BayHStA Staatsrat 181
10 Blätter. Unterschriften des Königs, des Kronprinzen und der Minister. Protokoll: Baumüller.
Anwesend:
König Max Joseph; Kronprinz Ludwig.
Staats- und Konferenzminister: Montgelas; Morawitzky.
Geheime Räte: Graf v. Preysing; Ignaz Graf v. Arco; Graf v. Toerring-Gutenzell; v. Zentner; Johann Nepomuk v. Krenner; Franz v. Krenner; Carl Maria Graf v. Arco; Freiherr v. Aretin; v. Effner; v. Schenk; Freiherr v. Asbeck; v. Feuerbach.
Zweimädigmachung von Wiesen
Johann Nepomuk v. Krenner teilt seine Ansicht zum Streit der Kleingütler gegen die Großgütler in Wallkofen mit. Er hat dazu ein abweichendes Votum verfaßt, das zu den Akten genommen wird.
{1v} 1. Der königliche geheime Rath Carl Graf von Arco las den Aufsaz des Reskriptes ab, welches auf den Vortrag in der lezten Plenar-Versammlung des geheimen Rathes1490 in Gemäsheit des per majora gefaßten Beschlußes in Sachen der Großgütler zu Wallkofen wegen verlangter freier Benuzung respec. wahrer Zweimädigmachung ihrer eigenthümlichen Antheile der sogenannten Pitzwieße gegen den Einspruch der Kleingütler zu Wallkofen dem General-Kommißariat des Regenkreises zukommen solle, und wornach die Berufung der Großgütler an Seine Königliche Majestät bei vorliegenden zwei gleichlautenden Sentenzen der 1ten und 2ten Instanz als nicht devolut erkannt wurde.
Der königliche geheime Rath von Krenner der ältere bemerkte nach Ablesung dieses Entwurfs, daß er inzwischen ein eigenes Votum in dieser Sache verfaßt habe, um darzuthun, daß die zwei Sentenzen eigentlich nicht als konform anzusehen seien und bitte, um wenigstens seine Ansichten zu salviren, daßelbe zu den Akten des geheimen {2r} Rathes zu nehmen.
Der vorgelesene Entwurf, als nach dem lezten geheimen Raths-Schluße redigirt, wurde genehmiget, und die Bemerkungen des geheimen Rathes von Krenner sollen zu den Akten des geheimen Rathes gelegt werden1491.
Einleitungsvortrag Feuerbachs zum Bürgerlichen Gesetzbuch
Feuerbach stellt in einem „Einleitungsvortrag“ die Grundsätze der neuen, auf dem Code Napoléon (CN) beruhenden Zivilgesetzgebung vor. Wichtigstes Motiv für die Rezeption des CN ist die rechtspolitische Integration des Rheinbundes. Um den materiellen Gehalt des CN zu bewahren, müssen alle Grundideen der französischen Gesetzgebung beibehalten werden: Freiheit der Person, Gleichheit vor dem Gesetz, Trennung von Kirche und Staat, Freiheit des Eigentums, Freiheit des Güterverkehrs, Förderung der Güterverteilung. Diese von der Gesetzeskommission in ihren Redaktionsarbeiten durchgehend berücksichtigten Grundideen stoßen allerdings auf Kritik. Zu entscheiden ist insofern, ob das Gesetzbuch auf Bayern überhaupt anwendbar ist oder nicht. Feuerbach fährt fort, indem er Regelungen des französischen Zivilrechts herausstellt, die in Bayern nicht rezipiert werden können; ferner schildert er die Arbeitsweise der Gesetzeskommission. Resümierend betont Feuerbach die Notwendigkeit einer homogenisierenden Gesetzgebung, um die unlängst zum Königreich Bayern gekommenen Gebiete in den Staatsverband zu integrieren. Montgelas regt an, die auf Feuerbachs Ausführungen reagierenden Kritiken der Geheimen Räte Graf von Toerring-Gutenzell, Graf von Arco sowie von Effner lithographisch zu vervielfältigen, um sie in der nächsten Sitzung des Geheimen Rates zu verlesen.
2. Nachdem Seine Königliche Majestät unterm 28ten September1492 befohlen hatten, daß der von dem königlichen geheimen Rathe Feuerbach bearbeitete Entwurf des bürgerlichen Gesezbuches in dem geheimen Rathe und zwar auf die Art zur Vorlage gebracht werden solle, daß jedesmal eine Lehre des Gesezbuches ausgehoben, die Grundsäze derselben zusammen gestellt, und die Abweichungen von der bisherigen Gesezgebung nebst den Ursachen und Beweggründen dafür bemerkt werden; so glaubte der genannte geheime Rath Feuerbach, welchem der Vortrag über diesen Gegenstand zugetheilt worden war, daß es am zwekmäsigsten sei, vor allem in einem ausführlichen Einleitungs Vortrage die Nothwendigkeit darzuthun, sich zuvörderst über die Grundsäze der neuen {2v} Gesezgebung einzuverstehen1493. Er warf die Hauptfrage auf, was Baierns Absicht bei seiner neuen Gesezgebung sei.
Diese Frage beantwortete Referent ausführlich auf folgende Art.
1) Bei der von Seiner Majestät erklärten Willensmeinung, den Code Napoléon zur Grundlage einer neuen bürgerlichen Gesezgebung für das Königreich zu nehmen, könne es die allerhöchste Absicht nicht gewesen sein, blos Einheit und Einförmigkeit in der Gesezgebung im Königreiche einzuführen, vielmehr müße die Bestimmung des Code Napoléon als Grundlage in den größeren politischen Verhältnißen ihren Grund haben.
Es mögte wohl die Absicht gewesen sein, das neue Staaten Sistem der Foederazion1494 könne blos dadurch Konsistenz gewinnen, daß alle konföderirte Staaten in den Haupt-Grundsäzen der Staats-Verfaßung und Verwaltung, so wie in allen Prinzipien der Gesezgebung dem Haupt-Staate Frankreich sich aßimiliren. Diese wohl gegründete Ansicht allein konnte veranlaßen, den Code Napoleon auf Baiern in Anwendung zu bringen {3r} und unter dieser Ansicht seie es auch von der Gesezkommißion, welcher Seine Königliche Majestät aufgegeben hätten, den Code Napoléon zu modifiziren, stets als Grundsaz beobachtet worden, den Code Napoléon in seinen ihm wesentlichen Bestimmungen überall aufrecht zu erhalten, und nichts zu ändern, als wo er schlechterdings unanwendbar oder evident nachtheilig gewesen sein würde. Vielmal hätte die Gesezkommißion ihre eigene Überzeugungen jener höheren politischen Ansicht untergeordnet.
2) Referent stellte nun die Frage auf, was es heiße, ein gegebenes Gesezbuch für einen anderen Staat zu modifiziren. Dieses Wort im Allgemeinen heiße nichts anders, als das Zufällige einer Sache unbeschadet ihres Wesens verändern. Jede Gesezgebung habe ihr Zufälliges und ihr Wesentliches, durch welches leztere sie gerade diese und keine andere Gesezgebung sei, und was ihre Seele und ihren eigentlichen Karakter ausmache. Die Gesezkommißion habe in dieser Hinsicht den Grundsaz befolgt, alle Grund-Ideen die den Geist des Code Napoléon ausmachen beizubehalten. {3v} Diese könnten weder aufgehoben noch modifizirt werden.
Geheimer Rath Feuerbach fand hier für nothwendig, diese Grund-Ideen darzustellen, da sie zur Ergänzung der gegenwärtigen Frage dienen, was Baiern bei seiner neuen Gesezgebung wolle1495. Sie seien folgende.
[3)] a) Jeder Unterthan ist im Verhältniße zu andern Unterthanen ein freier Mensch; er ist frei geboren und muß frei bleiben1496. b) Alle Unterthanen sind gleich vor dem Gesez1497. c) Der Staat ist selbstständig und unabhängig von der Kirche in allen bürgerlichen Dingen1498. d) Die Freiheit des Eigenthumes soll begünstiget werden1499. e) Der freie Umtausch des Eigenthumes soll befördert werden1500, eben so f) die Vertheilung des Eigenthums1501.
Diese Grund Ideen habe die Gesez-Kommißion bei dem erhaltenen Auftrage, den Code Napoléon für Baiern anwendbar zu machen, in ihrer vollen Reinheit zu erhalten gesucht1502. Aber eben diese Grund-Ideen seien nach manchen Meinungen den größten Bedenklichkeiten {4r} unterworfen, und würden sogar hie und da für gefährlich, zerstörend und größten Theils unanwendbar gehalten. Es müße daher die Vorfrage entstehen, ob ein auf diese Grundsäze gebautes in diesem Geiste bearbeitetes Gesezbuch im Allgemeinen für heilsam und auf Baiern anwendbar betrachtet werde oder nicht. Diese Frage müße nothwendig entweder bejahend oder verneinend beantwortet werden.
4) [!] Nachdem auf vorstehende Art der geheime Rath Feuerbach entwikelt hatte, was an dem Code Napoléon nicht geändert werden dürfte, so folgerte er hieraus und stellte umständlich dar, was einer Aenderung fähig und bedürftig wäre, und welches die Haupt Momente seien, in denen sich der Code Napoléon von dem baierischen Gesezbuche unterscheide.
Lehren, welche im Königreiche der Gegenstand ihrer Anwendung fehle, als Kolonien, Marine Häfen, Großrichter, Notablen p. hätten in unserem Gesezbuche nicht aufgenommen werden können.
Einen besondern Einfluß äußere nothwendig die neue baierische Gerichts-Verfassung. Statt der in {4v} der französischen Gesezgebung unbekannten sogenannten willkührlichen oder nicht streitigen Gerichtsbarkeit stünden in Frankreich Notarien. Diese habe aber unsere Regierung bestimmt nicht anerkannt1503. Eben so wenig ein weiteres Hauptglied im Organismus des französischen Gerichtswesens, einen kaiserlichen Procurator. Es seie bestimmt ausgesprochen worden, einen solchen in die baierische Gerichtshöfe nicht einzuführen.
Die französische Gerichtsverfassung seie ferner schon ihrer Grundlage nach von der baierischen verschieden. Statt der blos zweifachen Instanz unter dem Centrum eines Kassazions Hofes bestünden in Baiern 3 Instanzen. An der Stelle eines blos über Formen erkennenden Kaßazions Gerichtes stehe eine in 3ter und lezter Instanz über die Sache selbst erkennende oberste Justizstelle; an der Stelle der in zweiter und lezter Instanz erkennenden französischen Appellazions-Gerichte seien die königlichen Appellazions-Gerichte als erste Instanz in Kriminal und als zweite aber nicht lezte Instanz {5r} in Civil-Sachen. Die Funkzionen der französischen Friedens Richter und der Distrikts-Tribunale seien bei uns in den Funkzionen der Untergerichte1504 vereiniget.
Ferner seien viele Bestimmungen des Code Napoléon lediglich berechnet auf das französische gerichtliche Verfahren, welches von unserm deutschen durchaus abweiche. Wenn man dieses hätte bei uns einführen wollen, so hätte die Einführung der französischen Gerichtsverfaßung in allen ihren Theilen vorausgesezt werden müßen. Es hätten also alle Bestimmungen, die sich auf das französische Verfahren beziehen, nach deutschem Begriffe bearbeitet werden müßen. Oft seie dieses nur durch bloße Auslaßung zu bewirken gewesen. Oft seien wesentliche Lüken im Gebäude der gesezlichen Regeln selbst, um den Zusammenhang in der Kette der Geseze zu erhalten, auszufüllen gewesen. Referent zeigte, wie die Gesezkommißion bei ihren Arbeiten auf alles dieses aufmerksam gewesen sei. Im Code Napoléon seien übrigens für und wieder einzelne Verordnungen rhapsodisch neben einander geworfen, mehrere Hauptgegenstände gar nicht {5v} berührt p. Die Gesezkommißion habe hier theils berichtigen, theils zusezen müßen, wo es nothwendig gefunden worden. Vieles seie auf die blose Autorität der französischen Romanisten in den Code Napoléon aufgenommen worden, was anerkannter Irrthum sei; dieses habe die Gesezkommißion im baierischen Gesezbuche berichtigt.
Vieles seie blos dadurch motivirt, daß es bisher so gegolten habe. Hier seie die Gesezkommißion im entgegengesezten Sinne verfahren, und habe solche Bestimmungen, wenn sonst keine weitere Gründe dafür stritten, nach dem deutschen und baierischen Rechte abgeändert. In Baiern gäbe es endlich Institute, welche in Frankreich nicht existirten, auf solche Rechtsverhältniße habe die Gesezkommißion entweder durch ausdrükliche Bestimmung oder durch Hinweisung Rüksicht nehmen müßen.
In sistematischer Anordnung eine wesentliche Abänderung vorzunehmen, hätte nicht räthlich geschienen ohne die äußere Form des französischen Sistems völlig zu zerstören. Auch seie man beflißen gewesen, die Würde der Sprache, Praecision und Klarheit wodurch der Code Napoléon sich auszeichne, beizubehalten1505. Auf {6r} diese Art glaube Referent gezeigt zu haben, daß die Gesezkommißion alles gethan habe, was ihr zur Pflicht gemacht worden sei.
5) Die Methode, nach welcher dieselbe zu Werke gegangen, seie folgende. Die Mitglieder, welche als längst bekannte Rechtsgelehrte oder Geschäftsleute aus verschiedenen Provinzen des Reichs berufen gewesen, hätten sich durch 4 Monate alle Tage 4 Stunden versammelt. Jedem seie bei Eröfnung der Commißion eine Abschrift der neuen Redakzion aller Zusäze und Abänderungen mitgetheilt worden, wodurch jedes Mitglied in jeder Sizung vorbereitet und unterrichtet erschienen sei. In der Sizung selbst habe Referent immer zuerst die Grundsäze jeder einzelnen Lehre entwikelt1506, dann seie § für § genau durchgegangen, geprüft und umständlich diskutirt worden. Wenn eine Lehre mit besondern technischen Kenntnißen zusammen hieng, oder das Intereße anderer Theile des Staats Verwaltung berührte, so seien jederzeit entweder Gutachten der Sachverständigen erholt, oder die betreffende Geschäftsmänner beigezogen worden. Referent habe {6v} sich nebstdem blos für die Faßung und Übersezung einen Controlleur erbeten, der in der Person des Oberappellazions-Gerichts Directors van der Beke1507 jedesmal die lezte Redakzion schriftlich kritisiret habe, und jeder Punkt, der durch die Redakzion zweifelhaft geworden, seie der versammelten Gesezkommißion vorgelegt worden.
Geheimer Rath Feuerbach schloß den gegenwärtigen Vortrag damit, daß er die Nothwendigkeit einer neuen Gesezgebung, wenigstens einer Reform derselben auseinander sezte, welche der gegenwärtige Rechtszustand des Königreichs dringend erfordere. Die neu erworbene Gebietstheile Baierns, die aus verschiedenen Districten, aus preußenschen und oesterreichschen Antheilen zusammengesezt seien, hätten jedes seine eigene Geseze, Statuten und Gewohnheiten mitgebracht, und auf solche Art hätten sich nothwendig die Rechtsverhältniße der Bürger verwikelt1508. Seit der Einführung der neuen Konstituzion endlich seie Baiern vollends in den gefahrvollesten Zustand von Gesezlosigkeit, Rechtsungewißheit und Rechtsverweigerung gerathen, und was auch immer hinsichtlich des {7r} Gesezbuches beschloßen werden wolle, es werde Wohlthat sein gegen den dermal schwankenden Stand der Gesezgebung.
Endlich las noch Referent einen Aufsaz des Herrn Fürsten Primas [Dalberg] ab, welcher die Ansichten dieses Souverains wegen Ausführung des bereits patentmäsig angenommenen Code Napoléon zu erkennen giebt, und welcher in das Protocoll der Commißion, die sich wegen Einführung dieses Gesezbuches fürstlich Primatischer großherzoglich Heßischer und herzoglich Naßauscher Seits zu Gießen versammelt hatte, eingetragen worden1509.
Nach dieser ausführlichen Darstellung bemerkte der königliche geheime Staats- und Konferenz Minister Graf von Montgelas, daß die Fragen, um welche es sich hier gehandelt habe, von solch hoher Wichtigkeit seien, daß es sehr zu wünschen wäre, daß man die besondere Bemerkungen, welche mehrere Mitglieder des geheimen Rathes, namentlich die geheimen Räthe Graf von Törring Graf von Arco und von Effner nach selbstiger Angabe auf diese Fragen bereits niedergeschrieben hätten, vernehmen mögte, {7v} um in den Stand gesezt zu werden, ein gründliches Urtheil zu fällen. Da jedoch die Meldung geschah, daß diese einzelne Vota noch nicht lytographirt und folglich noch nicht zur Kenntniß der sämmtlichen Mitglieder gebracht seien,
so soll die Lytographirung dieser Bemerkungen der geheimen Räthe Grafen von Törring, Grafen von Arco und von Effner, welche Sie durch gegenwärtigen Vortrag des geheimen Rathes Feuerbach zu machen sich veranlaßt gefunden haben, beschleuniget, und in der nächsten Plenar Versammlung des geheimen Rathes dieselbe abgelesen werden1510.
3. Arco teilt mit, daß er gemäß Auftrag vom 8. April 1809 einen Vortrag nebst Verordnung über „die künftigen Appellazions Fatalien in Polizei und Kulturs Sachen“ ausgearbeitet hat1511. Da die Sache „nicht von zu großer Bedeutung und Umfange sei“, soll der Entwurf lithographiert und in einer künftigen Plenarsitzung des Geheimen Rates diskutiert werden, „ohne vorerst mit den Sekzionen sich zu benehmen“. Der Geheime Rat folgt dem Antrag; es soll dabei auf die Berufungsfristen in Maut-, Konfiskations, Kriegskonkurrenz- und Postsachen Rücksicht genommen werden.
Berufung zum Geheimen Rat
Ausgehend von einem im Geheimen Rat diskutierten Fall formuliert J. N. v. Krenner einen verfahrensrechtlichen Grundsatz für Streitfälle in Landeskultursachen. Danach hat die Einführung neuer Tatsachen in Verfahren nach der ersten Instanz zur Folge, daß die Entscheidung zweiter Instanz nicht mehr als gleichartig mit dem erstinstanzlichen Spruch angesehen werden kann. Das bedeutet, daß an den Geheimen Rat appelliert werden darf. Folgerichtig fordert Krenner die Anwendung auf vorliegenden Fall. Montgelas weiß, daß die Berufung an die dritte Instanz nur bei widersprechenden vorinstanzlichen Sprüchen erlaubt ist. Doch sei dies nach Meinung der Mehrheit, der man im vorliegenden Fall folgen müsse, nicht der Fall gewesen. Zentner hofft, daß der König nicht gewillt sein wird, einen von den Geheimen Räten in ihrer Eigenschaft als Richter mehrheitlich gefällten Spruch aufzuheben. In der Aussprache stellt man allerdings fest, daß der Spruch anders ausgefallen wäre, wenn man die in das Verfahren eingebrachten neuen Beweismittel nicht übersehen hätte. Der Geheime Rat befiehlt, die Entscheidung den neuen Tatsachen anzupassen. Ferner soll ein Vortrag zur Frage ausgearbeitet werden, ob auch bei gleichlautenden Entscheidungen erster und zweiter Instanz eine Berufung an den Geheimen Rat stattfinden kann.
4. Der königliche geheime Rath von Krenner erhielt die Erlaubniß, die bereits sub Nro 1 des heutigen Protokolls in Anregung gebrachte Bemerkungen über die Appellazions-Beschränkung aus dem Grunde bereits vorliegender 2 gleichförmiger Urtheile abzulesen. In diesem Vortrage wurden die Karaktere der eigentlich gleichförmigen Sentenzen umständlich auseinander gesezt und das Resultat gezogen, daß sobald in einer durch Spruch der ersten Instanz erledigten Sache ein Novum bei der Appellazion beigebracht werde, die Sache nicht mehr una ac eadem causa seie, und folglich das hierauf erfolgende Urtheil nicht als gleichförmig könne angesehen werden.
Referent wendete diesen Grundsaz auf den in dem jüngsten geheimen Rathe vorgetragenen Rekurs Fall aus dem Patrimonial Gerichte Sinching wegen Vertheilung {8v} der Pitzwieße1512 zu Wallkofen an, welcher durch den geheimen Raths Schluß dahin entschieden worden sei, daß die Berufung der Großgütler an den geheimen Rath bei vorliegenden zwei gleichen Sprüchen des Patrimonial Gerichts Sinching und des General Kommißariats des Regenkreises als nicht devolut erkannt werde1513. Der erste nach der Publication der ersten Sentenz den Großgütlern zu Handen gekommene Saalbuchs Extract seie als ein ganz neu entschiedenes Dokument anzusehen, also die Sache nicht una ac eadem causa gewesen, und folglich könnten keine zwei gleichförmige Sentenzen vorhanden sein, es müße daher die Berufung an den geheimen Rath allerdings devolvirt erklärt werden. Referent gab nicht Maas, ob nach Ansicht der Relevanz des neuen Dokuments simpliciter für die Großgütler oder auf eine Entschädigung für die Kleingütler gesprochen oder ob ein Interlocut gefaßt werden wolle; glaubte aber unter den vorwaltenden Umständen die eingetretene Kompetenz Frage des geheimen Rathes vor allem der allerhöchsten Person Seiner Königlichen Majestät mittels kurzer Zusammenziehung der für oder gegen die Kompetenz streitenden Gründe zur {9r} allerhöchst selbstigen Entscheidung vorzulegen.
Der königliche geheime Staats und Konferenz Minister Graf von Montgelas erinnerte, wie folgt: Durch die Instrukzion der General Kreis Kommißariate seie deutlich bestimmt, daß bei zwei widersprechenden Entscheidungen in Kultur Sachen der Rekurs an den geheimen Rath ergriffen werden könne, und folglich per indirectum gesagt, daß in Kulturs Sachen von zwei gleichförmigen Urtheilen nicht mehr an die 3te Instanz provozirt werden dürfe1514. So wie die Sache im jüngsten geheimen Rathe vorgetragen worden sei, so seien nach der Ansicht der Majorität in dem vorliegenden Falle zwei gleichlautende Sentenzen vorgewesen, und daher auch nach der Majorität die Berufung als nicht devolut angesehen worden. Er müße gestehen, daß die Akten seiner Zeit nicht gehörig eingesehen worden seien. Der Richter 2dae hätte allerdings auf das Novum, welches die Rekurrenten beigebracht hätten, Rüksicht nehmen müssen. Übrigens seie zu wünschen, daß so wie die Materie der Berufs [!] Termine in Polizei- und Kulturs-Sachen, auch diese Frage, ob zwei {9v} gleichförmige Sentenzen die Berufung an den geheimen Rath zulaßen, in der gemeinschaftlichen Sekzion näher berathen werde. Im gegenwärtigen Falle seie er der Meinung, daß von dem per majora gefaßten Beschlusse nicht abgegangen werden dürfe.
Geheimer Rath von Zentner bemerkte hiezu, daß dieses um so weniger geschehen dürfe, als in derlei administrativen kontentiosen Gegenständen die geheimen Räthe sich als Richter versammeln und es nicht in Seiner Königlichen Majestät allerhöchster Intention liegen werde, einen durch die Majorität gefällten richterlichen Spruch wieder abzuändern.
Nachdem mehrere der geheimen Räthe diesen Ansichten beitraten, so wurde im Verfolge der gegenseitigen Aeußerungen unter andern bemerkt, daß die Majorität sicher anders gesprochen haben würde, wenn die Bitte von den Rekurrenten gestellt worden wäre, das von ihnen beigebrachte und vom Richter der 2ten Instanz nicht berücksichtigte Novum (den Saalbuchs Extract) näher untersuchen zu lassen. Der königliche geheime Rath von Krenner erinnerte, daß dieses allerdings in der zum {10r} geheimen Rathe gediehenen Appellazions Schrift als Petitum ausgedrükt sei. Die Rekurs Schrift ad Intimum, welche im jüngsten geheimen Rathe nicht bekannt worden war, wurde also reproponirt.
Auf diese änderten sich nun die Stimmen dahin, daß durch eine solche wirklich gestellte Bitte allerdings die Lage der Sache eine ganz andere geworden sei, und daß nach dem Gesuche der Rekurrenten das Punctum novorum zu instruiren lassen sein mögte. Darnach mögten die gefällten Urtheile zu kaßieren und dem General Kommißariat des Regenkreises aufzutragen sein, das Punctum novorum herstellen zu laßen.
Nach diesem einstimmigen Beschlusse
sprachen Seine Majestät die Entscheidung dahin aus: dem General-Kommißariate des Regenkreises solle reskribirt werden: daß die in dieser Sache ergangene Sentenz kassirt und nach der von den Rekurrenten angebrachten Bitte der Mangel der sich in instructione causae wegen des von ihnen beigebrachten Saalbuchs Extractes bezeuge, durch die erste Instanz ersezt, sodann salvo appellatorio gesprochen werden solle.
Auch befehlen Seine Königliche {10v} Majestät bei diesem Anlaße, daß, so wie die Materie der Berufungs Termine in Polizei- und Kultur-Gegenständen, auch die Frage: ob bei zwei gleichförmigen Sentenzen in derlei Sachen eine Berufung an den geheimen Rath als die 3te Instanz statt haben könne? in der gemeinschaftlichen Sekzion näher berathen, und seiner Zeit Vortrag darüber erstattet werde.
Bestätigung der Entschließungen durch den König.
Anmerkungen
Feuerbachs Vortrag sollte die vom König am 28. September 1808 angeordnete Beratung des gesamten Entwurfs im Geheimen Rat durch eine Diskussion der leitenden Prinzipien des Gesetzeswerks einleiten. Rückblickend läßt sich feststellen, daß „damit der erste Schritt zum Scheitern des Entwurfs getan wurde“, arbeitete Feuerbach doch „sowohl die angebliche außenpolitische Notwendigkeit einer legislativen Assimilation innerhalb des von Frankreich beherrschten Staatensystems wie auch die Unantastbarkeit der revolutionären ‚Grundideen’ des französischen Zivilgesetzbuches […] mit solcher Hingabe heraus, daß er mit beiden Thesen den heftigsten Widerstand der ‚feudalaristokratischen’ Opposition im Geheimen Rat, die einen beträchtlichen Einfluß auf den König ausübte, provozieren mußte“ (Demel, Staatsabsolutismus, S. 47).
Der auf den 8. November 1809 datierte Vortrag ist dem vorliegenden Protokolltext beigebunden: „Allerunterthänigster Einleitungs Vortrag das bürgerliche Gesezbuch für das Königreich Baiern oder die Frage betreffend: Was ist Baierns Absicht bei seiner neuen Gesezgebung?“, 57 paginierte Seiten, BayHStA Staatsrat 181 (fortan zit. als „Einleitungs Vortrag“); weitere Exemplare: MA 99501; vollständiger Druck nach BayHStA Staatsrat 181 bei Haney, Naturrecht, S. 136-169 (Text), S. 329-338 (Kommentar). Knappe Auszüge: Feuerbach, Feuerbach’s Leben und Wirken, Bd. 1, S. 162-166 (Neuedition: ders., Gesammelte Werke, Bd. 12, S. 158-162); Schimke, Regierungsakten, Nr. 52, S. 270-275. Zu Feuerbachs Einleitungsvortrag vgl. Fehrenbach, Traditionale Gesellschaft, S. 139-141; Dölemeyer, Kodifikationsbestrebungen, S. 143f.; Schubert, Französisches Recht, S. 172-174; Schimke, Regierungsakten, S. 265; Weis, Montgelas Bd. 2, S. 566f.
In seinen dem Protokoll zugrundeliegenden Ausführungen verwies Feuerbach zur näheren Erläuterung der anschließend dargelegten „Grund-Ideen“ „auf seinen am 28n Jänner 1808 erstatteten Vortrag […], welcher sämmtlichen hohen Ministerien mitgetheilt wurde, und wo mehrere Punkte, welche hier nur angedeutet werden können, umständlich erörtert und mit ihren Beweisen versehen worden sind“. Er fügte hinzu, „daß er in dem zunächst folgenden nur als Darsteller oder Historiker betrachtet werden dürfe, der die Frage: was seine eigentliche innere Überzeugung sey? als eine unbefugte Frage von sich abzuwenden berechtiget ist“ („Einleitungs Vortrag“, S. 16 = Haney, Naturrecht, S. 145f.). Der angesprochene Vortrag vom 28. Januar 1808 wurde 1812 unter dem Titel „Betrachtungen über den Geist des Code Napoléon, und dessen Verhältniß zur Gesezgebung und Verfassung teutscher Staaten überhaupt, und Baierns insbesondere“, von Feuerbach in einer Aufsatzsammlung veröffentlicht (Feuerbach, Themis, S. 1-73). Elisabeth Fehrenbach führte dazu 1974 aus: „Der Code Napoléon wurde [in den „Betrachtungen“] als Gesetzbuch eines konstitutionellen Rechtsstaats interpretiert, der Zusammenhang zwischen Rechts- und Verfassungsreform hervorgehoben, die Abschaffung der ‚Feudalverfassung’, der Patrimonialgerichtsbarkeit, die Idee einer ‚allgemeinen rechtlichen Gleichheit aller Untertanen’ und die Trennung von Kirche und Staat postuliert.“ Allerdings wurde der Vortrag nicht weiter diskutiert, wohl deshalb, weil der „politische Taktiker“ Montgelas keine Grundsatzdebatte auslösen wollte, „deren Ausgang unschwer voraussehbar war. Das Gutachten barg einen politischen Zündstoff, der sofort die Adelsopposition auf den Plan gerufen hätte“ (Fehrenbach, Traditionale Gesellschaft, S. 136).
In der verschriftlichten Vortragsfassung führt Feuerbach dazu u.a. näher aus: „Keine Leibeigenschaft! Aber auch kein Verhältniß, das der Leibeigenschaft ähnlich ist! Jeder muß Herr sein von seiner eigenen Person, nur in so weit ist er es nicht, als er dieses freien Eigenthumes über seine Person sich entäussern könnte. Er kann nie auf lebenslang oder auf unbestimmte Zeit sich einem andern zu Diensten verpflichten. [Verweis auf Art. 1780 CN = Code Napoléon/Gesetzbuch Napoleons, Bd. 2, S. 270] […] Niemand soll zu dem andern sagen können: ich besize deine Person! Kein Unterthan soll zu einem andern sagen können: Du bist mein Unterthan!“ („Einleitungs Vortrag“, S. 16f. = Haney, Naturrecht, S. 145f.).
Formulierung des verschriftlichten Vortrags: „Was dem einen gilt, muß auch dem andern gelten. Ein Gesez, das überhaupt verpflichtet, muß alle verpflichten. Keine Privilegien zum Vortheile Einzelner: keine Ausnahme von dem Gesetz zu Gunsten besonderer Klassen der Unterthanen“ („Einleitungs Vortrag“, S. 17 = Haney, Naturrecht, S. 146f.).
Formulierung des verschriftlichten Vortrags: „Der Staat schüzt die Freiheit des Gewissens aller Religionen, er darf daher in seiner Gesezgebung für keine bestimmte Religion Partei nehmen. Sein Gesezbuch ist ein allgemeines Gesezbuch, das den Bürger als Bürger betrift, das für alle, welcher Religion sie sein mögen, auf gleiche Weise gelten soll; er darf daher kein Gesez aus Prinzipien ableiten, oder auf Voraussezungen berechnen, welche nur dieser oder jener Religions Partei allein eigenthümlich sind.“ („Einleitungs Vortrag“, S. 17f. =Haney, Naturrecht, S. 146).
Formulierung des verschriftlichten Vortrags: „Freiheit des Eigentums soll begünstigt werden, damit jeder seines Eigenthums und seiner Arbeit froh werden könne, damit Lust und Liebe zur Arbeit erwekt und das Aufblühen der Industrie gefördert werde. Daher z. B. keine ewigen unablößlichen Grundlasten! Alle solche Lasten sind ihrer Natur nach loskäuflich“ („Einleitungs Vortrag“, S. 19 = Haney, Naturrecht, S. 147).
Formulierung des verschriftlichten Vortrags: „Jeder muß frei über sein Eigenthum verfügen können, nur in so weit nicht, daß er es eigenmächtig der freiwilligen Verfügung entziehen könnte. Jene Privat-Verfügungen unter Lebenden, oder auf den Todesfall […] kurz Fidei-Kommisse können unter keiner Gestalt als blose Wirkung der Privat Willkühr entstehen, oder bestehend ferner gelten. Nur der Staat kann aus konstituellen Rüksichten durch Gründung von Majoraten einzelne Güter dem Kommerz entziehen“ („Einleitungs Vortrag“, S. 19f. = Haney, Naturrecht, S. 147f.).
Formulierung des verschriftlichten Vortrags: „Es ist nicht gut, daß sich das Eigenthum aufhäufe in einzelnen Händen. Da ist der innere Keim des Verderbens, wo Wenige übermäsig reich, und dagegen Viele arm sind“ („Einleitungs Vortrag“, S. 20 = Haney, Naturrecht, S. 148).
Dazu näher Feuerbach: „Ihr [der Gesetzeskommission] Werk ist daher wahrhaft und mußte sein der Code Napoléon, aber so, wie ihn die französischen Gesezgeber geschrieben haben würden, wenn sie ihn für Deutsche und insbesondere für Baiern hätten schreiben wollen“ („Einleitungs Vortrag“, S. 22 = Haney, Naturrecht, S. 149).
Feuerbach gibt an, die „Regierung“ habe durch Konferenzschluß vom 20. April 1808 „das Institut der Notarien“ nicht anerkannt („Einleitungs Vortrag“, S. 25 = Haney, Naturrecht, S. 151).
In „den Städten [waren das] die Stadtgerichte, auf dem Land die Land- und Patrimonialgerichte“ („Einleitungs Vortrag“, S. 29 = Haney, Naturrecht, S. 153).
Feuerbach bemerkt, die Gesetzeskommission habe bei ihren Redaktionsarbeiten die Übersetzungen von Erhard, Daniels, Lassaulx und Spielmann herangezogen („Einleitungs Vortrag“, S. 45 = Haney, Naturrecht, S. 162). Er bezieht sich damit auf folgende Werke: Napoleons I Kaisers der Franzosen, Königs von Italien und Protectors des Rheinbundes bürgerliches Gesetzbuch. Nach der neuesten officiellen Ausgabe verdeutscht und nebst den von dem Französischen Rechtsgelehrten Herrn Dard jedem Artikel beygefügten Parallelstellen des Römischen und ältern Französischen Rechts, auch seinen eignen Bemerkungen herausgegeben von D. Christian Daniel Erhard, Dessau/Leipzig 1808; Gesetzbuch Napoleons. Mit den Veränderungen, die durch das Gesetz vom 3. September 1807 gemacht worden sind. Aus dem französischen officiellen Texte übersetzt von [Heinrich Gottfried Wilhelm] Daniels, Cöln 1807; Kodex Napoleon, übersetzt und kommentiert von F[ranz] Lassaulx. Erster Theil, welcher den Text des Kodex enthält, Koblenz 1807; Codex Napoleon. Uebersetzt nach der neuen officiellen Ausgabe von einer Gesellschaft Rechtsgelehrter und durch Noten erläutert von L[udwig] Spielmann, Straßburg/Paris 1808.
Wie Feuerbach betonte, war das, was er „zur Diskussion und Genehmigung vorlegte, […] nicht das Werk des Augenbliks, sondern war durch ein mehrjähriges Studium des Code Napoléon selbst und der darauf sich beziehenden Werke vorbereitet“ („Einleitungs Vortrag“, S. 48 = Haney, Naturrecht, S. 164).
Franz Arnold Freiherr von der Becke (1754-1832), ein Mann, der nach Feuerbachs Urteil „eben so präzis zu denken, als richtig zu schreiben“ verstand („Einleitungs Vortrag“, S. 50 = Haney, Naturrecht, S. 165).
In der verschriftlichten Vortragsfassung gibt Feuerbach u.a. folgende nähere Erläuterungen: „Da wo sich die Gesetze, zumal in den Grenzen eines mäßig großen Staates, widersprechend durchkreuzen, da verwikeln sich notwendig die Rechtsverhältnisse der Bürger, da wird der Verkehr zwischen den Untertanen desselben Souveräns gefährlicherweise gehemmt und zerrüttet, da verkehrt sich die gesetzliche Ordnung, die der Bürger vor allen Dingen von dem Staate zu fordern berechtigt ist, in Widerspruch, Unordnung und Rechtsungewißheit, Oft wissen unsere Richter nicht, nach welchem Gesetzbuch sie da oder dort zu richten haben, oft wissen die Untertanen selbst nicht, welchem Gesetz sie gehorchen sollen. Bei dem Justitzministerium liegt ein Fall vor, wo selbst das Oberappellations-Gericht einen Prozeß nichtigerweise nach dem altbayerischen Rechte beurteilt hat, den es nach dem gemeinen Recht hätte beurteilen sollen; und doch war sein Irrthum verzeihlich, weil dieser Rechtsstreit aus einer Provinz kam, wo man fast auf jeder Poststation mit den Pferden auch die Gesetze wechseln muß“ („Einleitungs Vortrag“, S. 52 = Haney, Naturrecht, S. 166f.).
In Gießen traten zwischen dem 4. September 1809 und dem 28. März 1810 die Bevollmächtigten des Fürstprimas Dalberg, des Großherzogs Ludwig I. von Hessen und des Herzogs Friedrich August von Nassau an 46 Sitzungstagen zusammen, um die Art und Weise der Einführung des Code Napoléon (CN) im Rheinbund zu diskutieren und vorzubereiten. Dies hing mit dem Ende Oktober 1807 gegenüber den Politikern der konföderierten Rheinstaaten geäußerten Wunsch Napoleons zusammen, den CN als verbindliches Zivilgesetzbuch einzuführen. Dieses Ansinnen stieß insbesondere bei Fürstprimas Dalberg auf „wohlwollende Resonanz“ (Rob, Regierungsakten Frankfurt, S. 15). Schwierig war indes zu bestimmen, inwieweit das französische Zivilrecht zu modifizieren sein würde, um es mit den unterschiedlichen (gesellschafts-)politischen Programmen der einzelnen Rheinbundstaaten kompatibel zu machen, ferner, wann es in Kraft gesetzt werden sollte. Im Primatialstaat Frankfurt ordnete Dalberg mit Edikt vom 21. August 1809 (publiziert unter dem Datum 15. September) an, den CN zum 1. Mai 1810 in „gesetzmäßige Wirksamkeit“ zu setzen. Gleichzeitig behielt sich der Fürstprimas vor, „für jeden Bestandtheil der primatischen Lande, in Beziehung auf praktische Ausführung, besondre Erklärungen zu erlassen, in so weit es die Verhältnisse nothwendig erfodern“ (Rob, Regierungsakten Frankfurt, Nr. 4 Anlage 1, S. 52-54, zit. § 7 Satz 2, § 8 Satz 1, S. 54; das Edikt auch bei Winkopp [Hg.], Der Rheinische Bund 12 [1809], Nr. 38, S. 438-440). In Hessen-Darmstadt war ein Edikt ähnlichen Inhalts zum 1. August 1808 ergangen, als Großherzog Ludwig I. beschloß, den CN „zum allgemeinen Gesetzbuch in Unsern Staaten unter Modificationen und Bestimmungen anzunehmen, welche Verfassung und besondere Verhältnisse erheischen“ (Ziegler, Regierungsakten Hessen-Darmstadt, Nr. 44, S. 258f.). In Nassau konnte man sich nicht auf ein konkretes Datum verständigen, vielmehr wurde am 15./21. Dezember 1812 – nach mehreren Terminverschiebungen – die Übernahme auf unbestimmte Zeit verschoben (das Edikt bei Ziegler, Regierungsakten Nassau, Nr. 52, S. 302).
Die Gießener Konferenz ging auf Initiativen des nassauischen Ministers Ludwig Harscher von Almendingen zurück, der im Frühjahr 1808 eine Gesetzeskommission aller Staaten angeregt hatte, die die Einführung des CN zu erwägen hatten. Almendingen vertrat die Ansicht, alle Rheinbundstaaten sollten sich auf einen gemeinsamen Gesetzestext verständigen, um Interventionen Napoleons zuvorzukommen, denn dieser werde verlangen, „daß die Bundesstaaten definitiv nur einen oder gar keinen modificirten K.[ode] N.[apoléon] annehmen sollen“ (Gutachten Almendingens, 4. August 1808, gedruckt bei Ziegler, Regierungsakten Nassau, Nr. 41, S. 209-212, hier S. 209; Unterstreichung i. O.). Nach einer längeren Planungs- und Vorbereitungsphase kam im September 1809 allerdings nur eine „Rumpfkonferenz“ (Ziegler, Regierungsakten Nassau, S. 197) zustande – Baden hatte eine Teilnahme an der Konferenz abgelehnt (dazu die Antwortnote des badischen Justizministeriums vom 1. Dezember 1808, Schimke, Regierungsakten Baden, Nr. 57, S. 473-477), Bayern und Württemberg hatten keine Einladung erhalten. Die vor allem von ausgreifenden Grundsatzreferaten Almendingens geprägte Konferenz ging Ende März 1810 ohne Ergebnis auseinander. Im Rückblick beklagte der nassauische Minister, „einer der Hauptzwecke der Gießener Conferenzen, wechselseitige Mittheilung der Ansichten, Austausch der Ideen, vielseitige Discussion“ seien unerreicht geblieben. Auch sei man einem anderen Hauptzweck nicht näher gekommen: „möglichste Annäherung in den Grundsätzen möglichste Uebereinstimmung in den Modifikationen bey der Einführung des Code Napoléon in drey deutschen Staaten“ (Bericht Almendingens über den Verlauf der Gießener Konferenz vom 4. Mai 1810, Ziegler, Regierungsakten Nassau, Nr. 46, S. 225-229, hier S. 228).
Mit dem im vorliegenden Tagesordnungspunkt von Feuerbach angesprochenen „Aufsaz“ Dalbergs ist wohl die am 21. August 1809 ausgefertigte Instruktion für die nach Gießen zu entsendenden fürstprimatischen Kommissare gemeint (gedruckt bei Rob, Regierungsakten Frankfurt, Nr. 4 Anlage 4, S. 56f.). Dalberg betonte darin das Recht und die Pflicht jedes souveränen Fürsten, „nach seiner eignen Ueberzeugung das Wohl seiner Untergebenen nach Verhältnissen und Bedürfnissen seines Staates durch zweckmäßige Gesetze zu befördern“. Gleichzeitig sei es begrüßenswert, „wenn Gemeingeist und Uebereinkunft der Grundsätze mehrerer benachbarter Staaten das Band der Konföderation [sc. des Rheinbundes] um so fester knüpfen“. Die Kommissare wurden daher beauftragt, auf der Konferenz „die diesseitigen Ansichten und bereits gefaßten Entschließungen mitzutheilen“ sowie die Ansichten der Bevollmächtigten aus Hessen-Darmstadt und Nassau „mit lebhaftem Danke ad referendum anzunehmen“ (Zitate ebd.). Dalberg war mithin lediglich an einem „Gedankenaustausch“ interessiert, „von dem er sich Anregungen für seine eigene CN-Version versprach“ (Rob, Regierungsakten Frankfurt, S. 17). – Zur Gießener Konferenz und deren Vorgeschichte vgl. Fehrenbach, Traditionale Gesellschaft, S. 121-133; Schubert, Französisches Recht, S. 242-283; Quellenmaterial zu den Standpunkten der Konferenzteilnehmer und zum weiteren Kontext der Einführung des CN bei Ziegler, Regierungsakten Nassau, S. 194-302, Nrr. 39-52; dies., Regierungsakten Hessen-Darmstadt, S. 252-290, Nrr. 44-50; Rob, Regierungsakten Frankfurt, S. 15-104, Nrr. 1-11.
Arco, „Vortrag an den königlichen geheimen Rath den Entwurf einer Verordnung betreffend über die künftigen Appellazionsfatalien in Polizei und Kulturs-Sachen […]“, 9 S., datiert Dezember 1809 (mit Bleistift korrigiert zu: 17. Februar 1810), BayHStA Staatsrat 1721. – Auslöser des Vortrags war eine Anfrage des Generalkommissariats des Naabkreises vom 10. März 1809, ebd. S. 1, das mit Verweis auf § 46 der „Instruktion für die General-Kreis-Kommissäre“ vom 17. Juli 1808 („In den Gegenständen des kontentiosen Wirkungskreises Unserer General-Kommissariate, bei welchen ein Rekurs an Unsern geheimen Rath statt findet, muß derselbe in einem Zeitraume von 14 Tagen von der Eröffnung des Bescheids an gerechnet, ergriffen werden“; RegBl. 1808, Sp. 1670) Klarstellung forderte, ob diese Berufungsfrist auch für Rekurse von Erkenntnissen der Unterbehörden an die Generalkreiskommissariate galt. Arco, am 8. April 1809 beauftragt, präsentierte im Dezember einen Vortrag nebst Verordnungsentwurf. Der Problemkreis wurde, abweichend von der im vorliegenden Protokoll geforderten Vorgehensweise, in den Ratssitzungen der vereinigten Sektionen des Innen-, des Justiz- und des Finanzministeriums am 11. Februar sowie am 5. März 1810 diskutiert (Staatsrat 1721, 3 S. bzw. 9 S.). Zum Fortgang vgl. Nr. 59 (Geheimer Rat vom 19. Juli 1810), TOP 3.
Vgl. § 35 d der „Instruktion für die General-Kreis-Kommissäre“ vom 17. Juli 1808, RegBl. 1808, Sp. 1665; Zitat oben Nr. 51 (Geheimer Rat vom 30. November 1809), TOP 2.