daß die Justiz Stellen in dieser Sache inkompetent gehandelt, und mehrere nur deßwegen die Sache dort belaßen wollten, weil es zu weit damit gekommen, weil der Polizei Direktor Wurm sich bei den Gerichts Stellen eingelaßen, und weil eine üble Idee bei der französischen Regierung Plaz greifen könnte, als ob die eigene höhere Behörden in Baiern nicht wüßten, vor welchen Richter eine Klage dieser Art gehöre. Sie müßten sich offenbar gegen die Kompetenz der Justiz-Stellen in dem vorliegenden Falle erklären, und beurtheilten dieselbe als null und nichtig, da die Einlaßung der Theilen bei einer Stelle keine Kompetenz begründe, und da die üble Idee bei einer fremden Regierung von den baierischen Behörden nur noch stärker sich bilden würde, wenn die oberste Stelle im Reiche einen solchen Mißgriff der untern Behörden sankzionire. Sie seien überzeugt, daß Chaignet sich mit einem Urtheile der Administrativ Stellen {12r} vollkommen begnügen werde, um sich dadurch bei seiner Regierung über den Abgang des Mehles zu legitimiren, und daß dieses weniger bedenklich, als die Einmischung der Justiz Stellen in ähnlichen Fällen. Wegen Bezalung der bisher erloffenen Kösten stimmten Sie mit Herrn geheimen Rath Grafen von Arco.
Herr geheimer Rath von Effner erklärten sich aus den in anliegendem Voto1936 *Beilage II* [Marginalie] entwikelten Gründen dafür, daß die vorliegende Streit-Sache dermal nicht mehr von dem Wege der Justiz abgezogen werden könne.
Herr geheimer Rath von Schenk stimmten wie Herr geheimer Rath Freiherr von Aretin. Herr geheimer Rath Freiherr von Asbek wie Herr geheimer Rath von Effner.
Herr geheimer Rath Graf von Welsperg erklärten sich dafür, daß diese Streitsache von dem Justiz Wege abgezogen und zu den Administrativ Stellen gegeben werden solle, da durch das ungeeignete Verweisen einer höheren Behörde und durch die ungeschikte Einlaßung einiger der Betheiligten bei den Justiz Stellen keine Kompetenz derselben begründet werden könne, wo es so offenbar, daß der Staatsdiener {12v} nicht als Privatmann habe handeln können und dürfen.
Da nach diesen Abstimmungen 6 Mitglieder gegen den Antrag des Herrn Referenten sich erkläret, fünf Stimmen demselben aber beigefallen waren, und dadurch Paria entstanden, so bildeten des Herrn Ministers Grafen von Reigersberg Excellenz durch Ihren Übertritt zu der Meinung derjenigen, welche diese Streit-Sache bei den Justiz Stellen belaßen wollen, die Mehrheit. Dieselben äußerten, daß Sie vorzüglich aus den vom Herrn geheimen Rathe von Effner angegebenen Gründen sich für diese Meinung erklärten, da weder Nullität noch Inkompetenz der Justiz Stellen vorhanden, am wenigsten Gefahr für künftige Fälle oder ein nachtheiliges Präjudiz zu erwarten, und ein Beamter wegen einer im Amte begangenen Handlung allerdings auch persönlich belangt werden könne.
Ihm komme zu, den Kommittenten zu laudiren, wenn er sich hiezu befugt erachte. Zu wünschen wäre übrigens für den Staat, daß alle Beamten, welche Verträge wie der vorliegende vermög der Amtsgewalt schließen, oder Klagen der Art veranlaßen, und so wie der Polizei Direktor Wurm, sich durch Einlaßung bei den Gerichts-Stellen der Vertretung durch die höhere Staats-Gewalt entsagen und dadurch den Staat von der Verbindlichkeit für Handlungen seiner Beamten responsabel zu sein, und sie zu vertreten loszälen mögten.
Das Benehmen des Polizei-Direktors Wurm scheine übrigens in dieser Sache nicht ganz rein {13r} zu sein, worauf auch schon die demselben vom Gerichtshofe übertragene Beweisführung zu zielen scheine, und es müßte den Justiz Stellen überlaßen bleiben, in wie weit sich in dem weiteren Verfahren hierüber etwas Näheres zeige, da gegenwärtig von dem geheimen Rathe in die Materialien dieser Streit Sache nicht eingegangen werden könne.
Nach der Mehrheit
wurde der allerunterthänigste Antrag an Seine Majestät den König beschloßen, diese vorliegende Streit-Sache nach Lage der Akten zur Entscheidung bei den Justiz Stellen zu belaßen.
Kompetenzkonflikt (R)
Asbeck berichtet über einen Rechtsstreit zwischen Bürgern in Zwiesel, in dem es um die Wiederaufrichtung einer Ölmühle geht. Der Berichterstatter vertritt die Ansicht, daß das Verfahren in die Kompetenz der Polizeibehörden gehört. Fünf Geheime Räte schließen sich dem Antrag an, sechs Geheime Räte bejahen die Kompetenz der Justizbehörden. Reigersberg gibt den Ausschlag, indem er die Justiz für zuständig erklärt.
3. Über den Kompetenz Konflikt in der Streit-Sache des Matthias Leimer et Cons. zu Zwiesel gegen Georg Reus wegen Wiedererbauung eines Oelschlages erstatteten Herr geheimer Rath Freiherr von Asbek schriftlichen Vortrag, *Beilage III* [Marginalie] der dem Protokoll lytographirter beiliegt1937, und machten darin den königlichen geheimen Rath auf den ganz eigenen Umstand aufmerksam, daß die Gerichts Stellen den Gegenstand als zur polizeilichen Entscheidung geeignet, das General Kommißariat [des Unterdonaukreises] ihn als einen Justiz Gegenstand angesehen und daher keine dieser beiden Stellen den Streit entscheiden wolle, vielmehr deßen Entscheidung von sich ablehnten.
Herr geheimer Rath Freiherr von Asbek als Referent im geheimen Rathe legten den Fall {13v} aus den Akten vor, und bemerkten, wie es unnöthig sein werde, sich tiefer in die Verhandlungen über diesen Gegenstand einzulaßen, mit der Entscheidung der Haupt-Sache oder des eigentlichen Streit-Objectes eigne er sich zu einer polizeilichen Verfügung oder zu einer richterlichen Entscheidung, und es komme nur darauf an, daß der königliche geheime Rath die Frage entscheide: liegt hier ein Polizei Gegenstand oder eine Justiz Sache vor?
Herr Referent lasen die Gründe ab, welche das Oberappellazions Gericht und das General Kommißariat zu Unterstüzung Ihrer Meinung angegeben, und äußerten, daß nach Ihren Ansichten und nach Beurtheilung der vorgelegten Meinungen Sie jene des Oberappellazions Gerichtes theilten, und glaubten, daß der vorliegende Gegenstand keine Justiz Sache seie.
Herr geheimer Rath Freiherr von Asbek führten die Betrachtungen an, auf welche Sie Ihre Ansicht stüzten, und machten den Antrag, diese Streitigkeit als eine Polizei Sache anzuerkennen, und unter Rüksendung der Akten dem General Kommißariate die Entscheidung der Sache als dahin reßortirend aufzutragen.
Seine Excellenz, der königliche geheime Staats- und Konferenz Minister {14r} Herr Graf von Reigersberg ließen hierüber abstimmen. Die Herrn geheimen Räthe Grafen von Preising und von Törring, Freiherr von Weichs, Graf von Tassis und Graf von Welsperg vereinigten sich in ihren Abstimmungen mit den Ansichten des Herrn Referenten und dem darauf gestüzten Antrag. Gegen den Antrag des Herrn Referenten stimmten die Herrn geheimen Räthe von Zentner, von Krenner, Graf von Arco, Freiherr von Aretin, von Effner und von Schenk, indeme sie die Gründe des General Kommißariats für überwiegend beurtheilten, und glaubten, daß, da es sich hier nicht um den Bau, sondern um den den Nachbarn durch diesen Bau zugehenden Schaden handle, daß der vorliegende Gegenstand offenbar eine Justiz Sache seie. Bei diesen Abstimmungen machten die Herrn geheimen Räthe Graf von Arco und von Effner auf die Schwierigkeit aufmerksam, auf die man bei Festsezung einer Grenz-Linie zwischen der Justiz- und Polizei Gewalt stoße.
Bei der in Folge dieser Umfrage sich ergebenen Gleichheit der Stimmen bildeten des Herrn Ministers Grafen von Reigersberg {14v} Excellenz die Mehrheit, indeme Sie sich für jene Meinung erklärten, daß der vorliegende Gegenstand offenbar eine Justiz Sache seie, da derselbe blos nach privatrechtlichen Verhältnißen beurtheilet werden müße, und es sich hier von einer neuen reverswidrigen Anlage respec. nuntiatio novi operis handle, wodurch die Eigenthums Rechte eines Dritten gekränkt, und derselbe in Schaden gebracht werden könne.
Nach der hierdurch sich gebildeten Mehrheit
wurde der allerunterthänigste Antrag an Seine Majestät den König beschloßen, den vorliegenden Gegenstand unter Rüksendung der Akten als einen Justiz Gegenstand an die Justiz Stellen zur Entscheidung zu verweisen.
Zu TOP 1 schließt sich der König „nach Laage der Acten und nach Würdigung des gegenwärtigen Falles“ der überstimmten Minderheit der Geheimen Räte an, wonach „Wenzel Mühlbauer als österreichischer Unterthan anzusehen und rüksichtlich seiner Erbschafft als solcher zu behandlen“ sei. Mühlbauer soll hinsichtlich der Erbschaft in Höhe von 4.000 fl. als österreichischer Untertan behandelt werden. Ferner bestätigt der König die Anträge des Geheimen Rates zu TOP 2 und TOP 3 (12. August 1812).
Anmerkungen
So zuletzt normiert in der VO betr. die „Beförderung der Heurathen auf dem Lande“ vom 12. Juli 1808, Ziff. 16, RegBl. 1808, Sp. 1510: „[…]. Alle ausser Landes geschlossene Ehen sollen als ungültig angesehen werden.“
Christian Heinrich Clemens Wurm (1771-1835), seit September 1806 als Polizeidirektor mit der Eingliederung Nürnbergs in das Königreich Bayern beauftragt. Biogramm: Diefenbacher/Endres (Hgg.), Stadtlexikon S. 1205f. s.v. Wurm (M[ichael] D[iefenbacher]).
Die VO betr. die „Gerichtsbarkeit für Rechtsstreite über Kriegslasten“ vom 3. Januar 1807, RegBl. 1807, Sp. 53-55, hier Sp. 54, bestimmte: „Streitigkeiten, so wie einseitige Beschwerden über die Auflegung der Kriegslasten […] gehören in den Umfang der administrativen Staatsgewalt; dieselben sind sohin von den einschlägigen Landesdirektionen und Kriegs-Separaten summarissime zu untersuchen […]“.
Onus probandi: die Beweislast, Hofstätter, Juristisches Wörterbuch, S. 307 s.v.