BayHStA Staatsrat 287
6 Blätter. Unterschriften des Königs und des Ministers. Protokoll: Kobell.
Anwesend:
Staats- und Konferenzminister: Reigersberg.
Geheime Räte: Graf v. Preysing-Hohenaschau; Graf v. Toerring-Gutenzell; Freiherr v. Weichs; v. Zentner; Graf v. Thurn und Taxis; Franz v. Krenner; v. Effner; v. Feuerbach; Graf v. Welsberg.
{1r} Nach dem allerhöchsten Befehle Seiner Majestät des Königs wurden in der auf heute angeordneten geheimen Raths Versammlung unter Vorsiz Seiner Excellenz, des königlichen geheimen Staats- und Konferenz Ministers Herrn Grafen von Reigersberg folgende Rekurs-Gegenstände von den Herrn geheimen Räthen Freiherrn von Weichs und Grafen von Tassis vorgetragen und entschieden.
Gewerbebeeinträchtigung (R)
Weichs berichtet über den Streit zwischen den Wirten in Ansbach und dem Casino. Die Wirte beschweren sich über die Störung ihres Gewerbes durch den konkurrierenden Gaststättenbetrieb des Casinos. Gegen einen Entscheid des Generalkommissariats des Rezatkreises hat die Direktion des Casinos Beschwerde beim Geheimen Rat eingelegt. Es ergeht der Beschluß, den Entscheid des Generalkommissariats zu bestätigen.
1. Lasen Herr geheimer Rath Freiherr von Weichs in Sachen {1v} der Wirthen in Ansbach gegen den dortigen Casino Diener Regel wegen Gewerbs-Beeinträchtigung den von dem Referenten des General Kommißariats des Rezat-Kreises erstatteten Vortrag ab, der die Veranlaßung dieser Streit-Sache, die deßwegen bei der ersten Instanz statt gehabte Verhandlungen und die Entscheidungs Gründe enthält, auf welche das General Kommißariat sein Erkenntniß gestüzt.
Herr geheimer Rath Freiherr von Weichs bemerkten, daß die Direction des Casino in Ansbach1985 sich gegen diese Verbescheidung des General-Kommißariates bei der allerhöchsten Stelle beschweret. Dieselben führten die Punkte aus, wodurch sich dieselbe beschweret geglaubt, und äußerten, daß nach Beantwortung der Frage: ob eine Privat-Gesellschaft, wenn sie für die Gesellschafts Glieder und in dem Gesellschafts Hauße täglich Mittags- und Abends-Tische halte, dadurch die Rechte der Wirthen kränke? nach Ihren Ansichten und nach den in dem Vortrage entwikelten Gründen der Meinung seien, daß der Bescheid des General-Kommißariats vom 11 April vorigen Jahres zu bestätigen seie.
{2r} Seine Excellenz, der königliche geheime Staats und Konferenz Minister Herr Graf von Reigersberg verfügten hierüber die Umfrage, und da alle anwesende Mitglieder des geheimen Rathes sich mit diesem Antrage des Herrn Referenten vereinigten, und denselben mit jenem Beschluße, welcher wegen einer ähnlichen Beschwerde der Wirthe in Nürnberg in der lezten geheimen Raths Sizung gefaßt worden1986, vollkommen übereinstimmend beurteilten,
so wurde der abgelesene Reskripts Entwurf von dem königlichen geheimen Rathe genehmiget.
Grenzstreitigkeiten (R)
Thurn und Taxis berichtet über einen Grenzstreit zwischen mehreren Gemeinden im Rezatkreis. Da er den Streit als Kompetenzstreit ansieht, trägt er an, den Rekurs abzuweisen; zuständig ist das Appellationsgericht. Die im Zuge der Abstimmung aufgeworfene Frage, ob der Gegenstand nicht im Geheimen Rat zu entscheiden sei, wird von Reigersberg bejaht. Es ergeht daher der Beschluß, im Reskript nichts von Kompetenzfragen zu schreiben, sondern den Rekurs einfach abzuweisen.
2. In Sachen der Gemeinde Rasch1987 gegen jene von Dörlbach1988, Schwarzenbach und Westheid wegen Grenz Streitigkeiten erstatteten Herr geheimer Rath Graf von Tassis schriftlichen Vortrag, in welchem Dieselben die Geschichte dieser Streit-Sache und die sowohl bei dem Landgerichte, dem General-Kommißariate als dem Appellazions Gerichte des Rezat-Kreises, an welch lezteres die Akten von dem General-Kommißariate nach Vernehmung des Landgerichts als ein Rechts Streit über Grenzberichtigung zur weiteren Verfügung übersendet worden, eingetretene Verhandlungen und {2v} erfolgte Erkenntniße ausführten, und bemerkten, daß gegen das von dem Appellazions Gerichte erfolgte Urtheil von den Gemeinden Dörlbach et Cons. der Rekurs an die allerhöchste Stelle ergriffen, und das Appellazions Gericht für inkompetent, so wie die Aburtheilung von zwei verschiedenen Gerichtshöfen für ungesezlich erklärt worden.
Nach Anführung, daß rüksichtlich der Formalien nichts zu erinnern seie, äußerten Herr geheimer Rath Graf von Tassis aus den in dem Vortrage angegebenen Entscheidungs Gründen quoad materialia Ihre Meinung dahin, daß Sie den Streit über die Grenzen der Weidau ausschließend als einen Rechtsstreit beurtheilten, und deßwegen darauf antragen müßten, das Appellazions Gericht als kompetent zu erklären, und die Rekurrenten mit ihren Petitis abzuweisen.
Der mit diesem Antrage übereinstimmende Reskripts Aufsaz wurde vom Herrn geheimen Rathe Grafen von Tassis abgelesen.
Nachdem in Folge verfügter Abstimmung zuerst die von einigen Herrn geheimen Räthen aufgeworfene Frage: ob dieser Gegenstand als eine Kompetenz-Streitigkeit nicht nach den {3r} Bestimmungen des allerhöchsten Reskriptes vom 29ten Dezember vorigen Jahres zur Plenar-Sizung des geheimen Rathes zu verweisen seie? dahin *von dem vorsizenden Minister* [Ergänzung auf der rechten Blatthälfte] entschieden war, daß: da es sich nur um einen Streit der Partheyen, von welcher Stelle ihre Beschwerde entschieden werden müße, nicht aber von einem Kompetenz Konflikt zwischen der richterlichen und einer administrativ Stelle handle, dieser Gegenstand allerdings *nach der bestimmten Vorschrift des allerhöchsten Reskriptes* [Ergänzung auf der rechten Blatthälfte] in der gegenwärtigen Sizung seine Entscheidung erhalten könne; so erklärten sich alle Herrn geheimen Räthe dafür, daß in dem allerhöchsten Reskripte an das General Kommißariat nichts von der Kompetenz einer oder der andern Stelle, welche diese Sache zu entscheiden, erwähnet, sondern der zur allerhöchsten Stelle ergriffene Rekurs lediglich als unstatthaft abgewiesen werden solle.
Nach diesem Beschluße des geheimen Rathes wurde die Ausfertigung des damit übereinstimmenden Reskriptes genehmiget.
Kulturstreitigkeit (R)
Thurn und Taxis berichtet über den Streit zwischen der politischen Gemeinde und der jüdischen Gemeinde Schnaittach. Es geht um die Verteilung von Gemeindegründen. Die „christliche Gemeinde“ hat gegen den Entscheid des Generalkommissariats des Rezatkreises Beschwerde beim Geheimen Rat eingelegt. Nach Prüfung der Rechtslage trägt der Berichterstatter an, den Anspruch der jüdischen Gemeinde auf Gemeindegründe zu verwerfen, sofern sie nicht durch Erwerb eines Rechtstitels die Berechtigung erwirbt, an der Verteilung teilzunehmen. In der Umfrage stellen sich sechs Geheime Räte gegen den Antrag des Berichterstatters. Daher wird beschlossen, den Rekurs der Gemeinde Schnaittach abzuweisen und den Entscheid des Generalkommissariats zu bestätigen.
3. Herr geheimer Rath Graf von Tassis unterrichteten den königlichen geheimen Rath, daß der von Ihnen bearbeitete Vortrag in Sachen der Gemeinde zu Schnaittach1989 gegen die jüdische Gemeinde allda Landgerichts Lauf, Kulturs-Streitigkeiten betreffend, {3v} durch die Entscheidung des königlichen geheimen Rathes in Sachen der Juden zu Ottensos, Landgerichts Schnaittach jezt Lauf, gegen die dort ansäßigen Christen wegen dem Konkurrenz Maaßstab keine Aenderung erhalte, indeme es sich damals um Kriegs Konkurrenz, gegenwärtig aber um Gemeinde-Gründe Vertheilung handle1990.
Nach dieser Einleitung bemerkten Herr geheimer Rath Graf von Tassis, daß Sie bei der genauen Instruirung dieses Gegenstandes und bei richtiger Darstellung der Geschichte dieses Streites, so wie der bisherigen Verhandlungen durch den Referenten des General Kommißariats des Rezat-Kreises es für überflüßig erachtet, einen eigenen Akten-Auszug zu fertigen, und es für hinlänglich beurtheilet, diesen Vortrag des General Kommißariats Referenten abzulesen, und den geheimen Rath dadurch in gehörige Kenntniß zu sezen.
Herr geheimer Rath Graf von Tassis lasen hierauf den Vortrag des Referenten des General Kommißariats und die Entscheidung des General Kommißariates ab, wogegen die christliche Gemeinde den Rekurs zur allerhöchsten Stelle ergriffen, und äußerten quoad formalia: daß Sie hiebei Folgendes {4r} zu bemerken für nothwendig fänden.
Die Kulturs Prozeße müßten summarisch verhandelt werden, und hier bestimme das Gesezbuch Cap. 14 § 81991, daß die definitive Urtheile nach vorläufigen Citazionen der Partheyen nach der Seßion commissionaliter publizirt werden sollten; das Gesez, welches der Referent der zweiten Instanz anführe, seie nur bei einem Prozeße in ordinario anwendbar.
Eben erwähnter Referent seie der Meinung, daß das Gesez Cod. jud. c. 16 § 2 von der Citazion zu den Verhandlungen spreche, deren Unterlaßung das Verfahren nichtig mache, und hier nicht angewendet werden könne1992. Ihres (Grafen von Tassis) Erachtens seie die Publikazion eines Bescheides ebenfalls ein gerichtliches Verfahren, und wenn der Richter die intereßirten Theile hiezu zu zitiren unterlaße, so seie in Processu ordinario Mangel der Zitazion so lange vorhanden, als der gravirende Theil nicht selbst von der erlaßenen Sentenz Wißenschaft habe. Die Kulturs Prozeße müßten nach allerhöchster Verordnung summarisch behandelt werden, und in summario bestimme das Gesez ausdrüklich die {4v} Citazion aller Intereßirten respec. Partheien. Der Bürgermeister Wöherle seie blos ein einzelner Intereßent, und von der Gemeinde aktenmäsig nie bevollmächtiget worden, in dieser causa den Streit als Bevollmächtigter zu übernehmen, sondern ein am 19 April 1811 abgehaltenes Protokoll beweise, daß nicht der Bürgermeister Wöherle sondern drei andere Gemeinds Glieder den Streit zu führen gewählt worden, welche erkläret, daß sie den Advokaten Vanino1993 zum Streit bevollmächtiget. Das Landgericht hätte also entweder den Deputirten der christlichen Gemeinde, oder dem Advokaten Vanino und nicht dem unbevollmächtigten Bürgermeister Wöherle den Bescheid publiziren oder mittheilen sollen.
Der Advokat der christlichen Gemeinde, er möge in loco des Landgerichts sein oder anderswo seinen Aufenthalt haben, seie nie verpflichtet, sich über etwas anzufragen, was der Richter entweder aus Unkenntniß oder Übersehen den Partheien zuzuschließen unterlaßen habe. Es existire kein Gesez, welches hierüber Bestimmung gebe, im Gegensaze sprächen wohl die Geseze von einem {5r} officio habili [!]; wenn daher der Richter, wie in dem gegenwärtigen Falle die Partheyen über die Nothfrist nicht belehre, so falle die Schuld auf den Richter und nicht auf die Partheyen, im Falle die Fatalien versäumt würden, und nachdeme die Gemeinde ohnehin nach dem Gesezbuche den Minderjährigen gleich gehalten werde1994, so seie die christliche Gemeinde in integrum zu restituiren.
Herr geheimer Rath Graf von Tassis zogen hieraus und aus den in dem Vortrage näher entwikelten Entscheidungs Gründen quoad materialia den Schluß, daß diese Streit Sache dahin zu entscheiden sein mögte, „daß die Juden mit ihrem Anspruche auf Gemeinde Gründen pro praeterito et futuro abzuweisen, außer daß sie in dem gegebenen Falle durch Erwerbung einer Realität, worauf entweder das Miteigenthum oder die bisherige Benuzung der vertheilten Gründen hergebracht gewesen, einen Antheil zu fordern berechtiget“.
Der mit diesem Antrage übereinstimmende Reskripts Entwurf wurde vom Herrn geheimen Rathe Grafen von Tassis abgelesen.
{5v} Seine Excellenz, der königliche geheime Staats und Konferenz Minister Herr Graf von Reigersberg verfügten hierüber die Umfrage. Die Herrn geheimen Räthe Grafen von Preising, von Törring, Freiherr von Weichs, von Zentner, von Effner und von Feuerbach erklärten sich gegen den Antrag des Referenten für Bestätigung des Erkenntnißes des General Kommißariats und Abweisung der Rekurrenten wegen versäumten Fatalien da, angenommen auch, daß in Zitazion und Publikazion der resolutio gravando einige Unordnung von Seite des Landgerichts unterlassen, doch nach dem eigenen Geständniße derselben Gemeinde diese Desertion selbst vom 30 September 1811 an erst gerechnet eingetreten, und keine hinlängliche Gründe zur Restituzion vorhanden, und die Zitazion *zur Sentenz Publication* [Ergänzung auf der rechten Blatthälfte] zwar gesezlich vorgeschrieben, allein deren Unterlaßung keine Nichtigkeit des Verfahrens nach den Gesezen zur Folge habe, auch der von dem Referenten angegebene Grund, daß die Gemeinde als {6r} Minderjährige zu betrachten, bei Kulturs Streitigkeiten keine Anwendung finden könne, indeme sonst keine Fatalien zu laufen brauchten, und kein Erkenntniß in Rechtskraft übergehen könne.
Mit dem Referenten auf Restituzion der christlichen Gemeinde stimmten die Herrn geheimen Räthe von Krenner und Graf von Welsperg weil dieselbe die Fatalien nur um 5 bis 6 Tage vom 30ten September an gerechnet, versäumt, und doch einige nicht unwichtige Gründe für die christliche Gemeinde zu sprechen schienen, und der geheime Rath in mehreren früheren Fällen nicht so streng in Restituzionen gewesen.
Diesen Gründen fügten Herr geheimer Rath Graf von Welsperg noch jenen bei, daß durch Abweisung der christlichen Gemeinde den Juden ein gesezliches Präjudiz eingeräumt werden würde, indeme sie nach den Gesezen, die noch bestünden, kein Eigenthum erwerben, folglich auch keine Gemeinde Gründen besizen dürften1995, welche jenen in Schnaittach dennoch nach diesem Beschluße zugesprochen würden.
Nach der Mehrheit der Stimmenden
wurde von dem königlichen geheimen Rathe {6v} beschloßen, die Rekurrenten wegen versäumten Fatalien abzuweisen, und das Erkenntniß des General Kommißariats des Rezat-Kreises zu bestätigen.
Der König bestätigt die Beschlüsse des Geheimen Rates (8. September 1812).
Anmerkungen
Hinweise zum Casino im Kontext des spätaufklärerischen Sozietätswesens in Ansbach bei Seiderer, Formen, S. 204.
Johann Baptist Vanino, Rechtsanwalt im Regenkreis, Landgericht Vohenstrauß (RegBl. 1813, Sp. 139; RegBl. 1814, Sp. 441 [hier fälschlich Bartholomäus genannt; dagegen im unpaginierten Register s.v. Vanino: Johann Baptist]).
Das „Edikt über das Gemeindewesen“ vom 24. September 1808 bestimmte insoweit in § 56, RegBl. 1808, Sp. 2415: „Die Gemeinden sind daher [sc. da die „Kuratel der Gemeinden ein Theil der Staats-Polizei“ war, § 55, ebd.] in Ausübung ihrer Rechte, wie die Minderjährigen, beschränkt, und geniessen auch ihre Vorrechte.“
Die VO vom 10. Juni 1799, die den Juden in der Oberpfalz, in Pfalz-Sulzbach und in Sulzbürg den Erwerb liegender Gründe verbot, wurde mit VO betr. den „Güterverkauf der Juden“ vom 4. August 1807, RegBl. 1807, Sp. 1329-1331, bestätigt und auf alle übrigen Teile des Königreichs ausgedehnt. Zur VO von 1799 vgl. Schimke, Regierungsakten, S. 548f. Nr. 106.