BayHStA Staatsrat 258
5 Blätter. Unterschriften des Königs, des Kronprinzen und des Ministers. Protokoll: Kobell.
Anwesend:
König Max Joseph; Kronprinz Ludwig.
Staats- und Konferenzminister: Montgelas.
Geheime Räte: Graf v. Preysing-Hohenaschau; Ignaz Graf v. Arco; Freiherr v. Weichs; v. Zentner; Graf v. Thurn und Taxis; Franz v. Krenner; Carl Maria Graf v. Arco; Freiherr v. Aretin; v. Effner; v. Schenk; Freiherr v. Asbeck; v. Feuerbach; Graf v. Welsberg.
Beiträge zu den Gemeindeumlagen
Asbeck trägt den überarbeiteten Entwurf der Gemeindeumlagenverordnung vor, der vom König bestätigt wird.
{1v} 1. Seine Majestät der König, Allerhöchstwelche der auf heute angeordneten geheimen Raths-Versammlung beizuwohnen geruheten, ertheilten dem geheimen Rathe Freiherrn von Asbek den Auftrag, die Verordnung wegen den besondern Umlagen für die Gemeinde-Bedürfniße abzulesen, die nach den vom geheimen Rathe in den Sizungen vom 23ten und 30ten v. M. gefaßten Beschlüßen, welche die königliche allerhöchste Genehmigung inzwischen erhalten1250, vom Freiherrn von Asbek geändert und neu entworfen worden war.
Geheimer Rath Freiherr von Asbek leistete diesem allerhöchsten Auftrage die schuldigste Folge
und der abgelesene Entwurf dieser Verordnung erhielt die königliche allerhöchste Bestätigung1251.
Hausierhandel der Juden
Arcos Vortrag behandelt die Frage, ob der Hausierhandel der Juden weiterhin verboten sein soll oder unter gewissen Bedingungen zuzulassen ist. Er beantragt, die bestehenden Verbote aufrecht zu erhalten. In der Umfrage äußert sich insbesondere Montgelas ablehnend zum Hausierhandel. Der König beschließt, die bestehenden Verordnungen zu bestätigen. Eine Verschärfung des Verbots ist nicht erforderlich, da ohnehin eine Grundsatzverordnung über die Rechtsverhältnisse der jüdischen Bevölkerung in Arbeit ist.
2. Seine Majestät der König forderten hierauf den geheimen Rath Grafen Carl [Maria] von Arco auf, den bearbeiteten Vortrag über den in Vorschlag gebrachten Haußierhandel der Juden in dem dermaligen Main- Rezat- und Oberdonau-Kreise mit Einschluß des Stadt-Kommißariates Nürnberg zu erstatten.
Geheimer Rath Graf Carl [Maria] von Arco diesem allerhöchsten Befehl gehorsamst entsprechend, lasen den anliegenden lytographirten Vortrag über diesen Gegenstand ab1252 *Beylage I* [Marginalie] worin Dieselbe den Inhalt {2r} der verschiedenen Berichten der General-Kommißariaten des Rezat- und Iller-Kreises anführten, welche zu Untersuchung dieser Frage bei der Ministerial Polizei Section den Veranlaß gegeben. Sie legten weiter vor, nach welchen Ansichten die Polizei-Section diesen Gegenstand beurtheilet1253, und wie derselbe von dem Herrn Minister des Innern Grafen von Montgelas an den geheimen Rath verwiesen, und Ihnen als Referent zugetheilt worden.
Nach Angabe der Ursachen, welche Sie bis jezt gehindert, diesen Gegenstand zu bearbeiten, giengen Sie in die Gründe ein, welche von den verschiedenen General-Kommißariaten in ihren erstatteten Berichten für die beschränkte Wiedergestattung des Haußierhandels der Juden angegeben, und welche Beschwerden von verschiedenen Handelsleuten und Gemeinden dieser Kreise gegen den Haußierhandel angebracht worden. Um diese sich widerstreitende Gründe noch mehr auseinander zu sezen, lasen Graf Carl [Maria] von Arco die 4 Beilagen, die dem Vortrage beigefüget, ab, und führten sodann Ihre eigene Meinung über die vorliegende Frage an.
Um dieselbe gehörig vorzubereiten, beantworteten Sie zuerst folgende zwei Fragen {2v} I: Soll der durch so viele Verordnungen abgeschafte Haußier Handel der Juden1254 nach den Anträgen der ehemaligen General Kommißariaten der Altmühl- Pegniz- Rezat- und Main-Kreise, dann des General-Kommißariates des Illerkreises unter gewißen Einschränkungen und Förmlichkeiten wiederum gestattet, oder es bei den bestehenden Gesezen über diesen Gegenstand belaßen werden? und II. welchen von den vorliegenden beiden Entwürfen, jenem der Polizei Section oder jenem des General-Kommißariates des Illerkreises wäre ersteren Falls der Vorzug zu geben?
Nach Erörterung und umständlicher Entwikelung dieser beiden Fragen, nach Ablesung des von dem General-Kommißariate des Iller Kreises über den Haußierhandel der Juden eingesendeten Gesezes Entwurfes, und nach der Bemerkung, daß der Zeitpunkt nicht mehr ferne, wo die Anwendung der wahren und geeigneten Hülfsmittel für dieselbe in dem königlichen geheimen Rathe zur Sprache kommen dürften, da der Vortrag über die künftige bürgerliche Verhältniße derselben in der Polizei-Section bereits erstattet und lytographiret worden, und es nur mehr von der Entscheidung des Herrn Ministers des Innern [Montgelas] abhänge, ob derselbe vorläufig in dem Ministerial Departement des Innern diskutiret, oder sogleich {3r} bei den hiezu zu vereinigenden Sectionen des königlichen geheimen Rathes von den hiezu noch zu benennenden Referenten in Vortrag gebracht werden sollte. Bei dieser, die sämmtlichen Verhältniße der Juden umfaßenden Discussion werde der dermals vorliegende Punkt ihres Haußierens ohnehin wieder im Zusammenhange mit dem Ganzen sich von selbst reproduziren.
Sie machten für dermal und bis dahin Ihren unzielsezlichsten Antrag: daß keine der vorliegenden Modifikazionen des Haußier-Verbotes angenommen, vielmehr den ohnehin in Beobachtung deßelben viel zu säumigen höheren und niederen Obrigkeiten die beßere Einhaltung gegen Inn- und Ausländer nachdrüklichst durch eine Rükweisung auf die bereits bestehenden Verbote durch das Regierungsblatt eingeschärft werde.
Seine Majestät der König geruheten, über diesen Antrag des geheimen Raths Referenten abstimmen zu laßen.
Der königliche geheime Staats- und Konferenz Minister Herr Graf von Montgelas äußerten, daß die königliche allerhöchste Verordnung, wodurch der Haußierhandel der Juden abgeschafft worden, auf solche wichtige Gründe sich stüze, daß es nicht räthlich sein dürfte, ohne außerordentliche Ursachen denselben wieder zu erlauben, denn der Unsicherheit im Lande werde {3v} durch diesen Haußierhandel armer öfters betrügerischen Juden ein gefährlicher Spielraum geöfnet, ohne noch zu berüksichtigen, welchen Übervortheilungen die meistens unkundige Unterthanen dadurch Preis gegeben würden.
Alle dafür angebrachte Gründe ließen sich durch diese zwei Hauptrüksichten widerlegen, und nur aus einem einzigen Gesichtspunkte ließe sich vielleicht der Haußierhandel rechtfertigen, nämlich jenem, daß die inländische Industrie durch den Absaz inländischer Fabrikate belebt und erhoben werden könnte; allein die Erfahrung beweise das Gegentheil, und so zeige sich, daß durch diesen Haußierhandel der Juden für die inländische Industrie gar nichts geschehe, im Gegentheile das baare Geld im Inlande sich vermindere, da diese haußierende Juden meistens ihre Einkäufe im Auslande machten, und schlecht und wohlfeil einkauften, um die dießeitige Unterthanen mit mehr Gewinn übervortheilen zu können. Diese überwiegende Rüksichten hätten Sie als Minister des Innern veranlaßt, Seiner Majestät dem Könige einzurathen, diesen Gegenstand an den geheimen Rath zu geben und ihn da nach seinen verschiedenen Ansichten berathen zu laßen.
Keiner der angegebenen Gründe könne Sie überzeugen, daß mit der Erlaubniß dieses Haußierhandels irgend ein Vortheil weder für den Staat noch den Unterthanen verbunden, denn die Erhaltung einer Populazion von solchen haußirenden Juden bringe dem {4r} Staate sicher keinen Nuzen, und es seie ein nicht schwer zu lösendes Problem, ob die Auswanderung dieser unbemittelten Juden-Familien nicht für den Staat ein Glück seie, die meistens nur durch den Reiz einiger Gutsherrn ihre Revenüen zu vermehren in das Reich gezogen worden. Sie beurtheilten den Haußier-Handel der Juden als schädlich, und die Art dieses Verkaufes von Juden um so schädlicher, als der Jude von seinem natürlichen Instinkt zum Handeln aufgereizt, sich überall eindringe und kein Mittel, keinen Weg unbenuzt laße, um sich mit seinen Waaren beliebt zu machen, und den Unterthanen zu Annahme derselben zu beschwazen. Da nach diesen Ihren Ansichten Sie keine Gründe finden könnten, um den Haußierhandel der Juden zu begünstigen, und auch jede Einschränkung fruchtlos bleiben würde, indeme sie nie mit Strenge gehandhabt werden würde, so erklärten Sie sich mit den Anträgen des Referenten vollkommen verstanden, und glaubten, Seiner Majestät dem Könige den allerunterthänigsten Antrag machen zu können, den Gegenstand wegen den künftigen bürgerlichen Verhältnißen der Juden im Königreiche sogleich mit Umgehung der Departemental Sizung des Ministeriums des Innern den vereinigten geheimen Raths Sectionen zur Berathung zu übergeben, da ohnehin zwei {4v} Mitglieder der Departemental Sizung den geheimen Raths Sectionen beiwohnten, und die Sache dadurch befördert würde.
Geheimer Rath Graf von Preising äußerten sich mit den Anträgen des geheimen Raths-Referenten verstanden.
Geheimer Rath Graf von Arco der ältere [d.i. Ignaz] entwikelten in dem anliegenden Voto eine abweichende Meinung1255. *Beylage II* [Marginalie]
Die geheimen Räthe Graf von Törring, Freiherr von Weichs, von Zentner, Graf von Tassis, von Krenner, Freiherr von Aretin, von Effner, von Schenk Freiherr von Asbek und von Feuerbach stimmten dem Antrage des Referenten in so weit bei, daß keine allgemeine, das Verbot schärfende Ausschreibung dermal, wo die Hauptfrage über die bürgerliche Verhältniße der Juden der Berathung des geheimen Rathes übergeben, erlaßen, sondern den General Kommißariaten und dem Stadt-Kommißariate zu Nürnberg, welche wegen dem Haußierhandel der Juden berichtet, bedeutet werden sollte, es habe bei den dießfalls bestehenden Verordnungen sein Verbleiben. Über die Frage: ob der Haußier Handel der Juden im allgemeinen vortheilhaft, seie dermal nicht zu entscheiden, diese werde bei dem Hauptgegenstande in Berathung gezogen werden.
Die geheimen Räthe Graf von Tassis und Freiherr von Asbek entwikelten Ihre Ansichten in den beiliegenden Abstimmungen1256. *Beilagen III und IV* [Marginalie]
{5r} Geheimer Rath Graf von Welsperg theilten zwar die vom Grafen von Arco dem älteren wegen dem Haußier Handel im allgemeinen aufgestellte Ansichten, stimmten jedoch für dermal dem Antrage des geheimen Raths-Referenten bei.
Nach Würdigung dieser Abstimmung geruheten
Seine Majestät der König zu beschließen, daß denjenigen General-Kreis-Kommißariaten und dem Stadt-Kommißariate in Nürnberg, welche für die zwar beschränkte Wiedergestattung des Haußierhandels der Juden berichtet, bedeutet werden solle, es habe bei den dießfalls bestehenden Verordnungen sein Verbleiben. Übrigens solle dermal, wo die Hauptfrage wegen den bürgerlichen Verhältnißen der Juden im Königreiche der Berathung des geheimen Rathes untergeben wird, keine allgemeine, das Verboth des Haußierens schärfende Verordnung erlaßen, sondern der deßwegen von der Ministerial-Polizei-Section bearbeitete Hauptvortrag, ohne in der Departemental-Sizung des Ministeriums des Innern zuvor geprüfet worden zu sein, sogleich an den geheimen Rath abgegeben, und da zuerst in den vereinigten geheimen Raths-Sectionen und dann in der Plenar-Versammlung berathen werden1257.
Der König genehmigt die Beschlüsse (10. Februar 1812).
Anmerkungen
Publiziert als VO betr. die „besondern Umlagen für die Gemeinde-Bedürfnisse“ vom 6. Februar 1812, RegBl. 1812, Sp. 321-340 = DVR Nr. 311/1, S. 904-917. Dazu die Bewertung von Weiss, Integration, S. 133 (die „Umlagenverordnung von 1812 war von vornherein zum Scheitern verurteilt“); gleiche Tendenz bei Scherr, Gemeindeverfassung, S. 148.
Die Polizeisektion des Innenministeriums vertrat in einer Stellungnahme vom Spätherbst 1811 über die künftigen Rechtsverhältnisse der Juden in Bayern die Auffassung, „der gegenwärtig bestehende Judenhandel [solle] allmählig, jedoch sobald immer möglich ganz abgestellt werden“. Gleichzeitig galt: „Der jüdische Noth oder Schächerhandel wir[d] ferner nur als eine zur nothdürftigen Erhaltung der gegenwärtig davon lebenden Judenfamilien unentbehrliche Erwerbs Art, und nur so fern in dieser Rüksicht unentbehrlich ist, noch geduldet.“ Schimke, Regierungsakten, Nr. 112, S. 563-569, hier S. 566 (Art. 15), 567 (Art. 21). Druck der Stellungnahme der Polizeisektion auch bei Schwarz, Juden, S. 330-337.
Grundsätzlich war der Hausierhandel im Königreich Bayern „ohne Ausnahm verboten.“ „Instruktion der Polizei-Direktionen in den Städten“ vom 24. September 1808, § 79, RegBl. 1808, Sp. 2525. Zu entsprechenden älteren Regelungen vgl. Rode, Handel, S. 35; zu den besonderen Restriktionen gegenüber jüdischen Händlern ebd., S. 36f.
Das „Edikt über die Verhältnisse der jüdischen Glaubensgenossen im Königreiche Baiern“ vom 10. Juni 1813, § 20, RegBl. 1813, Sp. 927, sollte vorschreiben: „Aller Hausier- Noth- und Schächerhandel soll in Zukunft gänzlich verboten, und eine Ansässigmachung hierauf durchaus untersagt bleiben.“