BayHStA Staatsrat 383 4 Seiten.

Datum der Genehmigung durch den Kurfürsten: 12. August 1803.

Anwesend: Montgelas, Morawitzky; [MA:] Krenner sen., Zentner, Arco, [MF:] Krenner jun., Hartmann, Steiner, Schenk, Schwerin, [MJ:] Löwenthal, Stengel, Stichaner, [MGeistl:] Branca.

Widerstand gegen die Ausübung von Jurisdiktionsrechten im Fall des Grafen Berchem

Vortrag Stichaners über den Rechtsstreit, der den ohne kurfürstlichen Konsens ausgeführten Gütertausch zwischen Carl Graf v. Berchem und dem Spital Braunau zum Gegenstand hat. Zu prüfen ist u.a., ob die Justizstellen oder nicht vielmehr die Regierungsstellen kompetent sind, über die von Graf Berchem beanspruchte Edelmannsfreiheit zu entscheiden. Die aus der Edelmannsfreiheit fließenden Jurisdiktionsrechte sollen Graf Berchem keinesfalls zugestanden werden.

{1r} 1. Herr Geheimer Justiz Referendaire von Stichaner erstattete über das Tausch Geschäfft des Spitals zu Braunau mit dem Graffen von Berchem wegen des ersteren dießeits des Inns gelegenen Privatbesizungen schriftlichen Vortrag, worin er nach den vorhandenen Acten die Laage dieses Tauschgeschäfftes und die schon im Anfange deswegen entstandene Schwierigkeiten auseinander sezte und den Tausch Contract anführte, den der damahlige Vizedom in Burghaußen Carl Graff von Berchem mit dem Braunauer Spital würklich abschloß, dabey sich jedoch anheischig machte, den churfürstlichen landesfürstlichen Consens über den Tausch der Allodial Realitaeten, so wie auch {1v} den lehenherrlichen in Bezug auf die Lehens Stücke zu erwürcken.

Die Ertheilung des landesfürstlichen Consenses, welchen Graff Berchem würklich nachgesuchet, habe viele Anstände gefunden, weil man vorhergesehen, daß Graff von Berchem gleich nach dem erlangten Besize dieser Spitalgüther vermög seiner Edelmannsfreyheit auch die Jurisdiction in Anspruch nehmen würde, und seye sowohl deswegen, als auch wegen der dem churfürstlichen Aerario entgehenden Rente von jährlich 400 fl., dann einer in den älteren Landtagsverhandlungen von 1579 und 1583736 wegen Erkaufung der einschichtigen Güther enthaltenen Verwahrung von der höchsten Stelle verweigeret worden. Eben diese Entschließung habe man auch nachher der Landschaffts Verordnung, welche diese Sache als eine allgemeine Beschwehrde der Stände dargestellet, ertheilet, und doch seye es dem Graffen von Berchem gelungen, in dem darauf folgenden Jahre ein churfürstliches Rescript an die Hofcammer zu bewürken, daß, wenn sein Vorschreiben gegründet seye, mit Extradition der Jurisdiction verfahren werden solle; hierauf seye dieser Gegenstand zum drittenmahl in Überlegung gezogen, und nach wiederhohlt umständiger Vorlaage der ganzen Sache die höchste Entschließung dahin gefaßet worden, daß Seine Churfürstliche Gnaden aus verschiedenen angeführten politischen Ursachen den Consens zu besagtem Güthertausche niemermehr geben könten.

Graff Berchem habe sich aber ungeachtet der Consens Verweigerung in den Besiz der Spitalgüther gesezet, wovon die General Landes Direction erst im Jahre 1799 bey Gelegenheit einer über dabey befindlichen Erbrechtgüther entstandenen Differenz unterrichtet und dadurch veranlaßet worden, dem Graffen von Berchem die Ruckgaabe aller Güther an das Spital aufzutragen, {2r} und da er dieses weigerte, ihn den 17. May 1802 gänzlich aus dem Besize zu sezen und die Unterthanen mit ihren Gaben an das Braunauer Spital anweißen zu laßen;

dagegen habe Graff von Berchem seine Klage bey dem hiesigen Hofgerichte gestellet und ein mandatum cum clausula und Instand mit Sperrung der Renten erhalten.

Herr Geheimer Justiz Referendaire von Stichaner führte an, was von der General Landes Direction an das Hofgericht erlaßen, um daßelbe in die vollständige Kenntnüß der Sache zu sezen und welchen Gang diese Strittigkeit bey dem Hofgerichte und dem Revisorio, wohin die Landes Direction appeliret, genohmen, und wie die Sache durch einen umständigen Bericht der Landes Direction zur höchsten Stelle und an das Ministerial Justiz Département gebracht worden.

Herr von Stichaner zergliederte die Gründe, so die Gen. Landes Direction ausgeführet, zeigte in wie weit er sich nach seiner Ansicht des Gegenstandes hiemit vereinigen könne, und in wie weit dieselbe hinreichend seyn dörfften, die vorliegende Streitsache den Justiz Stellen zu entziehen.

Überhaupt scheine ihme die Frage: ob die Ausantwortung der Jurisdiction eine nothwendige Folge des Güther Tausches seyn müße, viel wichtiger, und es würde sich mit Grund auch die Frage aufwerfen, ob den Justiz Stellen eine Judicatur über den Sinn und die Ausdehnung der Edelmannsfreyheit zukommen könne, und ob nicht vielmehr die allgemeine Determination darüber eine ausschlüßige Regiminalsache seye; eine Bestimmung für das vergangene und zukünftige werde vielleicht gegenwärtig um so dringender seyn, als bey den dermahlig vielen Veränderungen und Güther Verkäüfen die Fälle, wie {2v} der gegenwärtige noch viel öfter sich ereichnen werden.

Im ganzen untergebe er Referent der Entscheidung des Staats Rathes folgende Anträge: a. Daß man sich vergebens auf Staats Verhältnüße mit Osterreich berufen würde, um dem gerichtlichen Weege auszuweichen, b. daß man deswegen den Prozeß im ordentlichen Weege fortsezen und die exceptio ratione spolii übergeben, und c. daß man endlich auch im schlimsten Falle, wenn der Güthertausch gerichtlich ratificiret würde, die Ausantwortung der Jurisdiction nicht zugeben solle.

Der Staats Rath genehmigte nach gehaltener Umfrage diese Anträge des Referenten, nur solle wegen der Jurisdictions Verweigerung noch zuvor der Ausgang des Processes abgewartet und dann dieser Gegenstand reproponiret werden.

Vorlage der »Entschließung« beim Kurfürsten und Genehmigung.

Anmerkungen

736
Näheres zum Problemkreis Hofmarksgerechtigkeit, Edelmannsfreiheit und einschichtige Güter in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bei Rankl, Landvolk Tl. 1, S. 249 – 259, S. 529 – 535; Überblick zu den Landtagsverhandlungen von 1579 und 1583 bei v. Freyberg, Geschichte, Bd. 2, S. 400 – 412.