BayHStA Staatsrat 249

17 Blätter. Unterschriften des Königs, des Kronprinzen und der Minister. Protokoll: Kobell.

Anwesend:

Kronprinz Ludwig.

Staats- und Konferenzminister: Montgelas; Reigersberg.

Geheime Räte: Graf v. Preysing-Hohenaschau; Ignaz Graf v. Arco; Graf v. Toerring-Gutenzell; Freiherr v. Weichs; v. Zentner; Johann Nepomuk v. Krenner; Graf v. Thurn und Taxis; Franz v. Krenner; Carl Maria Graf v. Arco; Freiherr v. Aretin; v. Effner; v. Schenk; Freiherr v. Asbeck; v. Feuerbach; Graf v. Welsberg.

Verlesung eines Reskripts über die Dienstverhältnisse der Staatsdiener

{1r} Unter Vorsiz Seiner Königlichen Hoheit des {1v} Kronprinzen und auf Höchstdero Befehl wurde zuerst durch den General Sekretär das in den königlichen geheimen Rath gekommene anliegende allerhöchste Reskript *Beilage I* [Marginalie] vom 28ten vorigen Monats wegen den Verhältnißen der Staatsdiener abgelesen1050 und

solches dem ernannten Referenten Freiherrn von Asbek zugestellt.

Fideikommiß der Freiherrn v. Castell

Effner berichtet über den Streit, den Mitglieder der Familie der Freiherrn v. Castell miteinander führen. Es geht um Besitzrechte am Fideikommiss. Die Frage ist, ob der Gesetzgeber eine authentische Interpretation der einschlägigen Rechtsnormen abzugeben hat oder ob der Streit von den zuständigen Gerichtsstellen unter Anwendung der Gesetze zu klären ist. Der Geheime Rat stellt die Kompetenz der Gerichtsstellen fest.

2. Von Seiner Königlichen Hoheit dem Kronprinzen aufgefordert, erstattete geheimer Rath von Effner über das Gesuch der Freiherr von Kastellschen Schwester respec. Schwester Kinder um autentische Erklärung und Bestimmung ihrer Kompoßeßions Rechte und ihrer Wirkungen in dem von Kastellschen Fideikommiße, schriftlichen Vortrag, und äußerten, die in diesem Gegenstande zu entscheidenden Fragen seien folgende:

1) Soll über das Gesuch der von Kastellschen Schwestern und Schwester Kinder eine autentische Erläuterung von dem allerhöchsten Gesezgeber erlaßen werden, oder eignet sich die Entscheidung der in diesem Gesuche zur autentischen Erklärung vorgelegten Frage nicht vielmehr zur Kompetenz des Richters und zur bloßen {2r} Anwendung der bestehenden Geseze. 2) Auf welche Art könnte im ersten Falle die autentische Erklärung gegeben werden.

Geheimer Rath von Effner legten hierauf in dem anliegenden lytographirten Vortrage1051 die Geschichte vor, wie dieses Freiherrlich von Kastellsche Fideikommiß entstanden, und dann aus welchen Gründen daßelbe von den Schwestern und Schwester Kindern des das Fideikommiß gegenwärtig besizenden Freiherrn von Kastell1052 angegriffen worden, beantworteten die verschiedene Vorfragen und stellten die Meinung auf, daß Seine Majestät der König, Allerhöchstwelche in Betreff der Familienfideikommiße, ihres künftigen Nichtbestandes und der Wirkungen, die aus ihrer Aufhebung hervorgehen, bereits die gesezliche Bestimmungen gegeben1053, nicht in einzelnen Fällen als Gesezgeber an die Stelle des Richters treten und entscheiden könnten, ob und wenn dieser Fall unter die bestehenden Geseze zu subsumiren seie.

Auf diese Praemißen gründeten Herr geheimer Rath von Effner den allergehorsamsten {2v} Antrag: es seie den von Kastellschen Schwestern respec. Schwester Kindern auf ihr zur allerhöchsten Stelle eingereichtes Gesuch um autentische Erklärung über die Frage, ob das Heinrich Edmund und Joseph Sebastian1054 von Kastellsche Vermögen, und mit welcher Wirkung, den gesezlichen Bestimmungen der königlich baierischen Edicte nach ihrem Inhalte und Zweke bemeßen, unterliege oder nicht, zu bedeuten: daß diese Frage zur autentischen Interpretazion sich nicht eigne, sondern durch Anwendung der bestehenden Geseze auf den vorliegenden einzelnen Fall durch die kompetente richterliche Behörde entschieden werden müße, welches den von Kastellschen Schwestern und respec Schwester Kindern zur Wißenschaft zu eröfnen seie.

Solle aber diese von Ihnen aufgestellte Ansicht und der hiemit verbundene Antrag von Seiner Königlichen Majestät und dem hohen geheimen Rathe nicht genehmiget, sondern beschloßen werden, daß den von Kastellschen Schwestern eine autentische Erklärung über ihre vorgelegte Frage gegeben werden solle, so würden Sie auf diesen Fall auch Ihren {3r} unzielsezlichen Antrag in der Hauptsache anfügen.

Seine Königliche Hoheit der Kronprinz geruheten, über die Fragen abstimmen zu laßen, ob dieser Gegenstand an die Gerichts Stellen zu verweisen, oder den Freiherr von Kastellschen Schwestern eine autentische Erklärung über ihre vorgelegten Fragen gegeben werden solle, und einstimmig wurde von allen Mitgliedern des königlichen geheimen Rathes die Meinung des Referenten angenommen, daß dieser Gegenstand zu den Gerichts-Stellen zu verweisen, sohin

beschloßen, an Seine Majestät den König nach dem Gutachten des Referenten den allerunterthänigsten Antrag zu stellen, daß den Freiherr von Kastellschen Schwestern respec. Schwester Kindern auf ihre zur allerhöchsten Stelle übergebene allerunterthänigste Vorstellung bedeutet werde, daß die von Ihnen allerunterthänigst gestellte Frage zur autentischen Interpretazion sich nicht eigne, sondern durch Anwendung der bestehenden Geseze auf den vorliegenden einzelnen Fall durch die kompetente richterliche Behörde entschieden werden müße.

Rückwirkung einer Norm

Asbeck berichtet im Fall des Beimautners Freimüller, dem fehlerhafte Kassenführung vorgeworfen wird. Das eigentliche Problem liegt jenseits des konkreten Tatvorwurfs. Zu entscheiden ist, ob der Geheime Rat kompetent ist. Denn es besteht ein Beschluß des Geheimen Rates vom 3. Oktober 1811, der ein anderes Verfahren vorsieht. Die Geheimen Räte vertreten die Ansicht, daß dem Beschluß nicht zu folgen ist, denn er ist nicht publiziert worden. Auch wenn er publiziert worden wäre, dürfte er wegen des Rückwirkungsverbots nicht angewendet werden. Die Mehrheit der Geheimen Räte beschließt, den Fall Freimüller durch den Geheimen Rat entscheiden zu lassen.

{3v} 3. Seine Königliche Hoheit der Kronprinz forderten den geheimen Rath Freiherrn von Asbek auf, den bearbeiteten Vortrag wegen dem Kaße-Defekt des Beimautners am Göglinger Thore zu Ulm Ferdinand Freimüller zu erstatten.

Diesem höchsten Aufrufe entsprechend, bemerkten Freiherr von Asbek, daß Sie in die Ihnen zweifelhafte Frage nicht eingegangen, ob der Besizer einer Stelle, die doch nach dem Umfange der damit verbundenen Verrichtungen nach dem geringen Maße der dabei nothwendigen Eigenschaften gewiß zu den untersten im Staate gehöre, in die Kategorie der Staatsdiener gereihet werden könne. Sie hätten ihn blos aus dem Grunde dahin gereihet, weil dadurch, daß deßen Handlungen zur Würdigung des geheimen Rathes gekommen seien, Sie dafür halten müßten, daß er in diese Kategorie gehörig angesehen werde.

Hierauf lasen geheimer Rath Freiherr von Asbek den anliegenden lytographirten Vortrag ab1055, *Beilage III* [Marginalie] worin Dieselben die aktenmäsige Geschichte dieser Gelder-Veruntreuung, und die aus der darauf angeordneten Untersuchung sich ergebenen Resultate, so wie den Ansichten {4r} der Zoll- und Mautdirection dann der Steuer- und Domainen Section vorlegten, und als ernannter Referent bei dem geheimen Rathe bemerkten, daß wenn in Beurtheilung dieses Gegenstandes nur von den Bestimmungen des jüngeren von Seiner Königlichen Majestät bestätigten Beschlußes des königlichen geheimen Rathes ausgegangen werden dürfe, wie dieses in der Sizung vom 21 November die Meinung der Unanimitaet gewesen1056, so seie Ihnen zwar der Grund nicht gegenwärtig, aus welchem die vorliegende Sache als Berathungs-Gegenstand noch zu dem geheimen Rathe gebracht werden könne, aber klar stehe vor Augen, daß sie unabhängig von diesem, bestimmter Ihnen nicht bekannter Gründe, zur Kompetenz des geheimen Rathes in so weit wenigstens schlechterdings nicht geeignet seie, als nicht dieser spezielle Fall eine andere Ansicht zulaße.

Freiherr von Asbek führten in Ihrem Vortrage hierauf an, daß Sie diesen Gegenstand nach andern Ansichten beurtheilten, und bezogen sich nicht nur auf die über einen ähnlichen Fall in der geheimen Raths Sizung vom 21en vorigen Monats {4v} geäußerte Meinung, sondern fanden sich auch aufgefordert, Ihre damals deßwegen zu Protokoll gegebene Abstimmung nochmals abzulesen1057, und äußerten, daß Sie nach diesen Ansichten und nach den in dem Vortrage weiter ausgeführten Gründen der bestimmtesten Meinung seien, daß der gegenwärtige Fall, so wie Sie es auch bei dem lezten dafür gehalten hätten, des in Mitte liegenden, von Seiner Königlichen Majestät bestätigten Beschlußes ohngeachtet, da dieser nicht verkündet worden, da aus diesem Grunde die frühere Bestimmung als gesezlich aufgehoben, nicht angesehen werden könne, da ein Gesez der Regel nach nicht zurükwirkend seie, und um dieser Regel als Ausnahme wenigstens die Kraft zu geben, auch kein scheinbarer Staatsgrund vorhanden, noch zum Resorte des geheimen Rathes gehöre.

Seie der geheime Rath anderer Meinung, so bleibe nichts übrig, als daß die sämtlichen Verhandlungen durch das betreffende Ministerium der geeigneten Justiz Behörde zur Untersuchung und nach Umständen zur Begutachtung, ob die Vorgericht-Stellung statt habe, zugestellt würden.

{5r} Seine Königliche Hoheit der Kronprinz verfügten über diesen Antrag die Umfrage.

Seine Excellenz der königliche geheime Staats und Konferenz Minister Herr Graf von Reigersberg äußerten, von Seiner Majestät dem Könige seie die Zeit bestimmt worden, wenn die Frage über die Vorgericht-Stellung des Staatsdieners dem geheimen Rathe vorzulegen. Es seie hierauf festgesezt worden, daß das Wort Vorgericht-Stellung schon dafür entscheide, daß die Epoche dann die geeignete seie, wenn auf ein Individuum wolle gegriffen werden, folglich wenn der Staatsbeamte wolle der speziellen Untersuchung unterworfen werden. Es seie hier folglich weder von einer Abänderung der konstituzionellen Vorschrift die Rede, noch werde dadurch die Lage des betroffen werdenden Staatsdieners im geringsten verschlimmert oder alterirt, vielmehr, wie bereits ausführlich in den vorgängigen Protokollen bemerkt worden, seie die Bestimmung dieser Epoche für ihn Wohlthat. Nach der bestehenden allerhöchsten Vorschrift, welche zu keiner {5v} neuen Discußion von Seiner Majestät dem Könige ausgesezt worden, seie daher die vorliegende Sache lediglich an das Ministerium der Finanzen zurükzugeben, um sonach die Akten dem Justiz Ministerium zur Einleitung der generellen Untersuchung zu übermachen.

Geheimer Rath Graf von Preising theilten die Ansicht des Referenten, und glaubten, daß der von Seiner Majestät unterm 7ten Oktober dieses Jahrs bestätigte geheime Raths Beschluß nicht zurükwirken könne1058, und folglich alle vor diesem Zeitpunkte sich ergebene Fälle nach den früheren Bestimmungen von dem königlichen geheimen Rathe entschieden werden müßten.

Nach gleichen Ansichten, und durch die Gründe des Referenten hiezu veranlaßt, stimmten mit diesem geheimer Rath Graf von Arco der ältere [d.i. Ignaz].

Geheimer Rath Graf von Törring äußerten, Sie seien mit dem Referenten darin verstanden, daß, weil der Fall des Freymüller dem neuerlichen, von Seiner Königlichen Majestät genehmigten geheimen Raths Beschluße vorhergegangen, selber nur nach der vormaligen {6r} für selben einzig legalen Form zu behandeln, somit Freymüller durch den geheimen Rath vor Gericht zu stellen seie. Sie glaubten dabei, daß wenn erwähnter Beschluß (an welchem sie als abwesend keinen Theil gehabt, und über welchen sich zu äußern Sie nicht aufgerufen seien) eine Folge haben sollte, solches unverzüglich durch das Regierungsblatt bekannt zu machen seie.

Geheimer Rath Freiherr von Weichs vereinigten sich mit der Abstimmung des königlichen geheimen Staats und Konferenz Ministers Herrn Grafen von Reigersberg.

Geheimer Rath von Zentner fanden die Bemerkungen des Referenten rüksichtlich der Lüke, ob diese Klaße der Beamten als Staatsdiener anzusehen, und sich nach den Bestimmungen der Konstituzion zur Beurtheilung des geheimen Rathes eigne1059, vollkommen richtig. Das Gesetz bestimme bisher nichts über diesen Unterschied, und es werde nöthig sein, bei dem an den königlichen geheimen Rath durch das heute abgelesene allerhöchste Reskript zur Berathung gewiesenen Gegenstande rüksichtlich der Staatsdiener [!] {6v} Die Hauptfrage selbst, [ob] die Einleitung der General Untersuchung in den Amtsverbrechen der Staatsdiener vor dem 3ten Oktober dieses Jahrs begangen, von den königlichen Ministerien oder dem geheimen Rathe beurtheilet werden solle, begreife nur die Form, da der lezte von Seiner Majestät dem Könige allergnädigst bestätigte geheime Raths Beschluß vom 3ten Oktober1060 noch nicht als Gesez publizirt, weßwegen aber die Ministerial Polizei Section inzwischen den Auftrag erhalten habe, einen Entwurf der Ausschreibung vorzulegen.

Richtig seie der von dem Referenten aufgestellte Saz, daß dieses als Gesez nicht zurükwirken könne, richtig die dafür angegebenen Gründe. Allein, da der Effekt gleich bleibe, und über die Form ein von Seiner Majestät dem Könige bestätigter Beschluß vorliege, auch der königliche geheime Rath mit dem in der Sizung vom 21ten vorigen Monats gefaßten Antrag in Widerspruch fallen würde, wenn er heute gegen den bestehenden Beschluß seinen Antrag stellen wollte, so müßten Sie dafür sich erklären, daß in Folge des bestehenden Beschlußes {7r} dieser Gegenstand an das Ministerium zurükgegeben werde.

Geheimer Rath von Krenner der ältere [d.i. Johann Nepomuk] äußerten, Sie hätten zwar neulich in der Sache des Beamten Jehlin selbst dahin abgestimmt, daß derselbe, ohne bereits zur geheimen Raths Judicatur geeignet zu sein, dem königlichen hohen Ministerium zur interimistischen Behandlung überlaßen werden müße1061. Zu dieser Ansicht habe Sie aber lediglich der wahre Irrbegriff oder die falsche Idee verleitet, als ob der königliche allerhöchste Beschluß vom 7ten Oktober laufenden Jahres nur für ein leuterirendes Gesez über die in der Konstituzion begriffene Ausdrüke der Vorgericht Stellung eines Beamtens anzusehen seie. Die so strenge und anhaltende Behauptung des königlichen geheimen Rathes Freiherrn von Asbek, daß die königliche Entschließung vom 7ten Oktober ein neues Gesez seie, habe Sie aber pflichtmäsig aufgereizt, den Gegenstand mit möglichstem Ernste in das Auge zu faßen, und nun seie Ihnen dann in folgender Betrachtung vollständiges neues Licht geworden. Allemal hätten zwar auch Sie die Ausdrüke der Konstituzion, wie sie ursprünglich erschienen {7v} für etwas unbestimmt gehalten, so daß Ihnen eine Erläuterung derselben erwünschlich geschienen habe. Unterdeßen müßten Sie nunmehr in das Gedächtniß zurükrufen, daß die frühere Interpretazion, welche der königliche geheime Rath bis zum 3. Oktober 1811 der Stelle quaest. gegeben habe, nicht blos eine usuale Interpraetazion von allemal 2½ Jahren bilde, sondern daß selbst Seine Königliche Majestät seit Hornung 1809 so vielen geheimen Raths Sizungen, worin in vorgekommenen Fällen diese interpretatio usualia statt gehabt, beizuwohnen, beifälligst sich zu äußern, und eben so viele geheime Raths Protokolle dieser Art zu unterzeichnen geruhet hätten, woraus dann wahrhaft mehr noch als eine volle interpretatio authentica der unbestimmten Konstituzions Stellen erwachsen seie. Hiernach seie nun ein wahres älteres Gesez vorhanden, welches über die Vorgerichtstellung der Beamten anders abgesprochen habe, als es das obgleich selbst auf geheimen Raths Antrag erfolgte allergnädigste Resolutum vom 7. Oktober laufenden Jahres mit sich bringe. Lezteres falle hierdurch Ihres Ermeßens nach in die unverkennbare {8r} Kategorie eines wahren neuen Gesezes, welches auf frühere Fälle (die bisher etwas anderes hierwegen nicht verordnet) nicht zurükwirken könne. Sie müßten sich dahero durchaus mit dem Antrage des Referenten vereinigen, um so mehr noch, da alle künftige Fälle gleicher Kategorie, wenn sie durch die königliche hohe Ministerien an den geheimen Rath gebracht werden sollten, auf eben dieselbe Weise vorbereitet, und Sie die in der Discußion theils schon vorgekommene, theils vielleicht noch nachfolgende Einwendungen, a) des bereits entgegen stehenden geheimen Raths Praejudicii in causa Jehlin1062, und b) wenn gesagt werden wolle, daß die königliche Resoluzion vom 7ten Oktober ein bloßes, auch auf vergangene Fälle rükwirkendes Prozeßgesez seie, um so weniger von Ihrem Voto abzulenken vermögten, als ad a) zumalen in Fällen, wo eine frühere irrige Ansicht vor das Auge trete, die Rechts Regel zur Norme diene, legibus non praejudiciis esse judicandum, und hiernächst ad b) der neue von Seiner Königlichen Majestät unterm 7 Oktober bestätigte Gesezes Vorschlag nichts weniger als nur ein bloßes {8v} auf frühere Fälle zurükwirkendes Prozeß-Gesez genannt werden könne, da durch selben ein wahres früheres staatsrechtliches Gesez abgeändert worden, und man es in dieser Sache allemal mit einem nun schon einmal aus der Konstituzion abfließenden Privilegium zu thun habe.

Geheimer Rath Graf von Tassis fanden den Grundsaz so richtig, daß ein Gesez, wenn es auch publizirt, nicht zurükwirken könne, daß Sie sich mit den Ansichten des Referenten vereinigten.

Geheimer Rath von Krenner der jüngere [d.i. Franz] fanden zwar den Widerspruch auffallend, wie der königliche geheime Rath gegen seinen Beschluß vom 21ten vorigen Monats heute auf Beurtheilung eines ähnlichen Falles den Antrag stelle, allein der Grundsaz, daß ein Gesez nicht zurükwirken könne, und die vom geheimen Rathe von Krenner dem älteren angegebene Gründe für diese Abweichung scheinen Ihnen so überwiegend, daß Sie sich mit den Ansichten des Referenten vereinigen müßten.

Geheimer Rath Graf Carl [Maria] von Arco erklärten sich für die Ansichten, so Referent {9r} über die Frage entwikelt, und waren um so mehr der Meinung, daß dieser und alle vor der Ausschreibung sich ergebenden Fälle von dem geheimen Rathe nach den früheren Bestimmungen beurtheilet werden müßten, als diesem Beschluß vom 3ten Oktober von andern Seiten beleuchtet, mehrere Anstände entgegen gesezt würden, und der Anlaß bereits benuzt worden, um Seiner Majestät dem Könige die Nothwendigkeit allerunterthänigst vorzulegen, daß dieser Gegenstand zur neuen umfaßenden Berathung, welche die Wichtigkeit deßelben erfordere, und welcher bei der ersten Deliberazion nicht nach der ganzen Umsicht und allen daraus sich herleitenden Folgen für den Staatsdiener berüksichtiget worden, da die dafür sprechenden Gründe nur erwogen worden, an den königlichen geheimen Rath gebracht werde.

Dieser Beschluß, welchen Sie nicht als ein leuterirendes sondern als ein neues Gesez beurtheilten, seie nicht ausgeschrieben, nicht publiziret. Daßelbe könne also bis zur erfolgter [!] Publication keine zurükwirkende Kraft haben. {9v} Zwar habe die Ministerial Polizei Section den Auftrag erhalten, einen Entwurf dieser Ausschreibung vorzulegen, allein, wenn dieser Gegenstand zur Reproposizion komme, so würden sich wahrscheinlich die Ansichten ändern.

Geheimer Rath Freiherr von Aretin äußerten die Meinung, daß die Ansichten des Referenten auf rechtlichen Gründen beruheten, und dem Saze nichts entgegen zu stellen seie, daß ein Gesez nicht rükwirken könne, und daß der Beschluß vom 3ten Oktober als solches zuvor ausgeschrieben und publizirt sein müße, ehe er in Anwendung gebracht werden könne. Daß dieser Beschluß ein neues Gesez und keine Leuterazion1063 der bisher bestandenen gesezlichen Bestimmungen seie, darüber hätten Sie keinen Zweifel, und müßten ohngeachtet des vorhandenen Praejudizes für den Antrag des Referenten stimmen.

Geheimer Rath von Effner bemerkten, daß Sie zwar nicht berufen, den von dem königlichen geheimen Rathe am 3ten Oktober gefaßten Beschluß zu rechtfertigen, daß Sie aber sich aufgerufen fänden, auf den {10r} allerunterthänigsten Antrag an Seine Majestät den König zu stimmen, daß dieser Gegenstand, der nun, nachdeme in der früheren Sizung keine begründete Einwürfe dagegen gemacht worden, als einseitig dargestellt und so vorgelegt werden wolle, als ob nicht alle Rüksichten, so hiebei zu beurtheilen, angegeben worden, zur Reproposizion gebracht werde. Sie müßten Seine Majestät den König um so mehr hierum allerunterthänigst bitten, als Ihnen die Schuld dieser einseitigen Vorlage beigemeßen werden wolle.

In Beziehung auf den gegenwärtigen Fall müßten Sie dem Grundsaze huldigen, daß dieser nicht publizirte allerhöchste Beschluß nicht zurükwirken könne, und folglich dem Antrage des Referenten beistimmen, ob aber dieser Beschluß ein Gesez seie, seie eine andere Frage, welche eine weitläufige Discußion herbeiführen könnte, und wogegen Sie sich erklären würden, da Sie glaubten, daß es blos als eine gesezliche Erklärung anzusehen.

Auf den Fall aber, daß der königliche geheime Rath {10v} für die Ausschreibung dieses Beschlußes sich entscheiden sollte, hätten Sie einen Entwurf dieser Ausschreibung bearbeitet, den Sie vorlegen könnten.

Geheimer Rath von Schenk theilten die Ansichten des Referenten, daß der vorliegende Fall nicht nach dem Beschluße vom 3ten Oktober zu beurtheilen, da derselbe nicht publiziret, und folglich nicht rükwirken könne. Auf den Fall, daß Seine Majestät der König die Hauptfrage nicht zur Reproposizion geben wollten, würden Sie für die baldige Ausschreibung deßelben sich erklären.

Geheimer Rath von Feuerbach äußerten, die Discußionen über die bisherige Vorgericht-Stellung und die auf den Beschluß vom 3en Oktober getroffene Aenderung in der Art, wann dieselbe an den königlichen geheimen Rath gebracht werden solle, hätten ihren Grund darin, daß die Begriffe der Privat und Special Inquisition verwechselt worden. Die Konstituzion spreche aus, die Person des Staatsdieners solle nicht ohne Vernehmung des geheimen Rathes vor Gericht gestellt werden1064. {11r} Dieser Bestimmung werde nicht zuwider gehandelt, sondern durch den lezten Beschluß dahin berichtiget, daß diese Vernehmung nicht eher eintreten solle, bis alles erschöpft, und der geheime Rath in den Stand gesezt werde, mit voller Umsicht die Frage der Vorgerichtstellung zu beurtheilen, durch die eingeleitet werdende General-Untersuchung werde die Person des Angeschuldigten nicht, sondern nur die That dem Gerichte zur Untersuchung übergeben. Sie fänden diese Berichtigung nicht nur nicht härter, sondern selbst wohlthätiger für den Staatsdiener, denn nun könne der geheime Rath nach vollendeten Untersuchungs Akten mit voller Kenntniß urtheilen, und entweder das Gutachten der Administrativ oder Gerichts-Stellen bestätigen oder abändern. Daß er durch dieses Gutachten gebunden, hievon könnten Sie sich nicht überzeugen, denn sonst seie die Vernehmung des geheimen Rathes eine bloße Form, welches sie nach der Konstituzion nicht sein sollte.

Auch glaubten Sie, da dieser Beschluß kein eigentliches Gesez, sondern nur eine Erläuterung {11v} des bestehenden Gesezes seie, und folglich so gut auf alle noch nicht anhängige Fälle zurükwirken könne, als eine neue Gerichts-Ordnung heute von Seiner Majestät dem Könige herausgegeben, auf alle Streit-Sachen zurükwirken würde; daß eine Ausschreibung dieses Beschlußes nicht nothwendig, und alle Fälle nach den gegebenen Normen vom 3ten Oktober von dem geheimen Rathe beurtheilet werden könnten. Die Inkonsequenz, die damit verbunden sein dürfte, liege nicht in dem Beschluße, sondern in den mangelhaften Gesezen über die Amts-Verbrechen der Staatsdiener. Die zu Bearbeitung des Kriminal-Gesezbuches vereinigte Sectionen hätten diesen Mangel gefühlt, und auf Ihren Antrag beschloßen, ein eigenes Kapitel über diese Amts-Gebrechen aufzunehmen, wodurch diese Inkonsequenz entfernt, und durch wesentliche Zusäze und Aenderungen gesezlich ausgesprochen werde, wie die Administrativ- und gerichtliche Untersuchungen ineinander greifen müßten und in wie weit die {12r} Resultate der ersteren in lezterer fidem hätten. Bis zu Erscheinung dieses bald vollendeten Gesezbuches würden Sie den Beschluß vom 3ten Oktober in allen vorkommenden Fällen in Wirkung treten laßen.

Geheimer Rath Graf von Welsperg bezogen sich auf Ihre in der Sizung vom 21ten vorigen Monats wegen dem Landrichter Jehlin vorgelegte Bemerkungen1065, theilten die Ansichten des Referenten, welche auch die Ihrige gewesen, da der königliche Beschluß nicht publizirt, und derselbe nicht zurükwirken könne.

Als Folge dieser Abstimmungen wurde durch eine Mehrheit von zwölf Stimmen gegen vier

beschloßen, an Seine Majestät den König den allerunterthänigsten Antrag zu stellen, den vorliegenden Gegenstand der Vorgericht-Stellung des Beimautners Ferdinand Freymüller durch den königlichen geheimen Rath entscheiden zu laßen, da der von Seiner Majestät dem Könige genehmigte Beschluß vom 3ten Oktober nicht publizirt, und als Gesez nicht auf vorher gegangene Fälle rükwirken könne.

Lehrzeit der Handwerker

Welsberg berichtet über einen Antrag der Ministerialpolizeisektion, der den zu frühen Eintritt der Schneider- und Schusterlehrlinge in die Lehre betrifft. Er trägt an, es bei den bestehenden Verordnungen zu belassen, die den frühzeitigen Eintritt erlauben. Der Antrag des Referenten wird einstimmig angenommen.

{12v} 4. Seine Königliche Hoheit der Kronprinz geruheten, den geheimen Rath Grafen von Welsperg aufzurufen, den bearbeiteten Vortrag über den zu frühen Eintritt der Handwerks-Jungen in die Lehrzeit zu erstatten.

Diesem Auftrage entsprechend lasen geheimer Rath *Beilage IV* [Marginalie] Graf von Welsperg den anliegenden lytographirten Vortrag ab1066, und äußerten, daß diese Frage durch die hiesige königliche Polizei Direkzion durch Aufstellung verschiedener Bemerkungen und Vorschläge, vorzüglich in Beziehung auf die Schneider und Schuster-Handwerke veranlaßt worden. Graf von Welsperg führten an, wie das von der Ministerial Polizei Section über diese Bemerkungen und Vorschläge vernommene General Kommißariat des Isar-Kreises sich geäußert, und welche Ansichten die Ministerial Polizei-Section über beide diese Vorschläge und Anträge in ihrem ausführlichen und gründlichen Vortrage aufgestellt.

Da Seine Majestät der König ein Gutachten über diesen Gegenstand von dem geheimen Rathe allergnädigst erfordert, {13r} so legten geheimer Rath Graf von Welsperg Ihre Gründe vor, auf welche Sie sich stüzend, glaubten, daß das Gutachten an Seine Majestät den König dahin allerunterthänigst abzugeben wäre: „daß die einzelne Bemerkungen der königlichen Polizei Direction über den zu frühen Eintritt der Handwerks-Jungen in die Lehre nicht geeignet seien, um eine so empfindliche, und in die Privat-Verhältniße des bürgerlichen Lebens eingreifende Neuerung bei dem Handwerkswesen gesezlich zu bestimmen und daß es daher um so mehr bei den gegenwärtigen Verordnungen belaßen werden könnte, als es ohnehin die Pflicht der sämmtlichen Polizei Behörden mit sich bringe, wenn selbe bei Ertheilung der Wanderbücher in einzelnen Fällen derlei offenbare Gebrechen zu finden glauben sollten, darüber die Aeltern und Kuratoren zu vernehmen, und selbe ihres eigenen, und für das Intereße ihrer anvertrauten Jungen eines Beßeren zu belehren.

{13v} Seine Königliche Hoheit der Kronprinz geruheten, über diesen Antrag abstimmen zu laßen.

Seine Excellenz, der königliche geheime Staats- und Konferenz Minister Herr Graf von Montgelas, welche während diesem Vortrage in der geheimen Raths Sizung erschienen waren, vereinigten sich mit den Ansichten des Referenten, da denselben die richtige Bemerkung zum Grunde liege, daß Aeltern und Vormünder nicht wißen würden, wie Sie ihre Kinder und Anvertrauten, die mit dem 12ten Jahre die Schule verließen, beschäftigen sollten, wenn der Eintritt in die Lehrzeit der Handwerke weiter hinausgesezt werden sollte, es auch von üblen Folgen sein würde, wenn die Regierung ohne dringende Nothwendigkeit Reglementär Verordnungen erlaße, welche in Privat-Verhältniße eingriffen, und die bürgerliche Freiheit beschränkten.

Seine Excellenz, der königliche geheime Staats- und Konferenz Minister Herr Graf von Reigersberg beurtheilten den vorgetragenen Gegenstand, so wie Referent, und stimmten {14r} den von demselben aufgestellten Grundsäzen und Ansichten als den richtigsten bei, wo es auf Privat-Verhältniße und Familien Rechte der Unterthanen ankomme.

Da auch alle geheimen Räthe sich für den Antrag des Referenten einstimmig erklärten

so wurde von dem königlichen geheimen Rathe der allerunterthänigste Antrag an Seine Majestät den König nach dem Vorschlage des Referenten beschloßen.

Untersuchungen gegen Reisach, Jehlin und Freimüller

Carl Maria Graf von Arco weist darauf hin, daß die Entschließung zu TOP 3 Folgewirkungen auf ähnliche Verfahren hat. Nach kontroverser Debatte wird beschlossen, die Entschließung zu vervielfältigen und zur näheren Beratung zu bringen.

5. Geheimer Rath Graf Carl [Maria] von Arco fanden sich aufgerufen, den königlichen geheimen Rath aufmerksam zu machen, daß nach dem von demselben durch eine Mehrheit von 12 Stimmen beschloßenen allerunterthänigsten Antrage an Seine Majestät den König wegen dem Beimautner Ferdinand Freymüller es nothwendig sein werde, die bei dem Ministerium des Innern laufende Untersuchungen wegen dem Grafen von Reisach und dem Landrichter Jehlin einsweilen beruhen zu laßen, bis die königliche allerhöchste Entschließung hierauf erfolgt sein werde, {14v} denn vielleicht würden Seine Majestät der König geruhen, nach den geäußerten wiederholten Wünschen mehrerer geheimen Raths Glieder die Hauptfrage zur Reproposizion bringen zu laßen.

Da dieser Vorschlag von den beiden königlichen Herrn Ministern bestritten, und vorzüglich von Seiner Excellenz dem königlichen geheimen Staats- und Konferenz Minister Herrn Grafen von Montgelas bemerkt wurde, daß die Reproposizion der Gegenstände der Würde des ersten Collegii des Reichs nicht entspräche, auch sehr leicht in eine Ballotage1067 ausarten könnte, auch Seine Excellenz der königliche geheime Staats- und Konferenz Minister Herr Graf von Reigersberg äußerten, daß kein Veranlaß da seie, die in Folge des von Seiner Majestät dem Könige bestätigten Beschlußes vom 3ten Oktober durch die verschiedene Ministerien angefangene General-Untersuchung gegen verschiedene verdächtige Staatsdiener zu sistiren; da Seine Majestät der König die Reproposizion der Hauptfrage nicht angeordnet.

So wurde auf Vorschlag des Herrn Grafen von Reigersberg {15r} von Seiner Königlichen Hoheit dem Kronprinzen die Ablesung der vom geheimen Rathe von Effner bearbeiteten Ausschreibung des Beschlußes vom 3ten Oktober angeordnet.

Geheimer Rath von Effner lasen diese Ausschreibung ab, bemerkten aber, daß, da der Gegenstand von zu hoher Wichtigkeit seie, um ohne *Beilage V* [Marginalie] weiteres Nachdenken darüber abstimmen zu können, derselbe auch bereits wiederholt angegriffen worden, Sie vorschlagen müßten, daß dieselbe vorher lytographirt, und zur näheren Berathung vertheilt werden mögte.

Die königliche geheime Staats und Konferenz Minister Herrn Grafen von Montgelas und von Reigersberg Excellenzien dann die geheimen Räthe Grafen von Preising, von Arco Senior und von Törring so wie Freiherr von Weichs erklärten sich für die vorherige Lytographirung und Vertheilung dieser Ausschreibung, ehe die Abstimmung deßwegen eintrete.

Auch geheimer Rath von Zentner traten dieser Meinung bei, nur bemerkten Sie, ein Haupt-Anstand scheine dieser {15v} Ausschreibung entgegen zu stehen, nämlich, daß wahrscheinlich in einigen Monaten das neue Kriminal-Gesezbuch und der Prozeß würde publizirt werden können1068, und dadurch sich die Bestimmungen wegen den Amts-Gebrechen der Staatsdiener wieder ändern würden, indeme nach dem Vorschlage der Sectionen dem Gesezbuche eigene Kapitel wegen dem Verfahren bei Amtsgebrechen der Staatsdiener einverleibt werden sollten. Sie könnten dahero nicht anrathen, gegenwärtig neue gesezliche Bestimmungen und in einigen Monaten andere diese abändernde oder erläuternde publiziren zu laßen, und würden daher die Ausschreibung dieses Beschlußes einsweil suspendiren.

Geheimer Rath von Krenner der ältere [d.i. Johann Nepomuk] waren der Meinung, daß die königliche allerhöchste Entscheidung auf den heute beschloßenen allerunterthänigsten Antrag des geheimen Rathes erwartet werden sollte, ehe der geheime Rath sich mit Beurtheilung der entworfenen Ausschreibung beschäftige, und eine nähere {16r} Entschließung erfolgen müßte, da nach diesem Beschluße vom 3ten Oktober noch Fälle der Vorgerichtstellung der Beamten von den königlichen Ministerien an den geheimen Rath gebracht, folglich die Kompetenz deßelben anerkannt worden.

Geheimer Rath Graf von Tassis vereinigten sich mit den vom geheimen Rathe von Zentner entwikelten Ansichten.

Geheimer Rath von Krenner der jüngere [d.i. Franz] waren mit geheimen Rathe von Krenner dem älteren der Meinung, daß die Deliberazionen über die Ausschreibung des Beschlußes vom 3ten Oktober noch auszusezen, bis der königliche geheime Rath von der von Seiner Majestät dem Könige auf deßen heute beschloßenen Antrag genommenen allerhöchsten Entschließung in Kenntniß gesezt, und er wiße, ob es ihme erlaubt seie, nochmal in die Merita dieser Hauptfrage einzugehen.

Geheimer Rath Carl [Maria] Graf von Arco äußerten, Sie seien außer Stande, gleich über diese Ausfertigung zu votiren, und daß dahero, wenn sie publizirt werden sollte, dieselbe zuvor lytographirt {16v} und vertheilet werden mögte. Sie glaubten aber mit geheimen Rathe von Zentner, daß die Ausschreibung zu suspendiren, da das neue, bald erscheinen werdende Kriminal-Gesezbuch ausführliche Bestimmungen über die Amts-Gebrechen der Staats-Diener enthalten werde, einsweil aber würden Sie die noch vorkommenden Fälle wegen Vorgerichtstellung der Staatsdiener nach der bisherigen Auslegung der konstituzionellen Bestimmungen behandeln laßen, und bis zu erfolgender allerhöchster Entscheidung alle schon anhängige Fälle beruhen laßen.

Geheimer Rath Freiherr von Aretin waren für die Lytographirung und Vertheilung dieser entworfenen Ausschreibung, da nur publizirte Geseze Wirkung haben könnten.

Geheimer Rath von Effner bemerkten, wie Sie diese Verordnung blos entworfen, um auf den Fall gerichtet zu sein, wenn die Ausschreibung dieses Beschlußes von dem königlichen geheimen Rathe beliebt werden würde, Sie hätten aber nicht dafür sich erkläret, daß derselbe ausgeschrieben werde, und müßten aus den bereits angegebenen Gründen wiederholt darauf antragen, daß von Seiner Majestät dem Könige {17r} die Reproposizion der Hauptfrage erbeten werde.

Geheimer Rath von Schenk und Freiherr von Asbek stimmten für Lytographirung und Vertheilung dieser entworfenen Ausschreibung.

Die geheimen Räthe von Feuerbach und Graf von Welsperg für Suspendirung derselben bis zur Erscheinung des neuen Kriminal-Gesezbuches, da sonst Widersprüche und Kollisionen mit den angetragenen gesezlichen Bestimmungen über die Amts-Verbrechen der Staats-Diener veranlaßt werden könnten.

Nach der Mehrheit der Abstimmungen

wurde an Seine Majestät der König der allerunterthänigste Antrag beschloßen, den vorgetragenen Entwurf der Ausschreibung des Beschlußes lytographiren, und zur näheren Berathung vertheilen zu laßen.

Entschließungen des Königs (9. Dezember 1811)

Der König erklärt, daß der Antrag des Geheimen Rates vom 3. Oktober 1811 wegen der Gerichtsverfahren gegen Staatsbeamte kein neues Gesetz ist, sondern nur eine Erläuterung des Verfahrens darstellt, das bisher auf dem Weg zur Anklageerhebung angewandt wurde. Es wird verfügt, daß einschlägige Fälle erst dann vor den Geheimen Rat gebracht werden, wenn die Spezialinquisition verhängt werden muß. Der Beschluß vom 3. Oktober 1811 muß nicht veröffentlicht werden, weil bald das Strafgesetzbuch erscheinen wird, das Amtsvergehen der Staatsbeamten behandelt.

Da Wir den von Uns bestätigten Antrag des Geheimen Rathes vom 3ten October dieses Jahres wegen der Vorgerichtsstellung der Staats Beamten1069 nicht als ein neues Gesez, sondern nur als eine erläuterende Bestimmung derjenigen Formen beurtheilen, welche bisher von Unserem Geheimen Rathe, der in Folge der Constitution des Reiches über die Zulaßung einer {17v} solchen Vorgerichtstellung vernohmen werden solle, beobachtet worden; und es gegenwärtig schon in dem Würkungs Kreiße Unserer Ministerien lag, bey erhaltenen Anzeigen über begangene Amtsverbrechen oder Vergehen der Staatsbeamten auf generelle Untersuchung derselben an Uns den allerunterthänigsten Antrag zu stellen, ohne daß vorher der königliche geheime Rath hierüber wäre vernohmen worden, gleiche Befugniß auch Unseren Justiz Stellen nach der Gerichts Ordnung alsdann ohne Unsere Authorisation erhohlen zu müßen, zustehet, wenn sie von dem Daseyn eines Amts Verbrechens Kenntnüß erhalten.

So befehlen Wir, daß sich in allen Fällen von Unserem Ministerium nach dem durch sehr richtige Ansichten veranlasten und von Uns genehmigten Beschluße vom 3ten October dieses Jahres geachtet und kein Fall dieser Art eher an den geheimen Rathe gebracht werden solle, als bis die Frage zu entscheiden: ob gegen den eines Amtsverbrechens oder Vergehens verdächtigen Staatsbeamten die Special Inquisition zu verhängen? Wo alsdann der geheime Rath nach Laage und Würdigung der bey der General Untersuchung vollständig geführten Acten seinen allerunterthänigsten Antrag auf Bestätigung oder Verwerfung des von den administrativ- oder richterlichen Behörden gegebenen Gutachtens allenfalls auch auf nöthig findende Ersezungen an Uns zu machen hat.

Eine Ausschreibung und Publication dieses Beschlußes vom 3ten October dieses Jahres finden Wir nach diesem Gesichtspuncte und aus dem Grunde gegenwärtig nicht nöthig, weil zu erwarten, daß in wenigen Monathen das neue Criminal Gesezbuch erscheinen wird, worin in einem eigenen Capitel von den Amtsverbrechen und Vergehen der Staatsbeamten gehandelt und feste Normen über die Führung der General- und Special Untersuchung in diesen Fällen gegeben werden, auch dieser Beschluß nichts an dem Verhältnüß der verdächtig werdenden Staatsdiener ändert, da der Beurtheilung des geheimen Rathes nach wie vor vorbehalten bleibt, seinen Antrag auf Erkennung oder Abwendung der Vorgerichtsstellung eines Staatsbeamten zu begründen1070.

Unßer gegenwärtiger Beschluß solle dem Geheimen Rathe und allen Ministerien zur Nachachtung mitgetheilet und in deßen Folge die Acten wegen dem Beymauthner Ferdinand Freymüller an das einschlägige Ministerium zur weiteren Einleitung zurükgegeben werden.

Um aber vor Erscheinung des neuen Criminal Gesezbuches alles erschöpfet zu wißen, was auf diesen Gegenstand Bezug hat, befehlen Wir, daß der unterm 11ten November vorigen Jahres dem Geheimen Rathe wegen den Administrativ-Beamten überhaupt ertheilte Auftrag, in so weit dieses noch nicht durch das von Uns unterm 28ten vorigen Monats wegen den Staatsdiener erlaßene Rescript1071 geschehen, an die Finanz Section Unseres Geheimen Rathes, welcher zwey Mitglieder der anderen Sectionen zugegeben, verwießen, und von dem geheimen Rathen von Feuerbach, welcher als Mitglied der Justiz Section hiezu ernant, mit Rüksicht auf die in dem 33ten Seccions Protocoll vom 10ten December vorigen Jahres aufgenohmenen Motionen, und andere, in dem Entwurfe des Criminal Gesezbuches diesfalls schon aufgestellte Bestimmungen bearbeitet werden solle.

Diese Bearbeitung hat Geheimer Rath von Feuerbach zuerst den zur Gesezgebung vereinigten Sectionen wegen dem Zusammenhange mit dem Criminal Gesez-{18r}buche vorzutragen, sodann dieselbe in der verstärkten Finanz Section vorzulegen und hierauf an Uns in versammeltem Geheimem Rathe zu bringen.

Die Anträge des geheimen Rathes wegen dem Freiherr von Castellischen Fideicommis [= TOP 1] und dem zu frühen Eintritt der Handwerksjungen in die Lehrzeit [= TOP 4] werden von uns bestätiget.

Anmerkungen

1050

Das Reskript liegt dem Protokoll nicht bei; es findet sich stattdessen in BayHStA Staatsrat 1845, S. 28-30. Druck: Schimke, Regierungsakten, Nr. 79, S. 420f. Zum Fortgang: Protokoll Nr. 71 (Geheimer Rat vom 4. Juni 1812), TOP 1.

1051

Effner, „Vortrag an den königlichen geheimen Rath […]“, lithographierter Text, 40 S., BayHStA Staatsrat 249.

1052

Joseph Leopold Gabriel Freiherr von Castell (1761-1822), Sohn und – neben seinen drei Schwestern – Erbe von Joseph Sebastian (s. unten) und Maria Henriette d‘Hauberat (1729-1766), wirkte als kurpfälzischer wirkl. Hofgerichtsrat, dann als kurpfalzbayerischer wirkl. Hofkammerrat und Hofkastner zu München, auch als Oberamtmann zu Stromberg. Joseph Leopolds Ehe mit Maria Anna Gräfin von und zu Freyenseyboldsdorff (1754-1822) blieb kinderlos, doch hatte er zwei natürliche Söhne, Leopold Gabriel und Joseph Johann Nepomuk, die 1806 legitimiert, 1809 für lehenssukzessionsfähig erklärt und 1812 in die Freiherrenklasse des Königreichs Bayern immatrikuliert wurden.Vgl. HStK 1794, S. 164; HStK 1802, S. 93; Lang, Adelsbuch, S. 107; Tenner, Kunstsammler, S. 49.

1053

Das „Edikt über den Adel im Königreiche Baiern“ vom 28. Juli 1808 (RegBl. 1808, Sp. 2029-2044) bestimmte in § 69 (Sp. 2043): „Die dermaligen Fideikommisse Unserer adelichen Familien sind in allen ihren dermaligen rechtlichen Wirkungen aufgehoben […]“. Unklarheiten über die Auslegung dieser Norm führten wiederholt zu Grundsatzdiskussionen im Geheimen Rat, vgl. Protokolle Bd. 3, Nr. 43 (Geheimer Rat vom 24. August 1809), TOP 2 mit Anm. 1318; Nr. 44 (Geheimer Rat vom 31. August 1809), TOP 2; Nr. 64 (Geheimer Rat vom 13. September 1810), TOP 1; Nr. 65 (Geheimer Rat vom 20. September 1810), TOP 1. Die (vorläufigen) Ergebnisse der Diskussionen gingen in das Edikt betreffend „die bisherigen adelichen Fidei-Kommisse, und künftigen Majorate im Königreiche [Bayern]“ vom 22. Dezember 1811, RegBl. 1812, Sp. 5-54, ein.

1054

Als Kinder von Johann Theodor Castell, Regierungsrat der Fürstabtei Heitersheim, und Columba Heuters geboren, schlugen Heinrich Edmund und Joseph Sebastian unterschiedliche Laufbahnen ein. Heinrich Edmund (1709-1796) empfing 1720 die Tonsur, 1726 die niederen Weihen, 1731 die Subdiakonsweihe; zudem absolvierte er juristische Studien an der Universität Köln; wesentlich später, 1766, wurde Heinrich Edmund in Heidelberg zum Doktor beider Rechte promoviert. 1728 erhielt Castell ein Kanonikat am Stift Alter Dom St. Pauli in Münster, das fortan sein Lebensmittelpunkt wurde (1743 Dechant). 1766 Propst des Kollegiatstifts St. Georg in Wassenberg (bei Heinsberg). Protegiert vom Kurfürsten Karl Theodor von der Pfalz erhielt er 1766 ein Domkanonikat in Augsburg, das er 1780 resignierte, ohne jemals in das Kapitel eingerückt zu sein. In seinem 1794 aufgesetzten Testament machte er seinen Vetter, Joseph Leopold Freiherr von Castell, kurbayerischer Hofkammerrat und Hofkastner zu München, zu seinem Universalerben. Joseph Sebastian (1714-1791) studierte die Rechte in Köln, 1738 Lic. iur., und trat in kurpfälzische Dienste. 1743 Hofgerichtsrat in Mannheim, 1748 kurpfälzischer Regierungsrat, 1753 Geheimer Rat sowie Rat am Oberappellationsgericht, 1755 Wirklicher Geheimer Konferenzrat, 1772 Geheimer Staatsrat. Bis 1771 Gesandter beim Kur- und Oberrheinischen Kreis. 1778 folgte Castell dem Kurfürsten Karl Theodor nach München. 1785 Pensionierung. 1752 Erhebung in den erblichen Reichsadelsstand, 1773 Reichsfreiherrenstand. 1781 Belehnung mit der Herrschaft Bedernau bei Mindelheim. Als er starb, hinterließ Joseph Sebastian ein beachtliches Vermögen, das sich aus Barmitteln, Immobilien und anderen Sachwerten, mehreren Liegenschaften und einer umfänglichen Gemäldegalerie zusammensetzte. Vgl. Seiler, Augsburger Domkapitel, S. 333f. Nr. 30; Scholz (Bearb.), Bistum Münster, S. 318f.; Gigl, Zentralbehörden, S. 166 f. Anm. 62 u.ö.; Adelslexikon Bd. 2, S. 256 s.v. Castell (1752); Tenner, Kunstsammler, S. 49-51 (insbes. zur Gemäldegalerie).

1055

Freiherr v. Asbeck, „Vortrag. Den Kassa Defect des Beimautners am Göglinger Thor zu Ulm, Ferdinand Freimüller betreffend“, lithographierter Text, 7 S., BayHStA Staatsrat 249.

1056

Protokoll Nr. 45 (Geheimer Rat vom 21. November 1811), TOP 3.

1057

Freiherr v. Asbeck, [Votum], lithographierter Text, 3 S., BayHStA Staatsrat 249.

1058

Vgl. Protokoll Nr. 38 (Geheimer Rat vom 3. Oktober 1811), TOP 5; dazu die Bestätigung durch den König vom 7. Oktober.

1059

Konstitution für das Königreich Bayern vom 1. Mai 1808, Tit. III § 2 a.E., RegBl. 1808, Sp. 993 = DVR Nr. 286, S. 659.

1060

Protokoll Nr. 38.

1061

Protokoll Nr. 45 (Geheimer Rat vom 21. November 1811), TOP 3.

1062

Protokoll Nr. 45 (Geheimer Rat vom 21. November 1811), TOP 3.

1063

Leuterazion (Läuterung) bezeichnet die erklärende Auslegung eines unklaren Rechtssatzes oder eines rechtlichen Sachverhalts, zugleich auch die Erklärung eines dunkel erscheinenden Richterspruchs. Vgl. Oertel, Fremdwörterbuch Bd. 2, S. 527 s.v. Leuteratio; DRW Bd. 8, Sp. 793-797 s.v. Läuterung.

1064

Konstitution für das Königreich Bayern vom 1. Mai 1808, Tit. III § 2 a.E., RegBl. 1808, Sp. 993 = DVR Nr. 286, S. 659.

1065

Protokoll Nr. 45 (Geheimer Rat vom 21. November 1811), TOP 3.

1066

Welsberg, „Vortrag in dem geheimen Rath. Den zu frühen Eintritt der Handwerksjungen in die Lehrzeit betreffend“, lithographierter Text, 13 S., BayHStA Staatsrat 249.

1067

Ballotage (Kugelung) bezeichnet im engeren Sinn die Wahl durch die (verdeckte) Abgabe von Kugeln, allgemein die Stimmabgabe in einem Wahlverfahren. Vgl. Conversations-Lexicon Bd. 1, S. 185 s.v.; Neues allgemeines Handwörterbuch Bd. 1, S. 88 s.v.

1068

Tatsächlich trat das Strafgesetzbuch am 1. Oktober 1813 in Kraft. „Patent über die Verkündung des allgemeinen Strafgesezbuches für das Königreich Baiern“ vom 16. Mai 1813, RegBl. 1813, Sp. 665-668, hier Sp. 666, Art. 1.

1069

Protokoll Nr. 38 (Geheimer Rat vom 3. Oktober 1811), TOP 5.

1070

In diesen Kontext gehört der nicht datierte Entwurf einer Verordnung betr. die Erklärung des Sinns der Vorschrift der Konstitution für das Königreich Bayern, Tit. III § 2 (Druck: DVR Nr. 286, S. 659), betr. Vorgerichtstellung der Staatsbeamten, BayHStA Staatsrat 1845, S. 31-34.

1071

Reskript vom 28. November 1811, BayHStA Staatsrat 1845, S. 28-30; Druck: Schimke, Regierungsakten, Nr. 79, S. 420f.