BayHStA Staatsrat 241
4 Blätter. Unterschriften des Königs und des Ministers. Protokoll: Kobell.
Anwesend:
Staats- und Konferenzminister: Reigersberg.
Geheime Räte: Graf v. Toerring-Gutenzell; Weichs; v. Zentner; Johann Nepomuk v. Krenner; Graf v. Thurn und Taxis; Franz v. Krenner; Carl Maria Graf v. Arco; Freiherr v. Aretin; v. Effner; v. Schenk; Freiherr v. Asbeck; v. Feuerbach; Graf v. Welsberg.
Gemeinderecht (R)
Die Gemeinde Ochsenhart und Simon Dinkelmaier streiten um Anteile an den nutzbaren Gemeinderechten (Gemeindewald und -grund). Weichs beantragt, die Sache an die Justizstellen zu verweisen. In der Umfrage fordern mehrere Geheime Räte eine tiefergehende Untersuchung der Angelegenheit auf der Grundlage erweiterter Aktenkenntnisse. Sie beschließen einen entsprechenden Antrag an den König.
{1r} 1. Bei der Abwesenheit Seiner Majestät des Königs und Seiner Excellenz, des königlichen geheimen Staats- und Konferenz Ministers {1v} Herrn Grafen von Montgelas in der auf heute angeordneten geheimen Raths Versammlung, wurde unter Vorsiz Seiner Excellenz, des königlichen geheimen Staats- und Konferenz Ministers Herrn Grafen von Reigersberg von dem königlichen geheimen Rathe Freiherrn von Weichs in der Streit-Sache der Gemeinde Ochsenhard896 Landgerichts Eichstädt, Appellanten gegen Simon Dinkelmaier, Appellaten dermalen das General-Kommißariat des Oberdonau-Kreises, als vormaliges General Kommißariat des Altmühl-Kreises897 in Betreff eines Antheiles an den Gemeinde-Rechten schriftlicher Vortrag erstattet, und hierin von dem Referenten nach Ausführung der geschichtlichen Verhältniße dieser Streit-Sache und der deßwegen erfolgten Entscheidungen der verschiedenen königlichen Stellen aus den vorgelegten Gründen und Rüksichten der Antrag gemacht, die Entscheidung dieses Gegenstandes an die Justiz-Stellen zu verweisen. Freiherr von Weichs legten den Reskripts Entwurf vor, den Sie nach diesem Antrage an das General-Kommißariat des Oberdonau-Kreises verfaßt.
{2r} Seine Excellenz, der königliche geheime Staats- und Konferenz Minister Herr Graf von Reigersberg verfügten über diesen Antrag die Umfrage.
Der königliche geheime Rath Graf von Törring äußerten, in dem Vortrage seie einer vor 80 Jahren in dieser Streit-Sache erlaßenen richterlichen Entscheidung erwähnt worden, wovon die Appellanten eine Abschrift begehret, und worauf nach Ihren Ansichten viel ankomme, denn seie diese Entscheidung in rem judicatam898 erwachsen, so ändere sich die Stellung des ganzen Streites. Sie stimmten daher dafür, daß dieser Umstand noch näher instruiret, und die ältere Akten abgefordert werden mögten, wo sodann mit voller Sachkenntniß die Haupt-Sache entschieden werden könnte.
Auf Abforderung der älteren Akten, die unter dem Pfleger von Geispizheim verhandelt worden, so wie jener des einschlägigen Appellazions Gerichts stimmten die königlichen geheimen Räthe von Zentner {2v} Graf von Tassis, Graf Carl [Maria] von Arco, Freiherr von Aretin, von Effner, von Schenk, Freiherr von Asbek, von Feuerbach und Graf von Welsperg, um mit voller Sachkenntniß in dieser Sache entscheiden zu können.
Geheimer Rath von Krenner der ältere [d.i. Johann Nepomuk] waren der Meinung, daß der Landrichter wegen seinem Benehmen in dieser Sache eine strenge Ahndung verdiene, und daß Ihren Ansichten nach dieser Gegenstand in folgende Abtheilungen zerfalle. 1) in den Anspruch, den Simon Dinkelmaier auf die Vertheilung der Gemeinde Gründe, und auf jenen den er 2) auf die Vertheilung der Gemeinde-Waldungen mache.
Rüksichtlich des ersten Gegenstandes hätten Sie kein Bedenken, die Sentenz des Landgerichts zu bestätigen, weil der Anspruch auf den Mitgenuß hinlänglich begründet. In Beziehung auf den zweiten aber seien alle {3r} Verhandlungen der Kulturs Behörden von dem Augenblike an Null, wo das Landgericht die Gemeinde zu Führung ihres Beweises, daß Simon Dinkelmajer keinen Anspruch hierauf habe, nicht zugelaßen, und ihr die begehrten Behelfe verweigert. Sie würden dahero mit Kaßazion alles deßen, was von diesem Zeitpuncte geschehen, die Gemeinde restituiren, dieselbe zu Antretung ihres Beweises zulaßen, und dem Landgerichte auftragen, derselben die nöthigen Behelfe zu extradiren.
Auch geheimer Rath von Krenner der jüngere [d.i. Franz] äußerten die Meinung, daß Sie dem [!] Simon Dinkelmajer dermal, wo alle Verhältniße des ehemaligen Fürstenthums Eichstädt mit der Krone Preußen aufgehört899, für ein Gemeinds-Glied hielten, welche Eigenschaft ihme durch politische Ereigniße zwar für einige Zeit entzogen, nie aber und selbst nicht durch einen Machtspruch900 gänzlich hätte können verändert werden. Sie beurtheilten dahero ebenfalls alle nachherige {3v} Verhandlungen für null und nichtig, und würden die Sentenz der zweiten Instanz bestätigen.
In Folge dieser Abstimmungen wurde nach der Mehrheit von dem königlichen geheimen Rathe
beschloßen, an Seine Majestät den König den allerunterthänigsten Antrag zu machen, durch das Ministerium des Innern die Einleitung allergnädigst treffen zu laßen, daß sowohl die ältere Akten, welche unter dem Pfleger von Geispizheim verhandelt worden, als auch jene des einschlägigen Appellazions-Gerichtes abgefordert, und die Vervollständigung der Akten verfüget, sohin dem königlichen geheimen Rathe vorgelegt werden mögten, um in der Haupt-Sache nach voller Sachkenntniß entscheiden zu können901.
Verteilung von Gemeindegrund (R)
Thurn und Taxis trägt in der Streitsache zwischen den Großgütlern und den Kleingütlern in Unterwattenbach vor. Es geht um die Verteilung von Gemeindegrund. Der Referent fordert, die vorinstanzlichen Entscheidungen zu bestätigen. In der Umfrage erinnert Arco an die Dringlichkeit, die Landeskulturgesetze zu überarbeiten. Der Geheime Rat folgt dem Antrag des Referenten.
2. Auf Aufforderung Seiner Excellenz des königlichen geheimen Staats- und Konferenz Ministers Herrn Grafen von Reigersberg erstattete der königliche geheime Rath Graf von Tassis in Sachen der Großgütler zu {4r} Niederwadenbach902 contra die Kleingütler allda wegen Gemeinde Gründe Vertheilung schriftlichen Vortrag, in welchem Dieselben die aktenmäsige Veranlaßung dieser Streit-Sache anführten, die Entscheidungen der beiden untern Instanzen vorlegten, und aus den in dem Vortrage entwikelten Gründen den Antrag machten, daß es bei dem erst- und zweit-richterlichen Urtheile sein unabänderliches Verbleiben haben solle, da nach den Akten die Gemeinds Glieder zu Oberwadenbach903 sich in Güte verglichen, und nur noch die zu Niederwadenbach einen Aufschub der Kultivirung ohne einen hinlänglichen und rechtlichen Grund hiefür zu haben, nachsuchen. Den mit diesem Antrage übereinstimmenden Reskripts Entwurf an das General-Kommißariat des Isar-Kreises, legten geheimer Rath Graf von Tassis vor.
In Folge der von Seiner Excellenz dem königlichen geheimen Staats und Konferenz Minister Herrn Grafen von Reigersberg über diesen Antrag verfügten Umfrage, erklärten sich alle Mitglieder mit dem Antrage {4v} des Referenten verstanden, und der königliche geheime Rath Graf Carl [Maria] von Arco schilderten bei diesem Veranlaße die dringende Nothwendigkeit, die Polizei Section zu Beförderung ihrer Arbeiten wegen der Revision der Kulturs Geseze anzuhalten.
Der Antrag des Referenten und der vorgelegte Reskripts Entwurf an das General Kommißariat des Isar Kreises wurde von dem königlichen geheimen Rathe genehmiget904.
Bestätigung der Entscheidungen des Geheimen Rates durch den König (12. Oktober 1811).
Anmerkungen
Mit VO betr. die „Territorial-Eintheilung des Königreichs“ vom 23. September 1810 (RegBl. 1810, Sp. 809-816) wurde der Altmühlkreis aufgelöst; seine Bestandteile gingen im Regenkreis und im Oberdonaukreis auf (ebd., Sp. 811f.).
Res judicata: eine rechtskräftig entschiedene Sache, Neues allgemeines Handwörterbuch Bd. 2, S. 427 s.v. res; Hofstätter, Juristisches Wörterbuch, S. 370 s.v. r.j.
Teile des Fürstentums Eichstätt, nämlich das aus fünf Ober- bzw. Pflegämtern bestehende, „in markgräflich-ansbachisches Gebiet eingestreut[e]“ (Hintermayr, Fürstentum, S. 15) „Obere Stift“, kamen durch die mit dem Frieden von Lunéville (Kerautret, Documents, Bd. 1, Nr. 20, S. 163-171) legalisierte territoriale Neuordnung zunächst an Bayern, dann an Preußen. Da im Friedensvertrag vom 9. Februar 1801 zwischen Frankreich, Österreich und dem Reich die Entschädigung der linksrheinisch depossedierten Fürsten mit rechtsrheinischem Reichsgebiet vereinbart worden war (Artt. 6-7), konnte Bayern am 29. November 1802 förmlich von Eichstätt Besitz ergreifen (vgl. das Besitzergreifungspatent vom 26. November 1802, RegBl. 1802, Sp. 885-887). Als durch den Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803 Erzherzog-Großherzog Ferdinand III. von Toskana, der Bruder des Kaisers, für seine Verluste in Italien u.a. das untere und mittlere Hochstift Eichstätt erhielt, blieb das „Obere Stift“ bei Bayern, bis es durch den Grenzvertrag vom 30. Juni 1803 (rückdatiert auf den 22. November 1802) von Kurpfalzbayern im Tausch an die Krone Preußen abgetreten wurde. Das „Obere Stift“ gehörte fortan dem preußischen Fürstentum Ansbach an. Im Pariser Vertrag vom 15. Februar 1806 trat Preußen das Fürstentum Ansbach an Frankreich ab, das mit Bezug auf den Zusatzvertrag von Schönbrunn vom 16. Dezember 1805 das Fürstentum an Bayern übergab. Die Übergabe erfolgte am 24. Mai 1806. Zudem kamen durch den Frieden von Preßburg vom 26. Dezember 1805 zwischen Frankreich und Österreich die restlichen Teile Eichstätts an Bayern (vgl. Patent betr. die „Besitznahme der Markgrafschaft Ansbach“ vom 20. Mai 1806, RegBl. 1806, Sp. 189f.). Vgl. zum Ganzen: Hofmann, Franken, Nrr. 9, 10, 15, 16, S. 45-54 (Vertragsregesten); Lengenfelder, Diözese, S. 259-268, 278f., 369; Schuh, Übergang; Hintermayr, Übergang, S. 15-23.
Ein Machtspruch ist eine landesherrliche Entscheidung einer Angelegenheit außerhalb eines rechtsförmlichen Verfahrens. Im späten 18. Jahrhundert bezeichnete man als Machtspruch insbesondere einen landesherrlichen Eingriff in die Justiz, der insoweit „anerkannte Rechtsregeln außer Kraft setzte“ (Machtspruch in Rechtssachen). Vgl. DRW Bd. 8, Sp. 1559f.; Erwin, Art. Machtspruch, in: HRG2 Bd. 3, Sp. 1119-1121, Zitat Sp. 1119; ausführlich Erwin, Machtsprüche („Arbeitsdefinition“, S. 23: „Ein Machtspruch ist die Einzelfallentscheidung einer Person oder Institution, die einen absoluten Machttitel in Anspruch nehmen kann, die aufgrund dieses höchsten Machttitels erlassen wird und im jeweiligen Kontext anerkannte Rechtsregeln außer Kraft setzt“).
Hinweis auf ergangene Entscheidung in vorliegender Rekurssache: RegBl. 1811, Sp. 1597.