BayHStA Staatsrat 8
5 Blätter. Unterschriften der Minister und des Königs. Protokoll: Kobell.
Anwesend:
König Max Joseph.
Staats- und Konferenzminister: Montgelas; Morawitzky; Hompesch.
Details der Konstitution für das Königreich Bayern
Montgelas trägt über die Ergebnisse der Arbeit der Referendärskommission vor. Zum einen hat sie Entwürfe der aus der Konstitution hervorgehenden Organischen Gesetze erarbeitet, die verlesen und genehmigt werden. Zum anderen handelt es sich um Nachfragen zu einzelnen Punkten der Konstitution, insbesondere im Hinblick auf die Fideikommisse, die Siegelmäßigkeit und das wittelsbachische Familiengesetz. Der König genehmigt die Anträge mit Änderungen.
{1r} Der geheime Staats- und Konferenz-Minister Freyherr von Montgelas äusserte, wie er Seiner Königlichen Majestät und dem versammelten Ministerio in der heutigen Staats Konferenz die von der Versammlung der geheimen Referendairs (welche ihre Sizungen nach dem allerhöchsten Befehle angefangen, und in ihren Arbeiten schon weit vorgerükt wären) verfaßte Entwürfe der aus der Constitution des Königreiches Baiern {1v} hervorgehenden organischen Gesezen vorlegen, und jene Anfrage anführen würde, welche diese Versammlung über einige §. der Konstituzions-Urkunde selbst, über verschiedene Gegenstände, die auf die Anwendbarmachung des Code Napoléon im Königreiche Baiern und die Justiz Einrichtungen Bezug haben, so wie über verschiedene Punkte die aus den organischen Gesezen und den neuen Verwaltungs Einrichtungen sich ergeben, Seiner Königlichen Majestät und dem Ministerio zur Prüfung und Entscheidung nach ihrer Überzeugung vorlegen zu müßen, sich verpflichtet geglaubt haben.
Freiherr von Montgelas fing nun an, die in diese drei Abtheilungen eingereihte Anfragen abzuleßen, und nachdeme er dieselbe mit der Constitutions Urkunde, wo es nötig war, verglichen, und die Ansichten der Versammlung, wie sie aus den übergebenen Protokollen hervorgehen, bei jeder Anfrage auseinander gesezet hatte, gab er in Übereinstimmung {2r} mit den übrigen königlichen Minister über jede Anfrage seine Meinung, und unterlegte die Entscheidungen hierauf der allerhöchsten Entschliesung Seiner Königlichen Majestät.
Wegen den Fidei Commißen äusserte der geheime Staats- und Konferenz Minister Herr Graf von Morawizky seine Meinung dahin, wie er aus Ursachen, die er anführte, glaube, daß zu viele rechtliche Gründe eintretten, um die Fidei Commiße nach der Meinung der Versammlung ganz aufzuheben. Er könne seine Überzeugung nicht unterdrücken, daß der nemliche Zweck zwar langsamer aber auch ohne Nachtheil der mit den Rechten auf die Fidei Commiße *gebornen erreichet werden könnte, wenn man die Errichtung von Fidei Commissen* [Ergänzung von anderer Hand] für die Zukunft untersagte, und alle jene von dem Genuße der Fidei Commiße ausschliese, welche an dem Tage der Publication noch nicht geboren waren.
Ebenso glaube er bei der Aufhebung der Siegelmäsigkeit bemerken zu müssen, daß eine nothwendige Folge dieser Verfügung die Wiedereinführung der aufgehobenen {2v} Wechselfähigkeit sein müste, indem sonst in vielen Fällen der Credit der Privaten zu sehr beschränkt, und sie gezwungen sein würden, in jedem dringenden Augenblick auch bei nicht bedeutenden Summen alle Förmlichkeiten der Gerichte einschlagen zu müßen.
Seine Königliche Majestät haben auf diese Anfragen der Versammlung der geheimen Referendärs die in der Beilage bemerkte allerhöchste Entscheidungen50 zu geben geruhet, und befohlen, daß die hiernach genehmigte Änderungen in der Constitutions Urkunde getroffen, und diese Beilage nebst einem Extrakte des Conferenz Protokolls der Versammlung zu ihrer Nachachtung, und um in ihren Arbeiten fortzufahren, und die neuen Aufträge zu erfüllen abschriftlich mitgetheilt werden sollen.
Die Bemerkung des königlichen geheimen Staats- und Konferenz Ministers Herrn Grafen von Morawizky wegen Wiedereinführung der Wechselfähigkeit, solle bei der Gesez {3r} Commission in Überlegung genommen, und das Weitere deßwegen von derselben vorgeschlagen werden.
Aus dem nemlichen Veranlasse wegen Aufhebung der Siegelmäsigkeit, solle auch die Versammlung der geheimen Referendairs ein organisches Gesez wegen der Konstituirung des Adels in Vorschlag bringen, und dabei angeben, welche Vorzüge demselben den Gesezen unschädlich gewähret werden könnten.
Der königliche geheime Staats und Konferenz Minister Freiherr von Montgelas bemerkte, daß bei dem II. Titel der Constitutions Urkunde: von dem königlichen Hause von dem geheimen Rathe von Zentner, der das Familien Gesez zu bearbeiten habe, wegen dem 3n, 4n und 5n § einige Erinnerungen gemacht worden, indeme derselbe sich einige Fälle gedacht, welche er durch die gegenwärtige Faßung dieser § nicht für hinlänglich entschieden glaube.
{3v} Allein er Freiherr von Montgelas halte dafür, daß die vorgeschlagene Änderung dieser 3 §§ für die Constitutions Urkunde zu ausgedehnt seie und das nemliche, was Herr von Zentner bezwecke, erreichet werden könnte, wenn in dem 3n § des II. Titels, die Worte: nach der Nähe der Verwandtschaft mit dem lezten Monarchen weggelassen, und statt dessen, im Anfange des § 4 nach den Worten das Nähere, folgendes hinzugefüget würde: „über die Art, wie diese Erbfolge eintretten solle, wird durch ein besonderes Familien Gesez bestimmt werden“. In einem Familien Geseze könne man alle Fälle entscheiden und jeder Mißdeutung begegnen51.
Seine Königliche Majestät haben diesen Antrag Dero geheimen Staats- und Konferenz Ministers Freiherrn von Montgelas allergnädigst genehmiget, und wollen, daß diese von demselben angetragene Änderung des 3n und 4n § des II. Titels vorgenom{4r}men werde.
Herr geheime Staats- und Konferenz Minister Freiherr von Montgelas las nun folgende von der Versammlung entworfene organische Gesez Entwürfe vor, nemlich:
A) wegen Aufhebung der Landschaftsversammlungen in Baiern, Neuburg, Tyrol und Vorarlberg, als Folge der neuen Constitution des Königreiches52.
B) Die Einleitung zur Constitutions Urkunde.
C) Die Verordnung wegen Aufhebung der Leibeigenschaft53.
D) Die Verordnung wegen der Güter Confiscation54.
E) Die Verordnung wegen Aufhebung der Siegelmäsigkeit55.
F) Die Verordnung wegen Aufhebung der Edelmanns Freiheit56.
G) Das organische Edikt wegen dem Geheimen Rathe57.
I) Das organische Edikt wegen der Nazional Repräsentazion, den Kreiß {4v} Deputazionen und Wahl Versammlungen58.
J) Die Verordnung über die Territorial Eintheilung des Königreiches Baiern59.
Seine Königliche Majestät haben diesen abgelesenen Entwürfen ihre allerhöchste Genehmigung ertheilet, und verordnen, daß die neue Constitution für das Königreich Baiern den 11ten des künftigen Monat May proklamiret werde, nachdeme zuvor die entworfene und genehmigte Verfügungen getroffen sind, die landschaftliche Versammlungen in allen Provinzen, wo sie bestehen, aufzuheben60.
Die andere genehmigte organische Geseze sollen dann als Folge der Konstituzion bekannt {5r} gemacht werden.
Genehmigung der Entschließungen durch den König.
Anmerkungen
VO betr. die „Auflösung der dermaligen landschaftlichen Korporationen“ vom 1. Mai 1808, RegBl. 1808, Sp. 961f.; auch bei Kotulla, Verfassungsrecht Bd. 2, Nr. 285, S. 654.
Die Leibeigenschaft, definiert als das Verhältnis, „nach welchem der Unterthan seinem Herrn auf solche Weise dienstbar und unterwürfig war, daß ihm und seinen Kindern entweder kein, oder nur ein sehr beschränktes Recht über ihren Stand und Erwerb zustund“, wurde mit Edikt vom 31. August 1808 aufgehoben (RegBl. 1808, Sp. 1933-1936, Zit. Sp. 1933; auch bei Kotulla, Verfassungsrecht Bd. 2, Nr. 304, S. 850-852; Schimke, Regierungsakten, Nr. 33, S. 189-191; zeitgenössischer Druck: Winkopp [Hg.], Der Rheinische Bund 8, Nr. 25, S. 298-300). Dazu Stolleis, Gesetzgebung, S. 56-59; Demel, Staatsabsolutismus, S. 300-303; Weis, Montgelas Bd. 2, S. 545f.; Holzapfl, Bürgerliche Freiheiten, S. 37-41. Der Landshuter Professor der Rechte Franz Xaver Krüll führte 1807 zum „Wesen der Leibeigenschaft“ aus, dieses bestehe „in der strengen Verbindlichkeit zu Diensten und Abgaben, welche auf der Person des Leibeigenen, und zwar entweder ohne alle Rücksicht auf einen Gutsbesitz, oder in Beziehung auf ein Bauerngut, das er in eigenem Namen inne hat, in der Art haftet, daß derselbe ohne Willen des Leibherrn sich davon nicht nur nicht losmachen darf, sondern sie auch noch mit allen aus diesem Verhältnisse entspringenden Folgen auf seine Nachkommen vererbt“ (Krüll, Handbuch Bd. 2, S. 240f., § 143).
Grundlage des „Edikt[s] über die Konfiskationen“ vom 29. August 1808 (RegBl. 1808, Sp. 1937-1939; auch bei Kotulla, Verfassungsrecht Bd. 2, Nr. 303, S. 849) war die Bestimmung der Konstitution, wonach „Güter-Konfiskationen“ – außer im Fall der Desertion – verboten waren. Wohl aber konnten „die Einkünfte während der Lebenszeit des Verbrechers sequestrirt und die Gerichtskosten damit bestritten werden“ (Tit. 5 § 6, RegBl. 1808, Sp. 998). Das ergab sich aus „der Allgemeinheit des Grundsazes, daß der Staat aus den Verbrechen der Unterthanen zum Nachtheile schuldloser Erben keinen Gewinn ziehen soll“ (RegBl. 1808, Sp. 1937).
Durch ein Organisches Gesetz vom 20. April 1808 wurde „das Privilegium der Siegelmässigkeit (welches mehrere Begünstigungen in gerichtlichen und aussergerichtlichen Handlungen, und andere persönliche Vorrechte begreift)“, aufgehoben (RegBl. 1809, Sp. 115-118, Zitat Sp. 115; Kotulla, Verfassungsrecht Bd. 2, Nr. 284, S. 652-654; Schimke, Regierungsakten, Nr. 10, S. 99-101). Es erloschen u.a. folgende Rechte: Das „Recht, schriftlichen Handlungen, durch die Fertigung von zwei Siegelmässigen, oder eines Siegelmässigen und zwei Zeugen die Kraft einer öffentlichen Urkunde zu geben“ (Ziffer 1), das Recht, „den Vermögens- und Schuldenstand auf Treue und Glauben vor Gericht anzugeben“ (Z. 4), sodann „das Recht eines befreiten Gerichts-Standes“ (Z. 13). Es bestand nicht mehr länger die „Begünstigung, daß Siegelmässige ohne Unsern besondern Befehl nicht zu Verhaft gezogen werden können“ (Z. 18), ferner „die ihnen bei dem Kriminal-Verfahren zugestandene mildere Behandlung“ (Z. 19). Zum Recht der Siegelmäßigkeit vgl. Anmerkungen CMBC, Tl. V, Kap. 22, § 16, S. 1689-1691; Fessmaier, Grundriß, S. 147-149 (§§ 131, 132).
OG betr. die „Aufhebung der Edelmanns-Freiheit“ vom 20. April 1808, RegBl. 1809, Sp. 113-115; weiterer zeitgenössischer Druck bei Winkopp (Hg.), Der Rheinische Bund 10 (1809), Nr. 26, S. 325-327; neuere Drucke: Kotulla, Verfassungsrecht Bd. 2, Nr. 283, S. 651f.; Schimke, Regierungsakten, Nr. 9, S. 98f. – Nach der Erklärung Kreittmayrs (1769) bestand die Edelmannsfreiheit „hauptsächlich in der Jurisdiction auf den einschichtigen Gütern im Landgericht, hiernächst in dem exercitio des kleinen Weidwerks auf landgerichtischen Boden, wie auch bey Successionen in dem sogenannthen Mannvortheil und Ausschließung der Töchter von väter- mütter- und brüderlichen Verlassenschaft“ (Kreittmayr, Grundriß, § 189, S. 440). Den „Manns-Vortheil“ definierte das Organische Gesetz vom 20. April 1808 als erbrechtliches Vorgriffsrecht, „vermög dessen der älteste Mannserbe einen gewissen Antheil des freien älterlichen Vermögens, nach Familien-Verträgen oder richterlichen Bestimmungen, zum Voraus fodern kann“ (Ziff. 5, Sp. 114). Zur Edelmannsfreiheit vgl. Protokolle Bd. 2, Nr. 9 (Staatsrat vom 27. Januar 1802), S. 76-79, TOP 6.
OE betr. die „Bildung des geheimen Raths“ vom 4. Juni 1808, RegBl. 1808, Sp. 1329-1335; auch bei Kotulla, Verfassungsrecht Bd. 2, Nr. 287, S. 663-667; zeitgenössischer Druck: Winkopp (Hg.), Der Rheinische Bund 7 (1808), Nr. 13, S. 157-160. Auszug: Schimke, Regierungsakten, Nr. 68, 365-369. Vgl. Mauerer/Stauber, Verwaltung, S. 264-267.
Das hier angekündigte Organische Edikt wurde nicht publiziert. Es erschien lediglich eine Verordnung vom 15. Juli 1808 betr. die „Herstellung der Steuer-Listen für die Wahl der künftigen Kreis-Versammlungen“ (RegBl. 1808, Sp. 1577-1580). Vgl. Seydel, Bayerisches Staatsrecht Bd. 1, S. 205 Anm. 1, mit Verweis auf das 1810 erschienene „Handbuch der Staatsverfassung und Staatsverwaltung des Königreichs Baiern“, Bd. 3, Nr. 107, S. 283: Demnach war das angekündigte Organische Edikt „[n]och nicht erschienen“. Den Ediktsentwurf in einer Fassung von 1811 hat Aretin, König Maximilian I., S. 629-640, publiziert (nach BayHStA Staatsrat 8237; ältere Textstufen: Staatsrat 1642). Aretin führt dazu an: „Kurz vor der Veröffentlichung wurde das vorbereitete Edikt, das als Schlussstein die bayerische Verfassung als Ganzes in Kraft gesetzt hätte, von Montgelas zurückgezogen“ (ebd., S. 622).
Mit Verordnung vom 21. Juni 1808 betr. „die Territorial-Eintheilung des Königreichs Baiern“ (RegBl. 1808, Sp. 1481-1502; Kotulla, Verfassungsrecht Bd. 2, Nr. 288, S. 669-677; zeitgenössischer Druck: Winkopp [Hg.], Der Rheinische Bund 7 (1808), Nr. 16, S. 242-246) wurde das „ganze Königreich in möglichst gleiche Kreise mit Rücksicht auf die natürliche Grenzen eingetheilt“ (RegBl. 1808, Sp. 1481). Vgl. Mauerer/Stauber, Verwaltung, S. 271-274; Strobel, Territorium.
Proklamiert als „Konstitution für das Königreich Baiern“ vom 1. Mai 1808 im Regierungsblatt Nr. XXII vom 25. Mai 1808 (RegBl. 1808, Sp. 985-1000). Es gibt zahlreiche zeitgenössische und spätere Drucke, z.B.: Winkopp (Hg.), Der Rheinische Bund 8 (1808), Nr. 1, S. 3-14; Schimke, Regierungsakten, Nr. 7, S. 72-82; Kotulla, Verfassungsrecht Bd. 2, Nr. 286, S. 655-663; AK Bayerns Anfänge, S. 324-332.