BayHStA Staatsrat 264
12 Blätter. Unterschriften des Königs und der Minister. Protokoll: Kobell.
Anwesend:
König Max Joseph.
Staats- und Konferenzminister: Montgelas; Reigersberg.
Geheime Räte: Graf v. Preysing-Hohenaschau; Ignaz Graf v. Arco; Graf v. Toerring-Gutenzell; Freiherr v. Weichs; v. Zentner; Graf v. Thurn und Taxis; Franz v. Krenner; Carl Maria Graf v. Arco; Freiherr v. Aretin; v. Effner; v. Schenk; Freiherr v. Asbeck; v. Feuerbach; Graf v. Welsberg.
Fall Jehlin
Welsberg berichtet, daß die erforderlichen Voruntersuchungen im Fall des der Veruntreuung von Geldern beschuldigten Landrichters Jehlin abgeschlossen sind. Er beantragt, Jehlin vor Gericht zu stellen und die Spezialuntersuchung einzuleiten. Welsberg fügt hinzu, daß er mildernde Umstände geltend machen würde; daher sollte das Urteil vor der Verkündung dem König vorgelegt werden, damit dieser unter Umständen sein Begnadigungsrecht geltend machen könnte. In der Umfrage betonen Reigersberg und die Geheimen Räte, daß das weitere Verfahren in die Kompetenz des – von Weisungen unabhängigen – Gerichts fällt. Der König ordnet an, Jehlin vor Gericht zu stellen.
{1r} [1.] Seine Majestät der König, Allerhöchstwelche der auf heute angeordneten geheimen Raths-Versammlung beizuwohnen geruheten, ertheilten dem geheimen Rath Grafen von Welsperg den Auftrag, {1v} den wegen der Geldveruntreuung und Vorgerichtstellung des nach Brixen ernannt gewesenen Landrichters [Joseph] Jehlin bearbeiteten Vortrag zu erstatten.
Diesem allerhöchsten Befehle die schuldigste Folge leistend, trugen geheimer Rath Graf von Welsperg in dem anliegenden lytographirten Vortrage1427 *Beilage I* [Marginalie] mit Beziehung auf Ihren unterm 29 November [!] vorigen Jahres wegen diesem Gegenstande in dem geheimen Rathe bereits abgelegten Vortrag1428, die Verhältniße dieser Geld-Veruntreuung vor, und lasen den gutachtlichen Bericht ab, den das Appellazions-Gericht des Innkreises nach dem ihme zugekommenen Auftrage über die Frage eingesendet: ob Jehlin in Spezial-Inquisizion zu nehmen seie oder nicht?
Geheimer Rath Graf von Welsperg giengen nun zu Ihrem Gutachten über, und machten den geheimen Rath aufmerksam, daß die Erforderniße des allerhöchsten Beschlußes nun beisammen seien; der geschloßene Akt der administrativen Behörden liege vor, der die Untersuchung des Dienstvergehens und den eigentlichen Kaße-Defekt des Jehlin enthalte, und eben so seie das Gutachten {2r} des Appellazions-Gerichtes über diesen Akt eingekommen.
Geheimer Rath Graf von Welsperg äußerten sich über den Anstand, daß hier kein eigentlich gerichtliches Urtheil vorhanden, wie es nach dem lytographirten Auszuge des geheimen Raths-Beschlußes über die Ockelsche Untersuchung nothwendig zu sein scheine1429, und legten den Thatbestand, welchen Sie bereits in Ihrem früheren Vortrage ausgeführet, wiederholt vor, machten sohin auf denselben sich stüzend den Antrag: „daß der Landrichter Jehlin wegen des ihme zu Last liegenden peinlichen Verbrechens de residuis1430 vor Gericht gestellt und die Spezial-Untersuchung gegen ihn vorgenommen werden solle“.
Diesem Antrage fügten geheimer Rath Graf von Welsperg bei, wie es dem königlichen geheimen Rathe klar sein werde, daß Sie sich bei diesem Antrage nur nach den Gesezen und dem strengen Rechte benommen hätten, Sie glaubten aber keineswegs gegen Ihre Pflichten weder als Mensch noch als Staatsdiener zu handeln, wenn Sie es wagten, Seine Majestät den König auf die mildernde {2v} Umständ und auf die Verdienste aufmerksam zu machen, die zu Gunsten des Jehlin das Wort sprächen.
Nachdem dieselbe diese entwikelt, und darauf Ihren allerunterthänigsten Antrag gestüzt, daß von dem Ministerium der Beisaz gemacht werden mögte, das gefällte Urtheil noch vor der Verkündung Seiner Majestät dem Könige allerunterthänigst vorzulegen wäre, um allenfalls nach Allerhöchsteigenem Befund von Ihrem Rechte der Milderung und Begnadigung Gebrauch machen zu können.
Nur eine Erwägung dürfte hier noch eintreten, und diese seie, daß nach den oesterreichschen Gesezen Jehlin jezt sogleich schon in Kriminal-Verhaft genommen werden müßte, und daß dieses für ihn schon vielleicht unnachläßlich den Verlust der landesfürstlichen Dienste, wenigstens wegen den Ansichten des Volkes nach sich ziehen dürfte. Ob nun dieser Verhaft in einen Arrest oder Bürgschaftsleistung verwandelt werden könnte, und darauf bei Seiner Majestät dem Könige allerunterthänigst angetragen werden sollte? dieses überließen Sie der höheren Beurtheilung des geheimen Rathes. Sie müßten gestehen, daß Sie es mit den für den Innkreis noch bestehenden {3r} oesterreichschen Gesezen nicht vereinbarlich, und vielleicht auch der Folgen wegen nicht räthlich, obschon für den Jehlin, der aus den älteren Landes-Provinzen erst nach dem Innkreise versezt worden1431, auch nicht ganz unthunlich erachteten.
Seine Majestät der König geruheten, über diesen Antrag abstimmen zu laßen.
Der königliche geheime Staats und Konferenz Minister Herr Graf von Reigersberg äußerten, da die Kriminalität der von dem Landrichter Jehlin begangenen Handlungen keinem Zweifel unterliege, so seie die Vorgerichtstellung eine gesezliche Folge hievon. Sie nähmen daher keinen Anstand, hierauf allerunterthänigst anzutragen.
Auf die Begnadigung des Jehlin anzutragen, seie nicht Sache des königlichen geheimen Rathes, sondern des Ministeriums, welches aber nicht eher bei Seiner Majestät dem Könige als nach geendigter Untersuchung, bei welcher alle mildernde Umstände würden gewürdiget werden, geschehen könne; auch bleibe dem Jehlin nach gefälltem Urtheile noch die Appellazion an das Oberappellazions Gericht offen, und erst {3v} wenn dieses das Urtheil erster Instanz bestätiget, seie der Weg der Gnade anzutreten. Ob Jehlin zu Verhaft gezogen oder gegen Kauzion in Freiheit belaßen werden sollte, seie ebenfalls Sache des Gerichtes, welches diese Frage nach oesterreichschen Gesezen entscheiden würde.
Wegen der von dem Referenten gemachten Bemerkung, daß in dieser Sache kein Urtheil des Appellazions-Gerichtes auf Spezial-Inquisizion, sondern nur ein Gutachten vorliege, glaubten Sie erinnern zu müßen, daß dieses bei dem Appellazions Gerichte des Innkreises und nach oesterreichschen Gesezen, wo der Unterschied zwischen der General- und Spezial-Inquisizion nicht bestehe, so wie überhaupt nicht nöthig, weil auch in Altbaiern keine Appellazion an das Oberappellazions Gericht wegen Verhängung der Spezial-Inquisizion statt habe, folglich ein Urtheil nicht erforderlich, nur daß der geheime Rath ausspreche: ob dieselbe eintreten solle oder nicht?
Alle geheimen Räthe waren der Meinung, daß der geheime Rath blos aussprechen solle, der Landrichter Jehlin wäre vor Gericht zu stellen, ohne zu sagen, zur Vornahme der Spezial-Inquisizion, weil das weitere Verfahren nach {4r} diesem Ausspruche Sache des Gerichtes seie.
Wegen der Begnadigung habe der geheime Rath keinen Antrag zu machen, und müße dieses nach geendigter Untersuchung der allerhöchsten Entscheidung Seiner Majestät des Königs überlaßen, Allerhöchstwelchen die Milderungs-Gründe von den Gerichten und dem königlichen Ministerium würden vorgelegt werden.
Seine Majestät der König geruheten allergnädigst zu beschließen, daß der Landrichter Jehlin vor Gericht gestellt werde1432.
Staatsvertrag mit dem Königreich Württemberg
Feuerbach trägt das von der Krone Württemberg vorgelegte Projekt eines Staatsvertrags vor. Darin geht es um die wechselseitigen Gerichtsverhältnisse, insbesondere um die Vollstreckung der Urteile des ausländischen Gerichts. Das Projekt wird verlesen und diskutiert. Im Anschluß verliest Feuerbach ein von ihm entworfenes Gegenprojekt, das ebenfalls diskutiert wird. Der König befiehlt, den Entwurf an das Ministerium des Auswärtigen weiterzuleiten.
2. Von Seiner Majestät dem Könige aufgefordert, erstatteten geheimer Rath von Feuerbach schriftlichen Vortrag, die Abschließung eines Staats-Vertrages mit dem Königreiche Würtemberg wegen Vollstrekung fremdrichterlicher Erkenntniße betreffend, und bemerkten allerunterthänigst, daß dieser Gegenstand, der eigentlich die Gerichts-Verhältniße mit Würtemberg und andern benachbarten Staaten bestimme, bereits in den vereinigten geheimen Raths-Sectionen geprüft, und zur Berathung und Entscheidung in der Plenar-Versammlung vorbereitet worden. Die Schweiz habe durch den Landammann1433 bei Seiner Majestät dem Könige {4v} zu Abschließung eines ähnlichen Staatsvertrages sich bereit erboten, und das auswärtige Ministerium des oesterreichschen Kaiserhofes in einer Ministerial Note sich einige Erläuterungen der am 2ten Juni 1811 erlaßenen allgemeinen Verordnung1434 erbeten.
Die vereinigte geheime Raths Sectionen hätten mit dem Referenten geglaubt, daß das entworfene, und vorgelegt werdende Gegenprojekt eines solchen mit Würtemberg abzuschließenden Staatsvertrages auch durch die königliche Gesandschaft dem Landammanne der Schweiz könnte zugestellt und seine Aeußerungen und allenfallsige Erinnerungen hierüber erwartet werden, wo hingegen das oesterreichsche Ansinnen wegen der Verordnung vom 2ten Juni 1811 eine eigene Auseinandersezung erfordere1435.
Geheimer Rath von Feuerbach erlaubten sich, Seiner Majestät dem Könige folgenden Gang zu Prüfung dieses Gegenstandes allerunterthänigst vorzuschlagen: daß zuerst das von der Krone Würtemberg eingesendete Projekt des abzuschließenden Staats-Vertrages abgelesen, hierauf die Bemerkungen des Referenten und der geheimen Raths-Sectionen über jede {5r} einzelne Proposition, zulezt aber das nach den Beschlüßen der geheimen Raths Sectionen durch den geheimen Raths Referenten redigirte neue Projekt vorgetragen werde. Seine Majestät der König würden Sich durch diesen Vortrag zu überzeugen geruhen, wie und in wie weit nach den Ansichten des Referenten und der vereinigten geheimen Raths Sectionen dieses von Würtemberg eingesendete, in seiner Zusammenstellung sehr unpaßende, und in seiner Faßung sehr dunkle Projekt anzunehmen seie oder nicht?
Nachdem Seine Majestät der König diesen Gang des Vortrages zu genehmigen geruhet, trugen geheimer Rath von Feuerbach das anliegende lytographirte Gutachten1436 vor, und kamen nach Ablesung *Beilage II* [Marginalie] des Einganges und der Veranlaßung zu dem gegenwärtigen Vortrage auf die erste würtembergsche Proposizion in Hinsicht auf die bürgerliche a) streitige Gerichtsbarkeit, freiwillige Prorogation.
§ 11437. Geheimer Rath von Feuerbach legten Ihre Ansichten wegen diesem § vor, und als auch jene der {5v} vereinigten Sectionen hierüber vorgetragen waren, welche mit jenen des Referenten vollkommen übereinstimmten, geruheten Seine Majestät der König die Meinung Allerhöchstihrer geheimen Staats- und Konferenz Minister und geheimen Räthe deßwegen zu erholen.
Da von keinem der Mitglieder einige Erinnerungen gegen die Ansichten des Referenten und der vereinigten Sectionen rüksichtlich des § 1 gemacht worden waren, so geruheten Seine Majestät der König denselben ebenfalls
anzunehmen, und zu bestimmen, daß zu Gewinnung der Zeit und Beförderung der Berathung die Meinung des Referenten und der vereinigten geheimen Raths Sectionen als von dem ganzen Rathe angenommen betrachtet werden sollten, wenn keine Erinnerung von einem Mitgliede deßelben gegen die vorgetragene einzelne §§ gemacht würde.
In Folge dieser allerhöchsten Bestimmung, und nachdem die Meinungen des Referenten und der geheimen Raths Sectionen wegen folgenden §§ der würtembergschen Proposizionen § 2. [Lücke im Textfluß] § 3 Der Kläger folgt dem Gerichts-Stande des Beklagten, § 4 Von der Reconvention, Wiederklage1438, vorgetragen, und nichts hiegegen {6r} erinnert worden war
wurden dieselben von Seiner Majestät dem Könige ebenfalls angenommen.
Dem § 5 Von dem Provocations Proceße1439, welcher mit den Bemerkungen der geheimen Raths-Sectionen durch die Referenten nebst seinen eigenen vorgetragen wurde, fügten der königliche geheime Staats- und Konferenz Minister Herr Graf von Reigersberg die Bemerkung bei, daß Sie großen Anstand nähmen, Seiner Majestät dem Könige anzurathen, diese Provocations Klage den würtembergschen Unterthanen zuzugestehen, da dieselbe außerordentlich mißbrauchet, und zum Nachtheile der baierischen Unterthanen angewendet werden könnte, ohne zu erwähnen, daß das Mißverhältniß des Territorial-Umfanges und der Bevölkerung des Königreichs Baiern gegen das Königreich Würtemberg auffallend seie, und folglich bei Aufstellung solcher Säze woraus ein Nachtheil für die Unterthanen des einen oder des andern Staates entstehen könnte, wenn sie auch gegenseitig angenommen werden, Baiern immer mehr verlieren als gewinnen würde, {6v} müßten Sie gestehen, daß Sie großes Bedenken fänden, in die Provocations-Klage einzugehen, indeme dieselbe sehr leicht mißbrauchet, und dadurch ein Unterthan vor die Gerichte eines fremden Staates gezogen werden könnte, dabei die Grenzen zwischen der Evocation und Provocation so enge seien, daß dieselbe leicht überschritten werden könnten, und es für die Unterthanen der beiden Staaten andere Wege gebe, durch welche sie sich, so wie durch die Provocations-Klage sichern könnten.
*Der königliche geheime Staats- und Konferenz Minister Herr Graf von Reigersberg führten in anliegendem Voto Ihre nähere Ansicht hierüber aus* [Ergänzung auf der rechten Blatthälfte]1440.
Da diese entwikelte Ansicht von den übrigen Mitgliedern nicht getheilt, sondern vielmehr behauptet wurde, daß diese Provocations-Klage ohne Nachtheil der Unterthanen nicht zu umgehen seie, wie durch einige angegebene Beispiele gezeigt wurde, dafür auch die Reziprozität spreche, so
genehmigten Seine Majestät der König die vorgelegte Meinung der geheimen Raths Sectionen rüksichtlich des § 5.
Bei dem § 6 Den generellen Gerichtsstand des Beklagten, namentlich des Domicils, Veränderung des Domicils1441 betreffend, {7r} fanden geheimer Rath von Feuerbach zu erinnern nothwendig, daß Sie anfänglich den Sinn dieser würtembergschen Proposizion mißverstanden, allein nachher, und nachdem Sie in den Sekzions Sizungen über den wahren Begriff, der hiemit verbunden werden müße, Ihre Ideen berichtiget, folgende Faßung des § 6, wie er in dem Entwurfe des baierischen Gegenprojektes § 21 enthalten, vorgeschlagen hätten, die auch angenommen worden.
Die Säze, worauf diese Faßung beruhe, seien a) das forum Domicilii ist forum generale für beide Staaten, b) wo der Streit rechtshängig (pendent) ist, kann er durch Veränderung des Wohnortes nicht gestöret oder aufgehoben werden.
Die Faßung selbst laute: „Sobald vor irgend einem in den vorangehenden §§ dieses Staats-Vertrages bestimmten Gerichts-Stande eine Sache rechtshängig (pendent) geworden ist, so ist der Streit daselbst zu beendigen, ohne daß die Rechtshängigkeit durch Veränderung des Wohnsizes oder Aufenthaltes {7v} des Beklagten gestört oder aufgehoben werden könnte. Die Rechtshängigkeit (Litispendenz) wird durch Insinuazion der Ladung für begründet erkannt.“
Nachdem die hiemit übereinstimmende Ansichten der geheimen Raths Sectionen abgelesen waren, und dagegen keine weitere Erinnerungen gemacht wurden,
so genehmigten Seine Majestät der König dieselbe.
Geheimer Rath von Feuerbach trugen hierauf folgende §§ der würtembergschen Proposizion vor.
§ 7. § 8. Güterbesiz des in einem andern Staate wohnenden Unterthans. § 9. Gedoppeltes Domicil des Beklagten. § 10. Volles Landsaßiat. § 11. Allgemeines Gantgericht. § 12. Was das allgemeine Gantgericht seie. § 13. Anziehende Kraft des Gantgerichtes in Betreff der schon anderwärts anhängigen Rechts Sachen. § 14. Anziehende Kraft des Gantgerichtes in Ansehung der noch irgendwo anhängigen Forderungen. {8r} § 15. Außerordentliches Separazions-Recht. § 16. Kein Unterschied zwischen in- und ausländischen Gläubigern. § 17. Spezielle Gerichts-Stände. Gerichtsstand der gelegenen Sache. Forum rei sitae. § 18. Erbschafts-Klagen. § 19. Wirkung des forum rei sitae. § 20. Gerichts-Stand des Arrestes. § 21. Gerichts Stand des Kontraktes. § 22. Gerichts-Stand der geführten Verwaltung (forum gestae administrationis). § 23. Gerichts-Stand der Kontinenz wegen Identität der Sache. § 24. Gerichts Stand der Kontinenz wegen Konnexität der Sachen. § 25. Privilegirter Gerichts-Stand. § 26. Gerichts-Stand der Erben. § 27. Intervenzion. § 28. Stellung der Unterthanen zu Ablegung eines Zeugnißes. § 29. Freiwillige Gerichtsbarkeit. {8v} § 30. In Hinsicht auf die Strafgerichtsbarkeit. § 31. Ausnahme des Verbotes keinen Unterthan vor das forum delicti zu stellen. § 321442.
Geheimer Rath von Feuerbach begleiteten diese würtembergsche Proposizionen mit Ihren Bemerkungen, und führten die Gründe an, aus welchen dieselben entweder mit einigen Aenderungen, Weglaßung einiger Säze, oder gar nicht angenommen werden können. Da auch die Ansichten der vereinigten Sectionen über diese Proposizionen und die Anträge des geheimen Raths Referenten aus den Protokollen abgelesen, und hiegegen keine wesentliche Erinnerungen von den Mitgliedern des geheimen Rathes gemacht waren, so
genehmigten Seine Majestät der König die dadurch aufgestellten Grundsäze und ertheilten dem geheimen Rathe von Feuerbach den Auftrag, den bearbeiteten Gegenentwurf, der Würtemberg mitgetheilt werden sollte, und bei den geheimen Raths Sectionen bereits geprüft worden, vorzutragen.
{9r} In Folge dieses allerhöchsten Befehles trugen geheimer Rath von Feuerbach den Entwurf des Gegenprojektes zu einem Staatsvertrage zwischen Baiern und Würtemberg vor1443 *Beylage III* [Marginalie], der wegen den gegenseitigen Gerichts-Verhältnißen beider Staaten abzuschließen wäre. Dieselben bemerkten, daß sie diesen Entwurf sistematisch bearbeitet, mit den allgemeinen Bestimmungen angefangen, und darin die Materien aufeinander hätten folgen laßen wie sie sich ihrer Natur nach aneinander schließen, und nicht so wie Würtemberg es gethan, die Gegenstände untereinander geworfen.
§ 11444. Allgemeine Bestimmungen.
Dieser § wurde von Seiner Majestät dem Könige nach seiner Faßung angenommen, jedoch der Schluß auf folgende Art geändert: „so ferne solche Urtheile nach den näheren Bestimmungen des gegenwärtigen Staatsvertrages von einem beider Seits als kompetent anerkannten Gerichte ausgegangen sind“.
{9v} § 21445. Bei diesem § erinnerten geheimer Rath von Effner, daß der gewählte deutsche Ausdruk Einrede des geendeten Streites den Sinn des lateinischen exceptio rei judicata nicht ganz habe und eine Aenderung deßelben nothwendig werden dürfte. Nach dieser richtigen Erinnerung
wurde in § 2 statt die Einrede des geendeten Streites gesezet „die Einrede des rechtskräftigen Urtheiles“ und der § nach dieser Faßung angenommen.
§ 31446. § 4. Besondere Bestimmungen. I. Rüksichtlich der bürgerlichen streitigen Gerichtsbarkeit. Von der freiwilligen Prorogation. § 5. Der Kläger folgt dem Beklagten. § 6. Wiederklage. § 7. Provocations-Klage. § 8. Vom Gerichts-Stande des Wohnsizes. § 9. Insbesondere den Erben. § 10. Allgemeines Gantgericht. {10r} § 11. Rechtliche Wirkungen des allgemeinen Gantgericht Standes. § 12. Besonders rüksichtlich bereits anhängiger Forderungen. § 13. Rechtliche Gleichheit zwischen in- und ausländischen Gläubigern. § 14. Vom Gerichts-Stande der gelegenen Sache. § 15. Von den Erbschafts-Klagen. § 16. Vom Gerichts-Stande des Arrestes. § 17. Gerichts-Stand des Kontraktes. § 18. Besonders bei Wechsel-Verschreibungen. § 19. Gerichts-Stand der geführten Verwaltung. § 20. Von der Intervenzion. § 21. Wirkung der Rechtshängigkeit (Litispendenz). § 22. II. Von den Verhältnißen der nicht streitigen Gerichtsbarkeit. § 23. Von den gegenseitigen Verhältnißen rüksichtlich der Strafgerichtsbarkeit. § 24. Vollstrekung der Straf-Erkenntniße. § 25. Stellung fremder Unterthanen vor das Gericht der begangenen That. {10v} § 26. Stellung eigener Unterthanen vor das Gericht der begangenen That. § 27. Zusaz zu den vorigen. § 28. Stellung der Unterthanen zu Ablegung eines Zeugnißes.
Seine Majestät der König geruheten allergnädigst, über diese vorgetragene §§ des Gegenentwurfes eines mit der Krone Würtemberg abzuschließenden Staatsvertrages die Meinung der geheimen Raths Mitglieder zu erholen, und folgende Erinnerungen zu vernehmen.
Der königliche geheime Staats und Konferenz-Minister Herr Graf von Reigersberg glaubten, die Stellung der dießeiten [!] Unterthanen § 28 an fremde Gerichte zu Ablegung eines Zeugnißes1447 seie auch bei jenen benachbarten Staaten ohnbedenklich, wo die Jury eingeführt, *wie bereits in einer Note des Justiz Ministeriums an das auswärtige [Ministerium] geäußert worden,* [Ergänzung auf der rechten Blatthälfte] da solches immer zu Beschleunigung der Untersuchung, zu Entdekung und Bestrafung der Verbrecher führe, wobei Baiern als benachbarter Staat immer ein wichtiges Intereße habe. Nur müße das Reziprokum und die vollständige Vergütung der Reisekosten und der Versäumniß der {11r} Zeugen vorausgesezt werden.
Geheimer Rath von Krenner äußerten wegen dem § 16 dem Gerichtsstande des Arrestes1448 einige Bedenken, und glaubten, daß dieses so nach der Faßung zugegeben, zu manchen Inkonvenienzen gegen die begüterte baierische Unterthanen Anlaß geben könnte.
Geheimer Rath Graf Carl [Maria] von Arco fanden die § 26 angenommene Stellung eigener Unterthanen vor das Gericht der begangenen That1449 in der weitern Ausdehnung bedenklich, weil es möglich, daß ein würtembergsches Gericht einen Unschuldigen verurtheilen könne, und es doch hart seie, einen Unterthanen auch in diesem möglichen Falle auszuliefern.
Auch gegen die Bestimmung des § 24 in Beziehung auf die Konfiskazion1450 äußerten Sie Anstände, und glaubten, daß mit Auslaßung des verhältnißmäsigen nur zu sezen wäre „des ganzen Vermögens oder eines Theiles deßelben“.
Nachdeme diese verschiedene Erinnerungen von den übrigen Mitgliedern widerlegt waren {11v} und die Mehrheit sich für die Faßung der erwähnten §§ erkläret, geheimer Rath von Feuerbach auch bemerkt hatten, daß die vereinigte Sectionen der Meinung gewesen, daß dieser Entwurf dem Landammanne der Schweiz, welcher ebenfalls den Wunsch geäußert, mit Baiern einen Staats Vertrag wegen den gegenseitigen Gerichts-Verhältnißen beider Staaten abzuschließen, durch die königliche Gesandschaft mitgetheilt, und seine Erinnerungen und Bemerkungen hierüber erwartet werden könnten; so
genehmigten Seine Majestät der König diese §§ des Entwurfes mit folgenden Beisäzen, und Aenderungen in der Faßung.
In § 51451 solle nach Gerichtskosten beigesezt werden „und dergleichen“.
Am Schluße des § 91452 statt der Krieg rechtens befestiget gewesen ist „die Streitbefestigung geschehen ist“.
In § 121453 am Schluße statt einsweilen vorgemerkt „eventuel lociret“
In § 281454 im Eingange „in Kriminal-Fällen“ und am Ende nach Rekognizion „gegen vollständige Vergütung {12r} der Reisekosten und der Versäumniß nicht verweigert“.
Seine Majestät der König geruheten zu befehlen, daß der so gefaßte Entwurf zu Abschließung eines Staats-Vertrages über die Gerichts-Verhältniße dem auswärtigen Ministerial-Departement zugestellt werde, um denselben durch die königliche Gesandschaften nicht nur der Krone Würtemberg sondern auch dem Landammanne der Schweiz mitzutheilen, und das Geeignete einzuleiten.
Geheimer Rath von Feuerbach lasen hierauf mit Bewilligung Seiner Majestät des Königs ein Praememoria ab, welches von dem kaiserlich oesterreichschen Minister der auswärtigen Verhältniße dem dießeitigen Gesandten1455 zugestellt, und worin in Beziehung auf die Verordnung vom 2ten Juni 1811 wegen der Execution fremdrichterlicher Erkenntniße1456 zwei Anstände erhoben worden, wovon der erste durch eine nähere Aufklärung der königlich baierischen Absicht gehoben, der zweite aber so geeignet seie, daß dem Ansinnen des kaiserlich oesterreichschen Hofes wegen dem für Baiern daraus zu erwartenden Vortheile entsprochen werden könnte.
{12v} Seine Majestät der König geruheten, dem geheimen Rathe von Feuerbach den Auftrag zu ertheilen, seine Ansichten über die zwei von dem oesterreichschen Hofe gegen die Verordnung vom 2ten Juni 1811 erhobene Anstände in ein schriftliches Gutachten zu bringen, und solches in der nächsten geheimen Raths-Sizung vorzutragen1457.
Der König bestätigt die Beschlüsse (ohne Datum).
Anmerkungen
Jehlin war 1809, vom Landgericht Rosenheim kommend, in den Innkreis versetzt worden. Biogramm s. Protokoll Nr. 45, TOP 3.
Am 9. Oktober 1812 wurde Jehlin wegen Veruntreuung von 3.165 fl. zu zwei Jahren Kerkerhaft in der Festung Kufstein verurteilt. Hamm, Integrationspolitik, S. 251 Anm. 71.
Zum Landammann der Schweiz als Repräsentanten der schwach ausgeprägten Bundesgewalt in napoleonischer Zeit s. Historisches Lexikon der Schweiz s.v. Landammann der Schweiz (Andreas Fankhauser) = URL: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010080/2007-11-12/ (Aufruf: 22.1.2020).
VO betr. die „Vollstreckung fremdrichterlicher Erkenntnisse“ vom 2. Juni 1811, RegBl. 1811, Sp. 745-748.
Ebd., S. 1f.: „§ 2. Ein, von einem zuständigen Gericht erlassenes rechtskräftiges Erkenntniß begründet vor den Gerichten des andern Staates die Einrede des geendeten Streits (exceptio rei judicatae) mit denselben Wirkungen als wenn das Urtheil von einem Gerichte desjenigen Staats, in welchem solche Einrede geltend gemacht wird, gesprochen worden wäre. […]“.
Ebd., S. 13f.: „§ 26. Wenn gegen den Unterthan des einen Staats die Gerichtsbarkeit des andern und zwar als Gerichtsstand der begangenen That und zugleich der Ergreifung (forum delicti et deprehensionis) begründet war, daselbst auch die Untersuchung wider denselben bereits anhängig geworden ist, so wird der Inculpat, oder, wenn schon ein Urtheil wider ihn ergangen wäre, der Verurtheilte, nachdem er sich in das Gebiet seines Vaterlandes geflüchtet hat, an das zuständige auswärtige Gericht zur Fortsezung der Untersuchung oder zum Vollzug der Strafe abgeliefert. Eine Untersuchungssache wird erst dann für rechtshängig angesehen, wenn wider den Verbrecher die Specialuntersuchung nicht nur verfügt worden ist, sondern auch mit denselben bereits ihren Anfang genommen hat.“
Ebd., S. 12: „§ 24. Wenn der Unterthan des einen Staats in dem Gebiete des andern sich einer Uebertretung schuldig gemacht hat, und daselbst ergriffen und abgeurtheilt worden ist, so wird das Erkenntniß dieses Gerichts, von dem Staate, dem er als Unterthan angehört, an den in seinem Gebiete befindlichen Gütern des Verurtheilten vollzogen, ausgenommen wenn auf Confiscation des ganzen Vermögens oder eines verhältnißmäsigen Theils desselben (pars quota) erkannt worden wäre. Gleiches gilt von dem Falle, wenn der Schuldige in dem Staate, dem er als Unterthan angehörte, verurtheilt worden ist, und in dem Gebiete des andern Staats Güter besizt.
Ebd., S. 3: „§ 5. Beide contrahirende Staaten erkennen gegenseitig den Grundsaz, daß der Kläger dem Gerichtsstand des Beklagten zu folgen habe. Es wird daher das Urtheil der fremden Gerichtsstelle nicht nur so ferne es dem Beklagten, sondern auch so ferne es den Kläger z. B. rüksichtlich der Erstattung von Gerichtskosten betrifft, in dem andern Staate als rechtsgültig erkannt und vollzogen.“
Ebd., S. 6f.: „§ 12. Dagegen zieht der allgemeine Gantgerichtsstand die bereits anhängen [!] Rechtssachen nur rüksichtlich der Lokation an sich, so daß dergleichen Foderungen zwar vor dem Gantgerichte bei Strafe der Ausschließung anzugeben sind, und in das Locationserkenntniß an gehörigem Orte eingereicht werden; die Hauptliquidation der Foderung aber vor dem Gericht, wo sie angefangen worden, bis zum Schlusse fortgesezt wird, wobei dem Gläubiger oder Contradictor unbenommen ist, zu intervenieren.“
RegBl. 1811, Sp. 745-748.