BayHStA Staatsrat 290
5 Blätter. Unterschriften des Königs und des Ministers. Protokoll: Kobell.
Anwesend:
Staats- und Konferenzminister: Reigersberg.
Geheime Räte: Freiherr v. Weichs; v. Zentner; Graf v. Thurn und Taxis; Franz v. Krenner; Freiherr v. Aretin; v. Effner; v. Schenk; Freiherr v. Asbeck; v. Feuerbach.
{1r} Da Seine Majestät der König in der auf heute angeordneten geheimen Raths Sizung nicht gegenwärtig, und Seine Excellenz, der königliche geheime Staats- und Konferenz Minister Herr Graf von Montgelas verhindert waren, {1v} in derselben zu erscheinen, so riefen Seine Excellenz, der königliche geheime Staats- und Konferenz-Minister Herr Graf von Reigersberg die Herrn geheimen Räthe Grafen von Tassis und von Feuerbach auf, die bearbeiteten Vorträge zu erstatten.
Gerichtsverfahren gegen den Vikar Sattler
Feuerbach beantragt, den Priester Sattler, dem Sexualdelikte vorgeworfen werden, vor Gericht zu stellen. Der Geheime Rat bestätigt den Antrag.
1. Diesem Aufrufe genügend lasen Herr geheimer Rath von Feuerbach den wegen Vorgerichtstellung des Priesters Mathias Sattler2021, Vikars zu Krispel2022 wegen Nothzucht2023 und Verführung zur Unzucht bearbeiteten Vortrag ab, der dem Protokolle lythographirter beiliegt2024. *Beilage I* [Marginalie]
Herr geheimer Rath von Feuerbach gaben in diesem Vortrage eine kurze Schilderung des Lebenswandels dieses Mathias Sattler, ehe er nach Krispel als Vikar versezt wurde, und zeigten, daß ihn dieser Lebenswandel als einen Menschen bezeichne, von deme man sich der Thaten, deren er als Vikar zu Krispel beschuldiget, und welche den Gegenstand dieses Vortrages ausmachen, gar wohl versehen könne.
Nach Anführung des nächsten Veranlaßes, wodurch das Landgericht Hallein zu Vornahme der General Untersuchung gegen {2r} Sattler bewogen wurde, hoben Herr geheimer Rath von Feuerbach diejenige Verbrechen aus, welche durch diese General-Untersuchung dem Sattler zu Last gefallen, und äußerten: daß diese vorliegende Thatsachen so schändlich und so wenig zweifelhaft seien, daß Sie in Ihrem Gutachten sich ganz kurz faßen könnten.
Sie zeigten, aus welchen Gründen nach den oesterreichschen, im Landgerichte Hallein noch gültigen Gesezen die Verhängung der Spezial-Inquisizion keinem Anstande unterliege, und machten daher unbedenklich Ihren Antrag auf Vorgerichtstellung dieses Priesters.
Die von Seiner Excellenz, dem königlichen geheimen Staats- und Konferenz Minister Herrn Grafen von Reigersberg über diesen Antrag verfügte Umfrage gab das Resultat, daß alle Mitglieder des geheimen Rathes sich mit demselben vereinigten, nur Herr geheimer Rath von Effner fügten Ihrer beistimmenden Meinung die Bemerkung bei, daß dem Ermeßen des Justiz-Ministeriums zu überlaßen wäre, wie dem Stadtgerichte in Salzburg zu ahnden, daß daßelbe {2v} die Untersuchungs Akten unmittelbar an das Ministerium und nicht wie es hätte geschehen sollen, an das Appellazionsgericht des Salzachkreises2025 eingesendet habe, indeme der Vorgerichtstellung eines Staats-Dieners und angestellten Geistlichen und Verhängung der Spezial-Inquisizion, ehe der königliche geheime Rath dieselbe ausspreche, ein Gutachten des einschlägigen Appellazionsgerichtes vorhergehen müße. In dem gegenwärtigen so offenbaren Falle könne der königliche geheime Rath über diese Unterlaßung weggehen, allein derselbe [!] verdiene dennoch eine Rüge.
In Folge dieser Abstimmung
wurde von dem königlichen geheimen Rath der allerunterthänigste Antrag an Seine Majestät den König beschloßen, den Vikar Sattler vor Gericht stellen, und dem Justiz Ministerium das Votum des geheimen Rath von Effner zur Berüksichtigung mittheilen zu laßen.
Mietforderung
Thurn und Taxis schließt an seinen Vortrag über den Streit zwischen dem Universitätsfond in Salzburg und dem Uhrmacher Nagenzaun an. Der Berichterstatter stellt die Kompetenz des Geheimen Rates fest, in dieser Sache eine Entscheidung zu treffen. Er beantragt, den Gegenstand an die Justizstellen zu verweisen. Die Geheimen Räte folgen dem Antrag und beschließen zusätzlich, dem Justizministerium ergänzende Anträge Aretins und Effners mitzuteilen.
2. Über den Kompetenz Konflikt2026 zwischen den Justiz- und Administrativ Stellen in Sachen einer Haußmieht-Forderung von Seite des Universitäts Fondes in Salzburg an den Urmacher Nagenzaun allda erstatteten Herr geheimer Rath Graf von Tassis schriftlichen Vortrag, worin Sie die Geschichte dieser {3r} Forderung und die bei dem Stadtgerichte deßwegen eingeleitete Verhandlungen auseinander sezten, und bemerkten, daß der Kronfiskal des Salzach-Kreises auf die erste Verfügung des Stadtgerichtes nach einem erhaltenen Auftrage des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten an daßelbe die Erinnerung abgegeben habe, daß nach der allerhöchsten Verordnung vom 24 September 1808 diese Sache zu Entscheidung des Polizei-Kommißariates und nicht der Justiz-Stellen gehöre2027.
Das weitere Benehmen des Stadtgerichtes so wie jenes des Appellazions-Gerichtes des Salzach-Kreises und des Oberappellazions-Gerichtes in dieser Sache wurde vom Herrn geheimen Rathe Grafen von Tassis vorgelegt und nach Ablesung des von dem Appellazions Gerichte erstatteten Berichtes und des betreffenden § der allerhöchsten Verordnung vom 24 September 1808 gezeigt, wie dieser Gegenstand als Kompetenz Konflikt zum königlichen geheimen Rathe gekommen.
Herr geheimer Rath Graf von Tassis äußerten, daß die Kompetenz des geheimen Rathes über diesen Kompetenz Konflikt unstreitig und quoad formalia {3v} nichts zu erinnern seie. Quoad materialia seie die Frage zu entscheiden: ob die Instrukzion vom 22ten [!] September 1808 auf den gegenwärtigen Fall angewendet werden könne oder nicht? Die Anwendung der reinen Lehre von Miethvertrag, dann die hierüber bestimmt ausgedrükten Geseze sprächen dafür, daß der vorliegende Gegenstand von den Justiz Behörden zu entscheiden seie, und daher die angezogene Verordnung vom 24 September 1808 hier keine Anwendung finden könne.
Herr geheimer Rath Graf von Tassis entwikelten die drei wesentliche Erforderniße, die Ihren Ansichten nach zu einem Mieth-Kontrakte gehören, dann die Geseze, nach welchen die Entscheidung des vorgetragenen Falles ohnstreitig zu den Justiz Stellen sich eigne, und zeigten, daß nach den vorliegenden Umständen zwischen dem Urmacher Nagenzaun und dem Universitäts Rectorat gegenwärtig kein Mieth-Kontrakt bestehe, also auch keine solche Differenz zwischen Ihnen obwalte, welche aus der angeführten Verordnung vom 24ten September 1808 {4r} zu den Polizei Stellen gehöre, indeme der Universitäts Rector durch die Zurükgabe der Mobiliarschaft des Nagenzaun auf sein Pfandrecht verzichtet habe, und folglich die allegirte Verordnung nicht anwendbar seie. Herr geheimer Rath Graf von Tassis machten daher den Antrag, diesen Gegenstand als eine Schuldsache zur Entscheidung an die Justiz zu verweisen, wo denn auch schon derselbe durch drei Instanzen der Justiz als dorthin reßortirend erkannt und entschieden worden seie.
Seine Excellenz, der königliche geheime Staats- und Konferenz Minister Herr Graf von Reigersberg verfügten hierüber die Umfrage. Die Herrn geheimen Räthe Freiherr von Weichs, von Zentner, von Krenner, Freiherr von Asbek und von Feuerbach vereinigten sich mit dem Antrage des Herrn Referenten, daß dieser vorgetragene Gegenstand zur Entscheidung an die Justiz-Stellen zu verweisen seie, da hier eine offenbare Schuldsache zu verhandeln, und keine Differenz {4v} zwischen einem Haußeigenthümer und Mieths Manne obwalte, auf welche Fälle die allerhöchste Verordnung vom 24 September 1808 allein anzuwenden komme.
Herr geheimer Rath Freiherr von Aretin stimmten dem Antrage des Herrn Referenten ebenfalls bei, fügten Ihrer Meinung aber die Bemerkung bei, wie Sie glaubten, dem Oberappellazions Gerichte seie zu ahnden, daß daßelbe in einem Kompetenz-Konflikt zwischen Justiz und Administrativ Stellen entschieden habe, da nach den organischen Edicten und der Instrukzion für den königlichen geheimen Rath2028 die Entscheidung dieser Kompetenz Streitigkeiten dem königlichen geheimen Rathe vorbehalten seie. Auf welche Art diese Ahndung an das Oberappellazions Gericht zu erlaßen, wäre dem Justiz Ministerium anheim zu stellen.
Herr geheimer Rath von Effner theilten sowohl den Antrag des Herrn Referenten wegen dem vorliegenden Falle als auch die sehr gegründete Bemerkung des Herrn geheimen Rath Freiherrn von Aretin, indeme dem Oberappellazions Gerichte nur zustehe, die {5r} Kompetenz Konflikte der untern Justiz Behörden zu entscheiden2029, jene aber die zwischen Justiz- und Administrativ Stellen entstünden, nach den organischen Edicten und nach der geheimen Raths Instrukzion der allerhöchsten Stelle zur Entscheidung vorzulegen wären. Eine weitere Frage seie: ob nicht schon das Appellazions Gericht des Salzach-Kreises eine Ahndung verdiene, daß daßelbe nicht diesen Fall gleich an das Justiz Ministerium eingesendet, ohne für seine Kompetenz zu sprechen.
Diese Frage zu entscheiden, wäre dem königlichen Justiz Ministerium zu überlaßen, und es scheine Ihnen fast nothwendig, durch eine allgemeine Verordnung künftig ähnlichen Fürschritten der Justiz Behörden vorzubeugen, und dieselben wiederholt und bestimmt anzuweisen, daß, sobald in einer anhängigen Sache eine Administrativ Stelle dazwischen komme, und eine Kompetenz Streitigkeit entstehe, dieselbe nicht mehr für ihre oder der Administrativ Stellen Kompetenz entschieden, sondern die Akten an die allerhöchste Stelle eingesendet werden sollten.
Da alle übrige Herrn geheimen Räthe sich mit diesen Bemerkungen {5v} der Herrn geheimen Räthe Freiherr von Aretin und von Effner vereinigten, so wurde
der allerunterthänigste Antrag an Seine Majestät den König beschloßen, diesen Gegenstand als eine Justiz-Sache den Justiz Stellen zur Entscheidung zu überlaßen, und die Bemerkungen der Herrn geheimen Räthe Freiherrn von Aretin und von Effner dem Justiz Ministerium zur weiteren Berüksichtigung mitzutheilen.
Der König genehmigt die Anträge des Geheimen Rates (13. Oktober 1812).
Anmerkungen
Sitz: Burghausen, vgl. VO betr. die „Territorial-Eintheilung des Königreichs“ vom 23. September 1810, RegBl. 1810, Sp. 815.
Gemäß der „Instruktion der Polizei-Direktionen in den Städten“ vom 24. September 1808, § 88 f, RegBl. 1808, Sp. 2527, waren Polizeidirektionen kompetent, in „Differenzen zwischen Hauseigenthümern und Miethleuten“ zu entscheiden, „ausgenommen in Fällen, wo die beiden Theile durch schriftliche Kontrakte ihre Rechte sicher gestellt haben“.
Vgl. OE betr. die „Bildung des geheimen Raths“ vom 4. Juni 1808, Tit. II, Art. 7 a, RegBl. 1808, Sp. 1332.
Vgl. OE betr. die „Gerichts-Verfassung“ vom 24. Juli 1808, § 51, RegBl. 1808, Sp. 1796: Das Oberappellationsgericht hat „Bericht zu erstatten, und Unsere [sc. des Königs] allerhöchste Entscheidung zu erholen“, wenn „zwischen Appellations-Gerichten unter sich, oder zwischen Untergerichten, welche nicht unter einem und demselben Appellations-Gerichte stehen, Kompetenz Konflikte sich ergeben“.