BayHStA Staatsrat 274

4 Blätter. Unterschriften des Königs und des Ministers. Protokoll: Kobell.

Anwesend:

Staats- und Konferenzminister: Reigersberg.

Geheime Räte: Graf v. Preysing-Hohenaschau; v. Zentner; Graf v. Thurn und Taxis; Carl Maria Graf v. Arco; Freiherr v. Aretin; v. Effner; Freiherr v. Asbeck; v. Feuerbach; Graf v. Welsberg.

{1r} In der nach Beendigung der Plenar-Versammlung des königlichen geheimen Rathes unter Vorsiz Seiner Excellenz, des königlichen geheimen Staats- und Konferenz Ministers Herrn Grafen von Reigersberg heute statt gehabten Sizung, erstatteten die königliche Herrn geheimen Räthe Graf von Tassis und von Effner über folgende Rekurs-Gegenstände {1v} Vortrag.

Gewerbestreit (R)

Thurn und Taxis ist Berichterstatter im Streit zwischen dem Lederhändler Haberle und dem Rotgerber Metzger in Babenhausen. Er beantragt erstens, die Entscheide der unteren Instanzen zu bestätigen, zweitens, Haberle zur Erteilung einer Handelslizenz an das Ministerium des Inneren zu verweisen. Der Geheime Rat folgt dem Antrag nur im ersten Punkt.

1. Legten Herr geheimer Rath Graf von Tassis die Gewerbs-Streit-Sache des Lederhändlers Haberle1671 zu Babenhausen1672, und des Rothgerbers1673 Metzger et Cons. vor, und zeigten in schriftlichem Vortrage, aus welcher Ursache dieser Streit entstanden, und wie er von dem Landgerichte Babenhausen in erster, und von dem General-Kommißariate des Iller-Kreises in zweiter Instanz entschieden worden.

Dieselben lasen diese beide Erkenntniße nebst den Entscheidungs Gründen ab, und bemerkten, daß das vorliegende Factum auf folgenden zwei Fragen beruhe: 1) Werden die Rothgerber zu Babenhausen dadurch beeinträchtiget, wenn Haberle mit den ihme konzeßionirten Leder-Artikeln handelt, welche er in ausländischen Fabriken kauft? Dann 2) wenn ihme die Bewilligung, mit derlei ihme vorgezeichneten Artikeln zu handeln gegeben werden kann, ist solche auf dem Rechts- oder dem Gnaden-Wege zu ertheilen?

Nach Beantwortung dieser beiden Fragen machten Herr geheimer Rath Graf von Tassis den Antrag, {2r} die beiden Urtheile der untern Instanzen zu bestätigen, den Haberl [!] aber hinsichtlich erwähnter Bewilligung an das Ministerium des Innern zu verweisen.

Den mit diesem Antrage übereinstimmenden Rekripts-Aufsaz legten Herr geheimer Rath Graf von Tassis vor.

Auf die von Seiner Excellenz dem königlichen geheimen Staats- und Konferenz Minister Herrn Grafen von Reigersberg hierüber verfügte Umfrage vereinigten sich alle Herrn geheimen Räthe mit dem Antrage des Herrn Referenten, die Erkenntniße der beiden untern Instanzen zu bestätigen, von der Hinweisung des Haberl an das Ministerium des Innern hinsichtlich der angeführten Bewilligung aber nichts zu erwähnen.

Es wurde sohin von dem königlichen geheimen Rathe

beschloßen, die Erkenntniße der beiden untern Instanzen lediglich zu bestätigen1674.

Bierausschank (R)

Effner informiert über den ablehnenden Bescheid des Ministeriums des Innern, dem Freiherrn von Lerchenfeld-Aham eine Lizenz zum Bierausschank zu erteilen. Die bislang ausgesetzte Entscheidung des Geheimen Rates vom 23. April 1812 ist auszufertigen.

2. Herr geheimer Rath von Effner unterrichteten den königlichen geheimen Rath unter Beziehung auf den in der geheimen Raths {2v} Sizung vom 23ten April dieses Jahres1675 wegen dem Rekurse des Freiherrn von Lerchenfeld Aham in Spielberg in seiner Streitsache mit den nachbarlichen Wirthen wegen Bierschenks-Recht gefaßten Beschluß, daß vermög eines von dem Ministerium des Innern dem königlichen geheimen Rathe mitgetheilten Reskriptes das Gesuch des Freiherrn von Lerchenfeld Aham um Verleihung einer neuen Bierschenks-Konzeßion abgewiesen worden.

Herr geheimer Rath von Effner machten daher den Antrag, nunmehr die unterm 23ten Aprill [!] dieses Jahres gefaßte Entscheidung des königlichen geheimen Rathes, welche bis zu der nun erfolgten Entschließung des Ministeriums des Innern ausgesezt geblieben, ausfertigen zu laßen.

Einstimmig

wurde dieser Antrag von dem königlichen geheimen Rathe angenommen1676.

Kulturstreit (R)

Effner berichtet über den Rechtsstreit zwischen dem Freiherrn von Leoprechting und der Gemeinde Wolfersdorf wegen Weiderechten. Er beantragt, den Entscheid des Generalkommissariats, der ein Fristversäumnis Leoprechtings und damit die Niederschlagung des Verfahrens festgestellt hat, zu bestätigen. Allerdings kommt Effner auf anderem Wege als das Generalkommissariat, dessen Ansichten als falsch bezeichnet werden, zu diesem Ergebnis. Der Geheime Rat folgt dem Antrag; das Reskript ist um den Hinweis zu ergänzen, daß der Geheime Rat nicht aufgrund der fehlerhaften Ansichten des Generalkommissariats zu seiner Entscheidung veranlaßt worden ist.

3. Wegen dem Rekurse des Freiherrn von Leoprechting1677 in seiner Kultur-Streit Sache mit der Gemeinde Wolfersdorf1678 wegen Weidrecht erstatteten Herr geheimer Rath von Effner schriftlichen Vortrag, und {3r} führten darin die Geschichte dieses Streites, die Erkenntniße des Landgerichtes, des Appellazions Gerichtes des Regenkreises und des General-Kommißariats nebst den Entscheidungs Gründen an, und äußerten aus den in Ihrem Antrage angegebenen Gründen, daß über die Zuständigkeit dieses Gegenstandes zum Reßort des königlichen geheimen Rathes kein Zweifel obliege, und nur die Frage zu entscheiden seie, ob Freiherr von Leoprechting bei seiner Appellazion von dem landgerichtlichen Erkenntniße zum General-Kommißariat die Fatalien verabsäumt habe, und daher die Desertion gegen ihn statt finde.

Herr geheimer Rath von Effner entwikelten die Ansichten, aus welchen das General-Kommißariat diese Desertion herleite, bemerkten aber, daß das General-Kommißariat ganz unrecht gehandelt, da es auf den einzigen Grund der landgerichtlichen Verfügung die Appellazions Fatalien berechnet und die Desertion sogleich erkläret, daß Sie hingegen aus einem andern Grunde der Meinung seien, daß Freiherr von Leoprechting {3v} die Desertion bei dem General-Kommißariate verschuldet habe, und daher deßen Erkenntniß doch zu bestätigen seie.

Herr geheimer Rath von Effner führten diesen Grund in ihrem Vortrage aus, und legten den Antrag und den hiernach eingerichteten Reskripts-Aufsaz vor, nach welchem das Erkenntniß des General-Kommißariats in Hinsicht der Desertion nicht aber die Verweisung des Restituzions Gesuches an die erste Instanz (welchen lezten Beschluß das General-Kommißariat sehr unrichtig ausgesprochen habe) zu bestätigen wäre; von der Restituzion würden Sie ganz Umgang nehmen, wodurch sie von selbst als unstatthaft wegfalle.

Von Seiner Excellenz, dem königlichen geheimen Staats- und Konferenz Minister Herrn Grafen von Reigersberg wurde über diesen Antrag die Umfrage verfügt, und von allen Mitgliedern des geheimen Rathes mit Ausnahme des Herrn geheimen Rath Grafen Carl [Maria] von Arco der Antrag des Herrn {4r} Referenten mit dem Zusaze angenommen, daß nach dem Vorschlage des Herrn geheimen Rathes Freiherrn von Aretin in einem eigenen Reskripte dem General-Kommißariate die Entscheidungs-Gründe, aus welchen der königliche geheime Rath deßen Erkenntniß bestätiget, eröfnet werden sollten, um daßelbe zu belehren, daß der königliche geheime Rath nicht durch seine unrichtige Ansichten zu diesem Schluße veranlaßt worden.

Herr geheimer Rath Graf von Arco erklärten sich für die Restituzion des Freiherrn von Leoprechting, da es keinem Zweifel unterliege, daß der lezte Beschluß contra jus in thesi1679 erlaßen, und Gemeinde Weiden in polizeilicher Rüksicht und selbst nach den Kulturs Gesezen als gemein-schädlich erkannt seien, und Freiherr von Leoprechting durch die ihme erst spät mitgetheilte Abschrift des landgerichtlichen Erkenntnißes einen nicht unwichtigen Grund für sich habe, die ohnehin bei dem geheimen Rathe nicht sehr erschwerte Restituzion nachzusuchen.

Nach den Abstimmungen der Mehrheit

wurde von dem königlichen geheimen Rathe beschloßen, den Antrag des {4v} des [!] Herrn Referenten und den von ihme vorgelegten Reskripts Aufsaz zu genehmigen, zugleich aber in einem eigenen Reskripte dem General-Kommißariate die Entscheidungs-Gründe, aus welchen der geheime Rath deßen Erkenntniß bestätiget, zu eröfnen, um daßelbe zu belehren, daß der geheime Rath nicht durch seine unrichtige Ansichten zu diesem Schluße veranlaßt worden1680.

Der König bestätigt die Entscheidungen des Geheimen Rates (18. Juni 1812).

Anmerkungen

1671

RegBl. 1812, Sp. 1008: Häberle.

1672

Markt Babenhausen, Landkreis Unterallgäu, Schwaben.

1673

Rot- oder Lohgerber „stellten durch Gerbung der großen und schweren Häute mit Loh (Eichen- und Fichtenrinde) Leder für Sättel und Zaumzeug, Sohl- und Schuhleder her“. Reith, Gerber, S. 84, 85f. mit Details zum Produktionsprozeß.

1674

Hinweis auf ergangene Entscheidung in vorliegender Rekurssache: RegBl. 1812, Sp. 1008.

1675

Vgl. Protokoll Nr. 67 (Geheimer Rat vom 23. April 1812), TOP 3.

1676

Hinweis auf ergangene Entscheidung in vorliegender Rekurssache: RegBl. 1812, Sp. 1008.

1677

Vermutlich Franz Xaver Freiherr von Leoprechting (1766-1835), königlicher Kämmerer, quieszierter Regierungsrat in Straubing. Lang, Adelsbuch, S. 174; GGT F 1853, S. 262.

1678

Wolfersdorf, Gemeinde Zandt, Landkreis Cham, Oberpfalz.

1679

Der Rechtsspruch contra jus clarum in thesi bedeutet: gegen einen unbestreitbaren Rechtssatz verstoßend.

1680

Hinweis auf ergangene Entscheidung in vorliegender Rekurssache: RegBl. 1812, Sp. 1008.